Und doch lebendig, könnte man sagen. Fast. Wäre da nicht das Erinnern an Rolf Bossert. Er
ist tot. Und damit sind wir nolens volens bei der Aktionsgruppe
Banat. Und bei einem runden Geburtstag. Am 2. April 1972 soll
diese Gruppe junger, sehr junger Dichter in einem Redaktionsraum der
NEUEN BANATER ZEITUNG in Temeswar ins Leben gerufen worden sein.
Klingt nach einem Aprilscherz. War es aber nicht. Oder doch?
Vielleicht, wenn man bedenkt, dass es den jungen literarischen
Kombattanten gar nicht bewusst war, dass sie gerade eine
geschichtsträchtige Aktions vollzogen, die so manchem von ihnen noch
Kopfzerbrechen bereiten sollte. Dabei haben sie doch nur diskutiert,
beschwören sie heute noch. Aber geschehen ist geschehen. Wenn die
Geschichte mal von dir Besitz ergriffen hat, gibt es kein Entrinnen
mehr.
Aber es gibt immer noch verschiedene
Formen des Erinnerns. Etwa ein Gespräch über die Aktionsgruppe
Banat, ein Gespräch unter
sechs Augen, geführt von einem Literatur- und Kulturbesessenen und
zwei Gründungsmitgliedern dieser Gruppe. Und bei YouTube oder
Facebook noch immer abrufbar. Die Protagonisten dieses sehr
interessanten Gesprächs: Erwin
Josef Țigla,
der Initiator, und die zwei
Kombatanten aus alten Zeiten,
Dr. Anton
Sterbling und Albert
Bohn.
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Erwin Josef Țigla (l.) und Anton Sterbling
Screenshot: Anton Potche |
Eigentlich
begann alles ganz harmlos in einem Großsanktnikolauser Lyzeum. Dort
trafen sich junge Burschen, die mehr als Fußball und Mädels im Sinn
hatten. Nämlich auch Literatur. Anton
Sterbling
erwähnt Werner
Kremm,
William
Totok,
Johann
Lipett
und Richard
Wagner.
Er selber stieß ein Jahr später zu dieser Gruppe. Während
der folgenden
Studentenzeit kamen
noch Gerhard
Ortinau,
Ernest
Wichner,
Albert
Bohn
und Rolf
Bossert dazu.
Was ging in den jungen Köpfen vor, kann man sich fragen. Sterbling
spricht von „Entdeckung der Welt“, „Erkennung der Welt“,
„Erschließung der Weltdarstellung“ und von einer „Zeit der
intellektuellen Prägung“. E.
J. Țigla
versucht
durch seine Fragestellung, die Atmosphäre jener Zeit
in
der rumäniendeutschen Literaturszene zu
eruieren.
Und Sterbling
lässt sich nicht zweimal um Auskunft bitten. Da waren sie, die
Mitglieder der Aktionsgruppe
und ihnen nahe stehende Freunde wie etwa Helmuth
Frauendorfer,
Roland
Kirsch,
Herta
Müller,
Horst
Samson
und Werner
Söllner.
Es gab aber auch als
Autoritäten
geltende
Schriftsteller und Literaturkritiker der deutschen Sprache. Erwähnung
finden in diesem Gespräch Paul
Schuster,
Gerhardt
Csejka,
Anemona
Latzina,
Helga
Reiter,
Peter
Motzan
und Bernd
Kolf.
Und
es gab
„zu
den anderen eher ein kritisches Verhältnis. [...] Das war schon eine
gesunde Konkurrenz, die sich damals auch entwickelt hat.” Und
wichtig war auf jeden Fall die Unterstützung, die aus den Reihen
der Älteren trotzdem
kam.
Natürlich
fällt in dem Gespräch
auch irgendwann das Wort „Securitate”. Da gibt es bestimmt in der
Aktionsgruppe
und bei anderen rumäniendeutscher Schriftstellern
dieser Generation verschiedene Empfindsamkeiten, die etwas mit der
Auswanderungszeit der Betroffenen zu tun haben.
Anton
Sterbling und
Ernest
Wichner sind
schon 1975, dem Jahr der Zerschlagung dieser Gruppe, in die
Bundesrepublik Deutschland ausgewandert, während die anderen noch
Einiges
durchmachten, bis sie Rumänien freiwillig oder notgedrungen
verlassen konnten. Darum heißt es in Sterblings
Stellungnahme auch eher lapidar, dass der Aufmarsch der Securitate
eine
„gewisse Bedeutung“ der Akionsgruppe
Banat
unterstreicht.
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Erwin Josef Țigla (l.) und Albert Bohn
Screenshot: Anton Potche |
Das
zweite Aktionsgruppemitglied in diesem anderthalbstündigen Gespräch
gehört nicht zu den Gründungsmitgliedern, wie er gleich zu Beginn
seiner Einlassung betont, sondern ist zwar auch 1972 zur Gruppe
gestoßen, doch nachdem sie sich schon als solche formiert hatte. Er,
Albert
Bohn,
hatte aber schon literarische Gruppenarbeit im Arader Literaturkreis
Nikolaus Schmidt kennengelernt.
Ausgereist ist er im Jahre 1981
und nicht 1975, wie man bei WIKIPEDIA nachlesen kann.
Er ist eigentlich das Mitglied, von dem man in Deutschland am
wenigsten gehört hat, weil er sich nach seiner Ausreise weitgehend
aus dem literarischen Leben
zurückgezogen hat. Eigentlich
schade, kann man auch nach dieser Online-Veranstaltung mit Fug und
Recht sagen, denn beide Mitglieder
der Aktionsgruppe
lesen
Gedichte aus
ihren Œuvres. Und die sind nicht die schlechtesten. Wie
sich Gelesenes in Dichterköpfen einprägen kann, um sich dann in
Kreation umzuwandeln, kann man sehr gut an Bohns
Gedicht Lied
der Fischer
nachvollziehen. Als ich dieses Gedicht des damals 16-jährigen
Dichters hörte, dachte ich sofort an Paul
Celan.
Und ich erinnerte mich auch gleichzeitig,
dass ich in meinem damaligen Alter Karl
May
regelrecht verschlungen habe, ohne etwas von einem Paul
Celan
gehört zu haben.
Erwin
Josef Țigla
hat
zu diesem Gespräch eingeladen. Und er hat es sich nicht nehmen
lassen, diese Video-Veranstaltung mit einem Paukenschlag zu
schließen: eine Lesung mit
Rolf
Bossert
von einer Electrecord-Schallplatte aus
dem Jahre 1982, die noch weitere Lesungen von Richard
Wagner,
William
Totok,
Horst
Samson,
Johann
Lippet,
Helmuth
Frauendorfer
und Werner
Söllner
enthält. Die Vinyl-Produktion trägt den Titel Junge
deutsche
Dichter aus
dem
Banat – Tineri poeți
germani
din
Banat.
Das
sehr interessante Video wurde am 1. April 2022 auf YouTube
veröffentlicht. Bis heute haben es
66 User dort angeklickt. Wer meint, das wäre wenig, kann sich die
Schilderung von Anton Sterbling zu Gemüte führen. Der
sagt nämlich in diesem Gespräch
(https://www.youtube.com/watch?v=9QX6CuKImt4
) unter anderem auch: „Wir sind dann in der Zeit [Studentenzeit,
A.d.V.] immer wieder mal in den einen oder anderen Ort, auf die
Dörfer gefahren. Das war so bisschen die Naivität, die Literatur
bekannt zu machen durch Lesungen. […] Die Resonanz war nicht allzu
groß, wie man sich das vorstellen kann. Und auch das Verständnis
für unsere Art von Literatur war wahrscheinlich auch begrenzt bei
der banatschwäbischen Bevölkerung. Wie überhaupt, wer lässt sich
schon von Literatur gewöhnlich ansprechen? Das sind immer nur
kleinere Bevölkerungsteile, Bevölkerungsgruppen.“ (Selber Schuld,
würde ich sagen. Warum haben die Jungs sich keine Blaskapelle zu
ihren Lesungen eingeladen?)
Anton Potche
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