Ich erinnere mich an Landserhefte, die ich in den 1960er
Jahren hinter dem Schornstein auf dem Dachboden meines Elternhauses im
rumänischen Banat fand. Natürlich war ich an deren Lektüre als 10-Jähriger kaum
interessiert. Nur die bemalten Einbände faszinierten mich: Panzer,
Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge und Kriegsszenen mit siegenden deutschen
Soldaten. Schließlich sahen wir zu jener Zeit im Dorfkino ja auch Kriegsfilme
und konnten natürlich die Landserbilder richtig einordnen – auch wenn die
Kriegsfilme, die im Kulturheim gezeigt wurden, eher die Vietnam- und
Koreakriege zeigten, natürlich mit den siegreichen kommunistischen Verbänden. Irgendwann
sind die Hefte dann verschwunden. Vielleicht hat die Oma sie beim Schüren des
Kessels oder des Backofens sinnvoll verwertet. Geblieben ist mir die Erinnerung
an jene Zeit. Und die war mir erst kürzlich ziemlich präsent, als ich im
Bauerngerätemuseum in Ingolstadt-Hundszell die Ausstellung Volk - Heimat - Dorf – Ideologie
und Wirklichkeit im ländlichen Bayern der 1930er und 1940er Jahre
besuchte.
Einer der Themenschwerpunkte trug die Überschrift Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus.
Ich musste bei der Ansicht der ausgestellten Propagandamaterialien
(Zeitschriften und Kriegsspiele) an die Landserhefte meiner Kindheit – lange
nach dem Krieg – denken, aber auch an die „Kriege“ die wir in den Dorfgassen
mit Holzpistolen und Gewehrattrappen führten. Manchmal kamen auch Pfeil und
Bogen zum Einsatz, liefen doch in jener Zeit im selben Dorfkino auch die ersten
Karl-May-Filme. Man stelle sich das Chaos in unseren von Abenteuerlust
beseelten Herzen und verwirrten Köpfen vor. Vietnamesen, Koreaner, aber auch
siegende Rotarmisten und flüchtende Landser (wer hatte da wohl Recht, die Filme
oder die Heftebilder?) und dazu heldenhafte Indianer und weiße Banditen. Der
Krieg war 20 Jahre vorbei, aber sein ideologischer Bodensatz gärte in
Südosteuropa unbeschadet fort – nur eben nicht als nationalsozialistische
Ideologie, sondern als kommunistische.
So wird wohl jeder Besucher dieser Ausstellung seinen
Gedanken nachhängen. Auf irgendeine Weise war jeder Teil der Gesellschaft vom
Nationalsozialismus berührt, ein Themenschwerpunkt ist mit Durchdringung der Gesellschaft überschrieben. Auch das Leben auf
dem Land. Und war der Weiler noch so klein und abgelegen. Die Gesetze und Verordnungen
erreichten alle, auch wenn sie nicht immer befolgt wurden. Die
Informationstafeln in dieser Ausstellung berichten davon. Es gab zum Beispiel
ein Reichserbhofgesetz, das zum Ziel hatte, „eine Überschuldung der
Höfe zu verhindern und vom »Kapital des Judentums« unabhängig zu werde.“
Fotos: Anton Potche |
Und an die Zwangsarbeit
(„Allein in Franken arbeiteten etwa 250.000 bis 300.000 überwiegend aus
Osteuropa verschleppte Zivilarbeiter und zahlreiche Kriegsgefangene, darunter
ein sehr großer Teil in der Landwirtschaft.“). Gerade hier zeigt neben dem
vielen Bedrückenden die Ausstellung auch einen Lichtblick, ein Beispiel von
erträglicher Kriegsfolge: „Der ukrainische Zwangsarbeiter Peter Diakon hat
schon während des Krieges in der Dorfkapelle in Buch am Wald (Landkreis
Ansbach) Schlagzeug gespielt. Er ist nach Kriegsende in dem Dorf
geblieben und wurde als Schlagzeuger festes Mitglied der Dorfkapelle, die zu
allen Anlässen aufspielte – vor allem zur Kirchweih.“
Ich begegnete bei meinem Schlendern durch die Ausstellungsräume
vielen Menschen, meistens mittleren Alters und junge Leute. Auch eine ziemlich
laute Gruppe schwarz gekleideter und tätowierter Frauen und Männer mit einem
schreienden Kleinkind war dabei. Welcher Gesinnung die wohl anhängen, dachte
meine Frau laut auf dem Heimweg. Darauf hatte ich keine Antwort. Wer sich so
gibt, ist in der Regel stark links oder rechts. (Es gibt zum Glück auch
Ausnahmen!) Was ein zu starkes Abtriften an politische und ideologische Ränder
bewirken kann, wird den Besuchern dieser Ausstellung vermittelt – falls sie
lernwillig sind. So gesehen, haben auch diese „Schwarzen“ ihre Eintrittskarte
nicht umsonst gezahlt. Bleibt die Hoffnung, dass die ausgestellten Exponate,
Dokumente, die Filme und Animationen auch bei ihnen die richtige Wirkung
ausgelöst haben: Betroffenheit und der Wunsch, dass solche Zeiten Geschichte
bleiben und in Ländern wie Venezuela, Nordkorea, Türkei und leider vielen
anderen bald Geschichte sein werden.
Die Ausstellung kann in der Probststraße 13, 85051
Ingolstadt bis zum 31. Oktober zu folgenden Öffnungszeiten besichtigt werden:
Dienstag bis Freitag 9 – 12 Uhr, Sonn- und Feiertage 14 – 17 Uhr; Besuche
außerhalb der regulären Öffnungszeiten und Führungen auf Anfrage; Tel. 0841 /
305-1885(-1886); www.ingolstadt.de/bauerngeraetemuseum
.
Anton Potche
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