Heidrun Hamersky, Ilse Hehn, Wolfgang Schlott (Hg.): „Die
Sehnsucht, die ist mir so leicht“
- Schreiben im Exil; POP-Verlag, Ludwigsburg, 2016; 282 Seiten; ISBN
978-3-86356-131-4; 19,90 € [D], 20,50 € [A]
„Wie ein entfesselter Strom
ergießt sich seit einigen Jahren ein Chaos von Büchern über die
Köpfe der erschrockenen, verschüchterten, hilflosen Zeitgenossen.
Es wimmelt von neuen Namen und geschraubten Titeln.“ Das ist kein
Zitat aus einem Feuilleton von heute oder gestern. Es ist gut 104
Jahre alt und entstammt einer Nummer der Wiener Zeitschrift DIE
FACKEL. Aktuell ist es aber nach wie vor. Und es schreckt Gerneleser
auch heute nicht ab, sich immer wieder in dieses „Chaos von
Büchern“ zu stürzen. Ob mit oder ohne geistigen Gewinn ist sowohl
„von [den] neuen Namen und geschraubten Titeln“ als auch von
jedem Leser selber abhängig.
Mein
kleines, aber langsam unüberschaubar werdendes Bücherchaos hat
kürzlich eine Bereicherung erfahren. Die
Sehnsucht, die ist mir so leicht – Schreiben im Exil
heißt die Anthologie, die jetzt, nachdem ich sie gelesen habe,
irgendwo in diesem Chaos verschwinden wird – doch ohne aus mir
einen „erschrockenen, verschüchterten, hilflosen Zeitgenossen“
zu machen.
Und auch nicht, um auf
(meine) Lebzeiten dort zu verschwinden. Das Haus verliert nichts,
weiß der Volksmund. Und ein nicht verlorenes Buch behält die
Chance, irgendwann mal wieder in die Hand genommen zu werden. Das
gilt verstärkt für Anthologien, die sich doch so schön zum
Schmökern eignen.
Dass an dem Titel und besonders
dem Nomen „Exil“
herumgeschraubt wurde, war mir schon klar, als ich das
Inhaltsverzeichnis überflog und unter den vielen neuen Namen auch
altbekannte antraf. Und die alle sollen Exilanten sein, also von den
Umständen gezwungen hier in Deutschland leben und sich literarisch
betätigen?
Exil, lehrt mich der Duden,
kommt von dem lateinischen exilium. Ex(s)ul heißt „in der Fremde
weilend, verbannt; Verbannter“. Und wahrlich, man findet in dieser
Anthologie Namen wie Shahla
Aghapour aus Teheren,
Ali Akondoh
aus Togo, Karel
Kukal-Beyeler (1927 –
2016) aus der Tschechoslowakei oder Helîm
Yûsiv
aus Syrien. Dazu kommen noch Autoren aus den Gebieten der ehemaligen
Sowjetunion, Polen und dem Balkan, die den Status eines Exilanten für
sich in Anspruch nehmen. Sie alle sind Mitglieder im „Exil-P.E.N.
deutschsprachiger Länder“. (Gemeint sind Autoren, die in
deutschsprachigen Ländern im Exil leben.) Und sie alle, darf man
annehmen, wurden in ihren Ländern verfolgt oder gar von dort
„verbannt“. Sie „weilen“ also „in der Fremde“ wie
weiland der große Römer Ovid.
Aber
die vielen Rumäniendeutschen oder deutsch schreibende Rumänen, die
diese Anthologie bevölkern? Von 50 Autoren dieses Buches kommen
immerhin 18 aus Rumänien. Wie viele von ihnen „verbannt“ wurden
und jetzt mit gebrochenem Herzen in Deutschland leben müssen
(natürlich sehnsüchtig einer Rückkehr in die geliebte Heimat
harrend) oder wie viele ihren Obolus entrichtet haben, um in das
ökonomisch prosperierende Deutschland zu gelangen, ist den Kurzvitas
nicht zu entnehmen. Unangefochten
muss angesichts dieser offenen
Fragen aber bleiben, dass
ein Mitglied eines Exilvereins sich wahrscheinlich auch als Exilant
fühlen wird. Also tut man als Leser gut daran, die hier versammelten
Autoren auch als solche zu betrachten, sonst könnte man
versucht sein, sich Zweifel
ob des wahren Status des ein oder anderen Exil-P.E.N.-Literaten
hinzugeben.
Also
lassen wir stellvertretend
einige Texte sprechen.
Lyrik, Prosa und Schwarzweißreproduktionen von gemalten Bildern, für
die Shahla Agapour
und Ilse Hehn
signiert haben, füllen diese Blumenlese.
Die Autorinnen und Autoren
gewähren uns Einblick in ihr Seelenleben (besonders in den
Gedichten), in ihre alte Heimat und in ihre Anpassungsmühen im
„Exil“. Ab und zu
wird man beim Lesen auch an selbst Erlebtes erinnert. Hans
Bergels Sage Die
drei Tode des Prinzen
führte mir den Busfahrer in den Ostkarpaten vor Augen, der den
Touristen ähnliche Geschichten erzählte. Lang, lang istʼs her.
Henrike Brădiceanu-Persem
schreibt über
Die nackte
Angst. Traum und
Wahn, das ist keine gute Symbiose. Wolfgang
Davids Reisereportage
Malta-Erfahrungen
endet eigentlich zurück in Berlin und der
Autor bekommt auf seine
Frage, ob der Bus an einer gewissen Straße halte, die Antwort:
„Wieso? Seh ick
so aus?“
Dagmar Dusils
Prager Variationen sind Liebeserklärungen an „Stein
gewordene Erinnerungen“. Muss man vertrieben, verschleppt oder gar
Abkömmling von Ermordeten sein, um einen Ort als Tourist so intensiv
erleben zu können? Anscheinend ja. Ich bemühe mich auch immer um
Empathie für meine (freiwillig!) verlassene Heimat. Aber irgendwie
will es mir nicht so richtig gelingen.
Das kafkaeske Element wird nie
mehr aus der Literatur verschwinden. Vadim Fadins Geschichte
mit glücklichem Ende ist so ein Beweis dafür. Skurril, grotesk.
Von Ilse Tschörtner stammt die Übersetzung dieses Textes aus
dem Russischen.
Steliana Huhulescu hat
einen Brief an Adrian verfasst. So sehen
Rechtfertigungsschriften aus. Die Form, hier ein Brief, ist
unerheblich. Ihre Inhalte transportieren in der Regel Hilflosigkeit.
Einen Auszug aus einer
umfangreicheren Erzählung mit dem Titel Sehnsuchtsstreifen
hat Katharina Kilzer zu dieser Anthologie beigesteuert. Eine
Fluchtgeschichte, deren Ausgang wir hier nicht erfahren. Sie spielt
an der rumänisch-jugoslawischen Grenze. Besonders Banater Schwaben
werden ihr viel abgewinnen können. So oder so ähnlich haben es
viele von ihnen selbst erlebt.
Und so arbeitet man sich von
Prosastück zu Prosastück und von Gedicht zu Gedicht vorwärts. Eine
interessante Idee, einige der Gedichte in Originalschrift (arabisch,
kyrillisch) abzudrucken und seitenparallel die deutsche Übersetzung.
Poesie kann auch etwas für das Auge sein.
Diese Blumenlese ähnelt doch
sehr der Zeitschrift MATRIX, die auch vom POP-Verlag in Ludwigsburg
herausgebracht wird. Die Unterbringung von so vielen Autoren, war
eigentlich nur möglich, weil man keine langen Texte aufgenommen hat.
Für viele Leser gilt sowieso: In der Kürze liegt die Würze. Du
kannst beim Lesen kaum den Faden verlieren.
Anton Potche
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