"Reden zur Einheit Deutschlands", Stadt Ingolstadt, 2. Oktober 2018
Nachdenklich, aber nicht belehrend – wie will man
das beim Thema Zukunft auch sein – klang gestern Abend Prof. Dr. Kurt Biedenkopf bei seiner in
Ingolstadt gehaltenen Festrede zum Tag der Deutschen Einheit. Diese „Reden zur
Einheit Deutschlands“ wurden seit1997 schon von vielen bekannten Persönlichkeiten aus Politik, Literatur und Kirche gehalten.
Zeitzeugenschilderungen sind eigentlich das, was man sich von so einer Rede
erhofft. Und die wurden in den meisten Fällen auch geboten. Bei Kurt Biedenkopf (*1930) war es etwas
anders.
Kurt Biedenkopf hält in Ingolstadt die "Rede zur Einheit Deutschlands" |
Der ehemalige Generalsekretär der CSU,
wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und von
Oktober 1990 bis April 2002 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen hat sich
der Zukunft angenommen. Ein schwieriges, wenn nicht gar unmöglich zu
beackerndes Feld. Diese Wahl war auch nicht ganz freiwillig, sondern entstammt
einem Wunsch des Gastgebers, Ingolstadts Oberbürgermeister Dr. Christian Lösel, wie Biedenkopf mit einem verschmitzten
Lächeln dem Auditorium verriet.
So als ob ihm bekannt wäre, dass Lösel ein großer Fan diverser Flugkörper und anderer Visionen ist.
Weil aber Zukunft ohne Gegenwart und Vergangenheit nicht
existieren kann, hat der Redner seinen Vortrag naturgemäß mit einem Rückblick
begonnen. Nur kurz, aber interessant: „Der Beitritt der DDR zur BRD fand um 1
Uhr nachts, in einer Sitzung der DDR-Volkskammer statt.“ (Genau am 23. August 1990, um 2:47 Uhr.) Ein „kommunistischer
Abgeordneter“ fragte nach der Verkündung des Ergebnisses „Wisst Ihr überhaupt,
was Ihr da tut?“, und die Antwort war ein mächtiger Applaus. „Finden Menschen
aus Ost und West überhaupt zusammen?“, war dann die Frage, die sich Vielen
schon bald nach dem Vollzug der Deutschen Einheit stellte. Kurt Biedenkopf sprach die großen Unterschiede der Mentalitäten in
den zwei so lange getrennten Landesteilen an. Er erinnerte daran, dass „die
Menschen in der DDR von 1933 bis 1989 in zwei Diktaturen lebten“ und plötzlich
Probleme im Umgang mit der gewonnenen Freiheit hatten. „Es gab eine Zeit, da
wussten die Menschen nicht, was besser war“, sagte der Redner, um gleich darauf
hinzuweisen, dass es den Westdeutschen 1945 ähnlich ergangen war. Nur lag das
im Jahr der Vereinigung schon lange zurück. Man war in beiden Konstellationen
eigentlich gewöhnt, „alles vom Vater Staat zu erwarten“. Und gerade das ist
falsch, denn es bedeutet „Preisgabe von Freiheit“.
Fotos: Anton Potche |
Die ganze Rede war ein sachlich, mit vielen nachdenklich
stimmenden Nebensätzen vorgetragenes Plädoyer für die Demokratie. Dazu passten
die harmonischen Klänge eines Streichquartetts aus Musikern des Georgischen
Kammerorchesters. Schrille Töne passen an einem solchen Abend nicht.
Die Freude über die Deutsche Einheit sollte im Wohlklang liegen. So, wie die
vier Musiker es dem Auditorium vorgemacht haben: mit Divertimento B-Dur, 1. Satz von Wolfgang Amadeus Mozart, dem Kaiserquartett
(Deutsche Nationalhymne) von Joseph
Haydn und zwei georgischen Miniaturen (Glühwürmchen
und Indi Mindi) von Sulchan Zinzadse. Und spätestens, als Zurab Shamugia mit dem Schlusston sein
Violocello wie eine Harfe klingen ließ, dürfte jedem Anwesenden klar geworden
sein, dass er soeben an einer würdigen Feier eines der erfreulichsten
Ereignisse der deutschen Geschichte (wenn nicht des erfreulichtesten) teilgenommen
hat.
(Leider, leider gibt es zu diesem Gefühl einen krassen
Widerspruch in Ingolstadt. Heute, am Nachmittag des 3. Oktober, haben die
Geschäfte in der Innenstadt geöffnet und statt dankbarer, entschleunigender
Lebensfreude sowie gepflegtem Geschichtsbewusstsein, wird Konsumrausch
zelebriert – eine beschämende Entzauberung unseres nationalen Feiertags.)
Anton Potche
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen