Es ist so bitter kalt an diesem 5.
März 2022. Und mich plagt das verrückte Gefühl, etwas tun zu
müssen ... gegen diesen barbarischen Krieg, am 24. Februar vom Zaun
gebrochen von einem irrsinnigen Diktator in Moskau. Er lässt seine
Armee das Nachbarland Ukraine zerstören. Willkür in denkbar
höchster Ausprägung. Und ich fühle mich seit Tagen so hilflos und
wütend. Und vor allem ohnmächtig! Ich muss hinaus in die bittere
Kälte. Dort gibt es bestimmt Gleichgesinnte. Das beruhigt. Zumindest
für ein, zwei Stunden, oder wie lange so eine Demonstration dauert.
Schon auf dem Weg zum Ingolstädter
Paradeplatz scheint mir am Sitz der Johanniter – im gleichen
Gebäude mit der ESV-Sporthalle - ungewöhnlich viel Betrieb zu sein.
Nur wenige hundert Meter weiter ist die Paul-Wegmann-Sporthalle von
Rotkreuzfahrzeugen regelrecht belagert. In meiner Naivität kommt mir
nicht in den Sinn, dass das alles etwas mit meinem angepeilten Ziel
zu tun haben könnte: die Antikriegsdemonstration auf dem
Paradeplatz. Als ich vom Fahrrad steige (wie gewöhnlich bin ich spät
dran) spricht schon der Oberbürgermeister von Ingolstadt zu den
versammelten Demonstranten. Viele tragen blau-gelbe Fähnchen und
Fahnen: Himmel & Weizen.
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OB Christian Scharpf |
Die Ukrainer
kämpfen und fallen für ihre Unabhängigkeit, für ihre Freiheit.
Aber viele von ihnen sind auf der Flucht vor dem Bösen. Besonders
Frauen mit ihren Kindern. Und sie kommen auch zu uns. Täglich mehr.
OB Christian Scharpf (SPD) spricht gerade von ihnen:
„Wir wollen und werden die Ukrainerinnen und Ukrainer, die zu uns
kommen und bei uns Schutz suchen, bei uns aufnehmen. Und wir tun als
Stadt gerade alles, um dies schnell zu organisieren. […] Wir haben
beschlossen, dass wir eine Hilfsunterkunft einrichten werden, und die stand um 18 Uhr in der ESV-Halle. Und um 22 Uhr
waren die ersten Flüchtlinge da. Und heute in der Früh‘ hat sich
herausgestellt, die Kapazität ist bereits zu drei Viertel belegt.
Wir haben dann in aller Früh' gleich die Paul-Wegmann-Halle
hergerichtet […] für weitere 100 bis 200 Flüchtlinge.“ Jetzt
weiß ich es. Die Folgen des Krieges in der Ukraine, ca. 1800 km
entfernt von hier, sind in unserer unmittelbaren Nähe angekommen, in
unserer Straße und in der Nachbarstraße. Der Oberbürgermeister
spricht weiter von Solidarität und der Hilfsbereitschaft aller mit
diesem Flüchtlingsstrom tangierten Organisationen in der Stadt, aber
auch der Bürger. Und er wird emotional, wenn er in die Menge ruft
(die Lokalzeitung berichtet von 400 Teilnehmern, ich glaube, es waren
weniger): „Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein. Das ist
eine Politik des 19. und 20. Jahrhunderts, die wir jetzt erleben.
Dass man in Europa meint, Grenzen verschieben zu können, das war für
mich unvorstellbar bis vor einer Woche. Das ist der Krieg von
Wladimir Putin. Das ist nicht der Krieg des russischen Volkes gegen
seine Brüder und Schwestern in der Ukraine.“
Dieser Meinung
sind in diesen Tagen viele, sehr viele Menschen in Europa. Das ist
auch immer wieder, mehr oder weniger direkt angesprochen, die
Auffassung aller Redner, die auf dieser Kundgebung das Wort
ergreifen. Der Name Wladimir Putin schwebt wie ein
zerstörerischer und Ängste einflößender Geist über den Köpfen
der Anwesenden. In Ingolstadt leben ungefähr 5000 Menschen mit
russischem und rund 1600 Menschen mit ukrainischem
Migrationshintergrund. Und das veranlasst den Oberbürgermeister auch
zu folgendem Aufruf an die Bürger Ingolstadts: „Wir dürfen es
nicht zulassen, dass wir uns in unserer Stadt auseinanderdividieren
lassen, uns gegeneinander aufhetzen lassen.“ Dass diese Gefahr
durchaus besteht, verdeutlicht auch die Stadträtin der Linken Eva
Bulling-Schröter an einem Beispiel, als sie
erzählt, dass eine russischstämmige Geschäftsfrau sie angerufen
und gefragt hat, ob sie sich jetzt fürchten müsse.
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Fotos: Anton Potche |
Deutliche
Worte für all das, was jetzt in Osteuropa passiert, findet auch der
CSU-Stadtrat und Landtagsabgeordnete Alfred Grob: „Wir
befinden uns mitten in einem schrecklichen Krieg, der inmitten von
Europa tobt und den der russische Präsident, das muss man hier klar
und deutlich sagen, Wladimir Putin angeordnet hat und, koste es was
es wolle, auch eskalieren lässt. […] Ich glaube, dieser Mann weiß
überhaupt nicht, was er tut, und ist mittlerweile außer Rand und
Band. […] Putin ist ein Kriegsverbrecher.“
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Halyna
Havryliak & Alexander
Reis |
Repräsentanten
aller im Stadtrat Ingolstadt vertretenen Parteien außer der AfD
haben sich mit Ansprachen bei dieser Antikriegsdemonstration zu Wort
gemeldet. Und weil auch solche Veranstaltungen einer guten Regie
bedürfen, bittet der Initiator dieser Kundgebung, Alexander Reis,
ein Russlanddeutscher, der schon vorab im DONAUKURIER mit der
Feststellung zitiert wurde „Es ist kein Krieg der Russen. Es ist
Putins Krieg“, die aus der Ukraine geflüchtete Halyna Havryliak
auf die Rednerbühne. Spätestens jetzt spürt so manches Auge eine
zarte Träne. Die Frau spricht in sehr gutem Deutsch von ihrer Flucht
aus der Kriegsregion, von ihrem Kind und ihrem dort zurückgebliebenen
Mann.
Es ist so
bitter kalt. Und es fröstelt mich auf dem Heimweg noch deutlich
spürbarer als auf dem Hinweg. Diesmal schaue ich genau hin und habe
eine Erklärung für die zwei schmächtigen, erkennbar
eingeschüchterten Frauen mit je einem Rollkoffer vor einer Bank an
der Paul-Wegmann-Halle. Mein Gott, es ist dieselbe Bank, auf der ich
vor Jahren immer saß und meiner Enkelin beim Spielen zuschaute,
während wir auf Oma, die von der Arbeit kam, warteten. Normalität,
Herr Putin, Normalität! Mehr wünschen sich auch diese
zwei Frauen nicht. Ihnen das zu gewähren, kann doch unmöglich so
schwer sein … für einen normal denkenden Menschen.
Anton
Potche
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