Montag, 16. Januar 2023

Der Mann mit den vielen Trompeten

 Ein ereignisreicher Konzertabend 

„Die Woche hat sieben Tage und ich habe sieben Trompeten.“ Das sagte der Trompeter Reinhold Friedrich gutgelaunt dem Konzertpublikum im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt. Und er hatte allen Grund, gut gelaunt zu sein, denn dieser Tag hätte auch anders ausgehen können. Es ist der Vormittag des 12. Januar 2023 und Reinhold Friedrich absolviert mit der Pianistin Eriko Takezawa und dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt unter der Stabführung der charmanten und lebhaften Dirigentin Anu Tali die Generalprobe für das am Abend programmierte Abonnementkonzert des heimischen Orchesters. Und wie der Teufel oder das Schicksal oder … es will, macht sich eine Trompete des Solisten selbstständig und landet auf dem Parkett. Das Instrument ist nicht mehr bespielbar. Der Künstler braucht es aber, es ist eine von fünf Trompeten, die in diesem Konzert zum Einsatz kommen sollen. Künstler haben ihre Bekanntschaften, oft sind es helfende Engel. Der Trompetensolist für den nahenden Konzertabend rast nach München … mit der lädierten Trompete … und kommt mit ihr noch rechtzeitig vor Konzertbeginn nach Ingolstadt zurück. Das Instrument ist bespielbar und die gute Laune des Solisten begründet.

Noch hatte er aber etwas Zeit für seinen Auftritt, denn die Georgier eröffneten den Konzertabend mit Fratres für Streichorchester und Schlagzeug von Arvo Pärt (*1935). Der Konzertbesucher erlebt ein immer wieder rauf und runter gespieltes Motiv, das von langen Haltetönen und einer bis zum Äußersten ausgelebten Reduktion geprägt ist. Das ist eine sehr beruhigende Musik. Der Este Arvo Pärt gilt als Vertreter der „Neuen Einfachheit“. Was genau damit gemeint ist, bleibt äußerst umstritten. Wenn es sich wie hier in Fratres um einen dem Gehör wohltuenden dahinschwebenden Dreiklang, rhythmisch am Leben gehalten von einer Klangfarbenkombination aus Große Trommel und Glöckchen, handelt, dann ist das die Musik, die wie keine andere zum Träumen, zum kurzen Ausstieg aus dem Alltag, taugt. Sehr empfehlenswert. Dass man dazu natürlich ein Streichorchester von der Qualität des Georgischen Kammerorchesters benötigt, versteht sich von selbst.

FotoQuelle: Programmheft
Es sollte mit den Haltetönen an diesem Abend weitergehen. Und die wurden von einem der zurzeit namhaftesten Trompeter in den Saal geschleudert. Wenn der Professor für Trompete an der Hochschule für Musik Karlsruhe, Reinhold Friedrich (*1958), auf der Bühne steht, flößt das schon rein von der Statur her Respekt ein. Beginnen dann aber auch noch seine Trompeten zu klingen, dann kann das sowohl schockieren als auch vergnügen. Vor zwei Jahren hat der Startrompeter zusammen mit Eriko Takezawa am Klavier und dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt, am Pult Ruben Gazarian (*1971), das Trompetenkonzert Listen to Our Cry vom israelischen Komponisten Benjamin Yusupov eingespielt. Jetzt, Donnerstag, dem 12 Januar 2023, erklingt es wieder – live mit fast den gleichen Akteuren. Nur Anu Tali statt Ruben Gazarian. Ein Weckruf von Benjamin Yusupov (*1962) kann dich das Atmen vergessen lassen. Da erklingen himmlische Streicherharmonien zerschmettert von Trompetenblitzen. Wen wunderts? Kann ein Klagelied anders klingen? Die Trompetenreihe des Rufers in der Wüste beginnt mit einem Schofar, ein Antilopen-Horn aus der Wüste Negev im Süden Israels. Im Laufe des Konzerts, I Allegro moderato, II Andante con moto, III Rondo: Vivace, treffen sowohl Klangkulturen als auch Klangwidersprüche aufeinander. Immer wieder geraten Trompete, Piano und Orchester in Streit und immer wieder versöhnen sie sich in lyrischen, ergreifenden Momenten. Und es lohnt sich auch dieses Mal, nach dem Einsatz von fünf Trompeten (inklusive Schofar und dem reparierten Instrument), denn das ganze musikalische, hochvirtuose Gezerre um alte biblische Grundsätze endet friedlich. Oder vor Erschöpfung? Das Programmheft zitiert Reinhold Friedrich: „Am Ende von Listen to Our Cry ist nur noch Depression und es gibt keine Hoffnung mehr, einfach kein Saft mehr in der Batterie.“ 

Pause

Johann Andreas Schachtner (1731 – 1795) studierte mal in Ingolstadt. Er war ein vielfältig gebildeter Zeitgenosse: Trompeter, Dichter, Librettist. Und er blieb nicht bei den Jesuiten in Ingolstadt, sondern ging nach Salzburg, wo er Hof- und Feldtrompeter wurde. Und wo er wahrscheinlich Leopold Mozart (1719 - 1787) kennenlernte, denn es gibt Quellen, die berichten, dass Vater Mozart im Sommer 1762 sein Trompetenkonzert D-Dur für den Trompeter Schachtner geschrieben haben soll. Wie auch immer, das Zwei-Satz-Konzertstück ist anspruchsvoll (mit kaum vorstellbaren Höhen) und vor allem auch melodiös – vorwiegend im Allegro moderato (II) –, ein wahrer Ohrwurm entsprechend der Wiener Klassik. Reinhold Friedrich hatte am Donnerstagabend vor allem Spaß an seinem Spiel - allerdings nicht auf einer Naturtrompete, wie sie Schachtner wahrscheinlich benutzt hat, sondern auf einer modernen Piccolotrompete. So war auch garantiert, dass der Ohrwurm aus Leopold Mozarts Feder in Reinhold Friedrichs Interpretation zu einem untrüglichen Ohrenschmaus werden konnte. Der Applaus wollte nicht enden.

FotoQuelle: Programmheft
Und das Konzert war zum Glück auch noch nicht zu Ende, obwohl dem Schluss des Abends eine Irrung zugrunde lag. Im Programm steht nämlich das Konzert für Trompete D-Dur von Joseph Haydn. Das gibt es gar nicht, es gibt nur eins in Es-Dur. Reinhold Friedrich wird das nicht bedauert haben, obwohl ihm sogar das noch zuzutrauen gewesen wäre. Was es aus der Feder Joseph Haydns (1732 – 1809) aber gibt, ist die Sinfonie D-Dur Nr.104 Hob. I:104. Und die ist schön. Wunderschön! Nicht nur wegen dem im Finalsatz durchklingenden kroatischen Volkslied „Oj Jelena“. Wir sind noch immer in der Zeit der Wiener Klassik. Das Kammerorchester im Ingolstädter Festsaal (diese arme Stadt hat leider kein Konzertsaal) ist längst mit Bläsern verstärkt. Und vor dem jetzt symphonischen Klangkörper agiert wie schon den ganzen Abend eine bezaubernde Dirigentin: Anu Tali. Welch eine Anmut … und trotzdem Klarheit in ihrer nie übertrieben wirkenden Gesamtgestik … Präzision nach allen Regeln der Kunst. Ob Adagio – Allegro, Andante, Menuet. Allegro oder Finale. Spiritoso, man hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass dieses in London 1795 komponierte symphonische Musikstück so und nur so und nicht anders interpretiert werden kann. Homogenität in Perfektion. Aber was hilft das? Auch der schönste Musikabend geht einmal zu Ende. So auch dieser.

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Georgier in Ingolstadt eine „Rote Couch“ haben, auf der oft Künstler vor einem Konzert Platz nehmen und dem interessierten Publikum Details von dem bevorstehenden Ereignis preisgeben. An diesem Abend haben an dem Künstlergespräch Reinhold Friedrich, Eriko Takezawa und der Musikwissenschaftler Dr. Marco Frei teilgenommen. Eine sehr gute Initiative des Orchestermanagements, würde ich sagen.

Anton Potche


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen