Montag, 9. September 2019

Ein cooler Typ, dieser Toni Erdmann

Am 2. September hatte Das Erste das Drama Toni Erdmann zur besten Fernsehstunde im Programm – in der Reihe Sommerkino im Ersten. Eine gute Idee, denn dieser Film, den ich übrigens nicht wie im Programmheft angekündigt als Drama empfand, hat es verdient von vielen Menschen gesehen zu werden. Das tragikomische Konzept dieses Streifens stützt sich auf eine höchst spannungsgeladene und gleichsam von merkwürdigen Vater-Tochter-Sympathien getragenen Handlung. Ein pensionierter Lehrer, Winfried, reist seiner Tochter Ines, eine im Beratungsmanagement ziemlich erfolgreiche junge Frau, bis nach Bukarest hinterher, um sich - für den Zuschauer auf höchst amüsante Art und Weise - ins Berufsleben seiner Tochter  einzumischen.
Toni Erdmann und Ines in Bukarest
Foto: SWR / Patrick Orth


Das tut er ab einem gewissen Zeitpunkt allerdings nicht als Winfried, sondern als Toni Erdmann, ein kauziger Typ, mit schwarzer Perücke und überstehender Zahnprothese. Natürlich hat die immer gestresste und unter dauerndem Erfolgsdruck stehende Ines ihren Vater sofort erkannt. Er könnte ihrer Karriere abträglich werden. Sie schickt ihn zwar weg, jagt ihn aber nicht davon. Dazu ist die Tochter-Vater-Bande eben zu fest, ja sie entpuppt sich als unzerreißbar. Aus dieser Unfähigkeit zur Trennung entwickelt sich ein fesselndes Spiel mit vielen komischen Situationen, die es auch ermöglichen, Einblicke in die Bukarester Geschäftswelt zu werfen. Die Betonung liegt aber eher auf dem Innenleben der Managerwelt als auf Bukarest. Was sich dort so zuträgt, kann überall in der Welt vorkommen. Das hat jedoch nichts mit filmischer Belanglosigkeit zu tun, sondern eher mit Filmkunst. Und die liegt in diesem Fall in der Schauspielkunst hoher Schule, die hier von den zwei Hauptdarstellern geboten wird.

Ines (Sandra Hüller) ist total verärgert. Ihre Blicke in die Runde, ihr unaufhaltsames Spähen, kommt er, kommt er nicht, was fällt ihm nicht noch alles ein, erzählen Bände. Man muss dieses Ertragen als Darstellerin erst einmal glaubwürdig hinkriegen. Die verzwickten und höchst komischen Situationen im Salon, die Nacktszenen, die den Zuschauer wohl an Ines’ Verstand zweifeln lassen, und nicht zuletzt die so zauberhaft gespielte Unfähigkeit zum Zürnen werden sehr überzeugend von Sandra Hüller gemeistert. Es dreht sich in diesem Streifen um ein psychologisches Spiel und nicht um eine Aneinanderreihung lustiger Szenen, aber auch nicht um ein Tränen generierendes Drama. Und schon längst nicht um Gut und Böse und zum Schluss um Sieg und Niederlage.

Es geht eigentlich mehr um ein großes Rätsel: Warum macht Winfried, alias Toni Erdmann, das alles? Dieses Geheimnis dem Zuschauer mit auf den Heimweg zu geben, ist die schwere Aufgabe des grandiosen Peter Simonischek. Sein Toni Erdmann ist eine lästige und gleichsam liebenswerte Figur. Man kann ihm trotz aller Schrullen nicht böse sein. Simonischek demonstriert hier die Kunst des intensiven Spiels mit kargen Worten und zurückhaltender Gestik.

Maren Ade hat bei diesem berührenden Filmepos Regie geführt. Und sie ist auch hinausgegangen aufs Land, dort wo das Leben der meisten Rumänen sich abspielt. Es sind keine dokumentarischen Aufnahmen, die sie uns gemeinsam mit Kameramann Patrick Orth zeigt, und auch keine moralisierenden. Sie lässt ihren unterschwelligen Humor spielen und zeigt uns unter anderem auch, wie sich ein Mensch in Notdurftbedrängnis in einem fremden Kulturraum verhält. Und vor allem wie die Dorfmenschen auf das linkische, unsichere Auftreten Toni Erdmanns reagieren. Solche kleinen Nebensächlichkeiten entwickeln sich zu Höhepunkten des Handlungsstranges. Das lässt den Zuschauer nicht ermüden. Er merkt kaum, dass der Film seinem Ende zurollt, und wünscht sich dass es weitergeht, auch dann noch, als Ines und ihr Vater längst wieder zurück in Deutschland sind.

Toni Erdmann; D 2016; mit Peter Simonischek, Sandra Hüller, Michael Wittenborn u.a.; Regie und Buch: Maren Ade; Kamera: Patrick Orth; 162 Minuten.

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