Montag, 20. November 2017

Seppi und Peppi reden über rumänisches Werteverständnis

Seppi und Peppi sitzen in ihrem Bahnhofscafé und führen ein ernstes Gespräch.

- Wie soll dieses Land nicht untergehen?
- Welches Land?
- Na, das unsere. Siehst du nicht, was da läuft? Lug und Betrug, wo du hinschaust. Keine Werte. Nichts! Gar nichts!
- ??
- Die Kultur liegt am Boden. Zerstört! Kaputtgemacht! Was ist das für ein Land, in dem Schulabbrecher schwindelerregende Karrieren machen. Bis hinauf zum Außenminister.
- Wie kommst du jetzt auf dieses Thema?
- Weil ich gehört habe, dass es auch Länder – oder zumindest eins – in der EU gibt, wo das nicht funktioniert. Gar nicht!
- Wie heißt denn dieses Wunderland?
- Rumänien.
- Wie bitte?
- Sagte ich doch: Rumänien. Dort sind schon die Schulnoten größer und damit aussagekräftiger als in unserem Schulsystem, wo sowieso jedes Bundesland macht, wie sein Kultusminister gerade lustig ist. In Rumänien sind Schulzeugnisse noch etwas wert. Und wehe, du erklimmst einen Posten, der dir nicht zusteht. Dann fliegst du.
- Ehrlich?
- Ja. Man ist eben anspruchsvoll im Lande eines Dracula.
- Und wird wohl gleich gepfählt, wenn ...
- Das heutzutage nicht mehr. Aber deinen Job bist du los. Ganz gleich wo du arbeitest. Sogar in der Kultur.
- In der Kultur? Da brauchst du zuerst Talent und dann kommt der Rest.
- Nicht in Rumänien. Dort haben Schulnoten die größte Aussagekraft. Dort musst du eine Zehn haben – nicht eine mickrige Eins wie bei uns –, um in der Kultur zu bestehen.
- Wau! Ein Beispiel gefällig?
- Da gibt es genug. Zum Beispiel eins, das gerade jetzt in Temeswar, weißt schon, diese rumänische Stadt im Westen des Landes, über die Bühne geht. Dort haben sie jetzt den Intendanten des Deutschen Staatstheaters – die haben so etwas noch – gefeuert.
- Wegen seiner Abschlusszeugnisse?
- Klar. Der Mann hat zwar Deutsch - Englisch und Jura studiert und seinen philologischen Abschluss in einer Arbeit zum Thema Theater gemacht, aber ...
- Klingt doch gut.
- Reicht aber nicht. Denn die Spezialisten im Temeswarer Rathaus haben seine bisherige Intendantenarbeit am Deutschen Staatstheater bewertet. Und ihn benotet, wie sich das in einem makellosen Rechtstaat wie Rumänien auch gehört.
- Und?
- Das kannst du dir doch denken. Es hat eben nicht gereicht: 9,88. Mit so einer Note kannst du keine Kulturinstitution leiten.
- Aha, eine Art Numerus clausus für die Kultur. Also war der Mann – wie heißt er denn? – …
- … Lucian Vărșăndan ...
- … schon länger an dem Haus beschäftigt?
- Zehn Jahre.
- Zehn Jahre? … Und jetzt findest du es gut, dass er keinen neuen Vertrag bekommen hat, nach zehn Jahren am selben Theater? Wegen 0,12 Punkten zur rumänischen Traumnote?
- Na klar! 10 ist 10. Da geht nichts! Gesetze sind heilig in Rumänien. Da galt schon immer nur das Beste vom Besten.
- Und jetzt? Haben sie schon einen neuen Intendanten?
- Na klar. Hier, ich habe eine deutsche Zeitung aus Rumänien gekauft. Ich habe sie zwar noch nicht gelesen, aber da ist eine Überschrift auf der ersten Seite: „Der Beste leitet ab nun die Geschicke des DST“. Das ist dieses deutsche Theater in Temeswar. Aber kannst ja selber lesen.
- Ah, ja. Soll ich laut lesen?
- Ja, bitte.
- „Ioan Bolduran hat, aus der Sicht des Bürgermeisters, geordnetere Studien als Vărșăndan: Er hat die Mechanikfakultät absolviert, danach war er Handelsdirektor in einem landwirtschaftlichen Betrieb und in der Strumpffabrik, und zum Schluss Direktor in der Firma SC Getax SA.“ ... Oh, ja, klingt nicht schlecht für einen Intendantenposten an einem Theater. Da wird wenigstens die Bühnenmechanik einwandfrei funktionieren, die Schauspieler werden regelmäßig mit frischem Obst und Gemüse versorgt und bekommen bestimmt keine kalten Füße - selbst bei der weisen Entscheidung des Temeswarer Bürgermeisters nicht. Wie heißt denn der gute Mann? Ich meine der Bürgermeister? Steht das auch in der Zeitung? … Du bist ja plötzlich so still. Diese rumänischen Wertvorstellungen scheinen dir nicht zu bekommen. Soll ich etwas Starkes bestellen?
- Ja bitte. Aber Doppelte!

Der November ist nicht von ungefähr der das Gemüt bedrückendste Monat des Jahres.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen