Montag, 19. April 2021

Wiederkehr und Wiederverschwinden einer Fernsehsendung

Irgendwie war mir diese Fernsehsendung abhanden gekommen. Jetzt, im zweiten Pandemiejahr, war sie plötzlich wieder da. Woran es lag weiß ich nicht, am ausstrahlenden Sender oder an meinem PC. Ob gar ein automatisches Update mir die Sendung wieder auf den Bildschirm brachte, wird ein ewiges Geheimnis bleiben. Soll es ruhig! Wichtig ist, eine Gewohnheit, die ich in den letzten Jahren verinnerlicht hatte, kann sich wieder in meinem Wochenrhythmus festsetzen: das Anklicken der deutschen Sendung AKZENTE, ausgestrahlt vom rumänischen Fernsehsender TVR+ (Televiziunea Română) jeweils donnerstags um 14 Uhr 10 deutscher Zeit. Und vielleicht noch wichtiger: Die Mediathek mit bis in den Frühling des ersten Pandemiejahres zurückreichenden Sendungen ist abrufbar.

Also machte ich mich frohgemut und voller Erwartungen an die Arbeit. Das heißt, ab der ersten verfügbaren Sendung. Weil die aber wie alle anderen auch um die 90 Minuten dauerte, klickte ich mich eben durch und verweilte bei mir interessanten Themen. Ich kam relativ gut vorwärts, bis zu jener Sendung vom 24. September 2020. Irgendwie hatte ich die Herrschaft über meine Maus verloren. Sie wollte partout nicht weiterklicken. Das war aber kein motorikbedingtes Problem, sondern ein geistiges. Und Schuld an der Situation waren die an jenem Tag gesendeten Inhalte.

Screenshot: Anton Potche
Es ging los mit der 30. Auflage der Reschitzaer Deutschen Literaturtage. Das war eine gemischte reale und virtuelle Veranstaltung mit 80% Onlinebeiträgen. Vor allem war sie technisch gut gemacht. Und auch inhaltlich war sie auf der Höhe. Garant dafür waren Teilnehmer wie Nora Iuga, die bereits legendäre zweisprachige Dichterin aus Bukarest - sie las rumänische Gedichte und Beatrice Ungar von der HERMANNSTÄDTER ZEITUNG die deutsche Fassung -, Christel Ungar, die nicht nur seit Jahren die deutsche Sendung des Rumänischen Fernsehens leitet, sondern sich auch als Lyrikerin versucht, Hochschullehrerin Carmen-Elisbeth Puchianu mit einer theatralischen Rezitation, die durchaus auch an Paul Celans jedes Wort betonenden Vortragsstil erinnert, oder Lucian Vărșăndan, Theaterintendant & Lyriker, dem angeblich wieder die Leitung des Deutschen Staatstheaters Temeswar anvertraut werden soll. Zu den Jüngeren in diesem bewährten Reigen stießen zu diesem Anlass auch Bianca Barbu und Arnold Schlachter, beide aus Temeswar. Aus Deutschland zugeschaltet war Horst Samson. Der Motor dieser Literaturtage in Reschitza war auch heuer wie seit vielen Jahren Erwin Josef Țigla. (Die angeführten Personen waren nur die in Wort- und Bildbeiträgen zu sehenden Protagonisten. Es gab natürlich noch andere Teilnehmer an dieser außerhalb des deutschen Sprachraums einzigartigen deutschen Literaturveranstaltung.)


Ich war zufrieden und wollte weiterklicken, wenn, ja wenn der folgende Beitrag nicht schon nach den ersten Sekunden meine Aufmerksamkeit gefesselt hätte. Ein Festival der Oper und Operette im Freien“ kündigte die Moderatorin Sonia Argint Ionescu an. Die Rumänische Nationaloper Temeswar gestaltete ihre Saisoneröffnung mit mehreren Freilichtkonzerten im Sommergarten der Philharmonie Banatul. Christian Rudic, Intendant der Temeswarer Oper, erzählt in dem Filmbeitrag von den Problemen der Kunst in Rumänien, die kaum von denen anderer Länder differieren, und bleibt optimistisch: „Wir hoffen, die Welt fängt wieder an zu singen.“ Künstlerisch können das Orchester der Nationaloper Temeswar und ihre Solisten sich wirklich sehen und hören lassen. Die zwei Dirigenten, Mihnea Ignat, mit neuem Engagement, und der etablierte Peter Oschanitzky, haben das Ensemble – mit dem nach 20 Jahren von der Wiener Staatsoper zurückgekehrten Tenor Cosmin Ifrim - gut im Griff. Davon kann man sich von den musikalischen Einspielungen in dieser Fernsehreportage einen Eindruck machen. Peter Oschanitzky meint dann auch, für ihn sei die „Operette eines der schwersten Genres in der Musik“. Dort treffen „Prosa, Musik und Tanz“ aufeinander und „der Dirigent muss das alles irgendwie beherrschen“, damit die Vorstellung ein Erfolg wird.

Erfolg können solche Fernsehsendungen beim Publikum durchaus haben – besonders dann, wenn ihnen eine spürbare Steigerung innewohnt. Der folgende Film handelt von der Geschichte der Deutschen im Banat. Für einen bekennenden Banater Schwaben war es da aus purer Neugierde unmöglich, die Maus weiterklicken zu lassen. Zu Recht, denn der Beitrag hebt sich etwas von den vielen im Internet abrufbaren Reportagen und Videos zu diesem Thema ab. Sein Titel ist schlicht und einfach HEIMAT und sein Inhalt fast jedem Banater Schwaben bekannt.

Nur die Art der Präsentation unterscheidet sich von allen bisherigen: Das Thema ist trotz seiner historischen Seriosität mit einem Augenzwinkern dargestellt. Und das hält dann sogar einen Kenner der Materie davon ab, einfach zu Beginn oder irgendwo in der Mitte der Filmreportage seine Computermaus zu betätigen. Diese Art der Darstellung eines geschichtlichen Themas ging dann auch solange gut, solange man sich auf rein historischem Terrain bewegte. Etwas kitschig – ich würde sagen, etwas zu viel des Augenzwinkerns – wurde es dann, als man die Geschichte verließ und in die Gegenwart eintrat. Für Zuschauer, die das Banat nie kannten, mag ein Hochzeitszug in Kirchweihtracht in der Tat ein farblich stimmiges Bild abgeben. Auch ein großer banatschwäbischer Trachtenreigen mit aus Deutschland anlässlich eines Festes heimgekehrten Aussiedlern vor der Oper in Temeswar, im Film alsZukunft in Rumänieninstrumentalisiert, dürfte für Nicht-Banater problemlos hinnehmbar sein. Schließlich gehört ja Folklore auch zur Geschichte. Aber nur, wenn sie wahrheitsgetreu dargestellt wird. Wer es aber mit der Wahrheit nicht so todernst meint, kann sich immerhin noch auf Erich Kästner beziehen, der einmal meinte: „Wahr ist eine Geschichte dann, wenn sie genauso, wie sie berichtet wird, wirklich hätte passieren können.“ Also wirklich, eine Kerweih-Hochzeit wäre doch eine runde und bunte Sache.

Und das sympathische Augenzwinkern? Das verdankt der Film vor allem dem Sprecher Boris Gaza. Regie führte Adrian Drăgușin und das Drehbuch stammt von Tiberiu Stoichici. Ein wirklich sehenswerter Streifen.

Das ist die Sendung, die ich meine: https://www.tvrplus.ro/emisiuni/akzente-70-3715 . Kaum habe ich diesen Link hierher kopiert und schon funktioniert er nicht mehr – zumindest auf meinem PC. So (anscheinend) unverhofft diese Sendung im vergangenen Herbst „wiederkehrte“, so unerwartet ist sie auch wieder „verschwunden“. Ach, würde doch Corona sich auch so schändlich verhalten.

Anton Potche


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen