Ein ereignisreicher Konzertabend
„Die Woche hat sieben Tage und ich
habe sieben Trompeten.“ Das sagte der Trompeter Reinhold
Friedrich gutgelaunt dem Konzertpublikum im Festsaal des
Stadttheaters Ingolstadt. Und er hatte allen Grund, gut gelaunt zu
sein, denn dieser Tag hätte auch anders ausgehen können. Es ist der
Vormittag des 12. Januar 2023 und Reinhold Friedrich
absolviert mit der Pianistin Eriko Takezawa und dem
Georgischen Kammerorchester Ingolstadt unter der
Stabführung der charmanten und lebhaften Dirigentin Anu Tali
die Generalprobe für das am Abend programmierte Abonnementkonzert
des heimischen Orchesters. Und wie der Teufel oder das Schicksal oder
… es will, macht sich eine Trompete des Solisten selbstständig und
landet auf dem Parkett. Das Instrument ist nicht mehr bespielbar. Der
Künstler braucht es aber, es ist eine von fünf Trompeten, die in
diesem Konzert zum Einsatz kommen sollen. Künstler haben ihre
Bekanntschaften, oft sind es helfende Engel. Der Trompetensolist für
den nahenden Konzertabend rast nach München … mit der lädierten
Trompete … und kommt mit ihr noch rechtzeitig vor Konzertbeginn
nach Ingolstadt zurück. Das Instrument ist bespielbar und die gute
Laune des Solisten begründet.
Noch hatte er aber etwas Zeit für
seinen Auftritt, denn die Georgier eröffneten den
Konzertabend mit Fratres für Streichorchester und Schlagzeug
von Arvo Pärt (*1935). Der Konzertbesucher erlebt ein immer
wieder rauf und runter gespieltes Motiv, das von langen Haltetönen
und einer bis zum Äußersten ausgelebten Reduktion geprägt ist. Das
ist eine sehr beruhigende Musik. Der Este Arvo Pärt gilt als
Vertreter der „Neuen Einfachheit“. Was genau damit gemeint ist,
bleibt äußerst umstritten. Wenn es sich wie hier in Fratres
um einen dem Gehör wohltuenden dahinschwebenden Dreiklang,
rhythmisch am Leben gehalten von einer Klangfarbenkombination aus
Große Trommel und Glöckchen, handelt, dann ist das die Musik, die
wie keine andere zum Träumen, zum kurzen Ausstieg aus dem Alltag,
taugt. Sehr empfehlenswert. Dass man dazu natürlich ein
Streichorchester von der Qualität des Georgischen
Kammerorchesters benötigt, versteht sich von selbst.
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FotoQuelle: Programmheft |
Es sollte mit den Haltetönen an
diesem Abend weitergehen. Und die wurden von einem der zurzeit
namhaftesten Trompeter in den Saal geschleudert. Wenn der Professor
für Trompete an der Hochschule für Musik Karlsruhe, Reinhold
Friedrich (*1958), auf der Bühne steht, flößt das schon rein
von der Statur her Respekt ein. Beginnen dann aber auch noch seine
Trompeten zu klingen, dann kann das sowohl schockieren als auch
vergnügen. Vor zwei Jahren hat der Startrompeter zusammen mit Eriko
Takezawa am Klavier und dem Georgischen
Kammerorchester Ingolstadt,
am Pult Ruben
Gazarian (*1971),
das Trompetenkonzert Listen to Our Cry vom israelischen Komponisten Benjamin Yusupov eingespielt. Jetzt,
Donnerstag, dem 12 Januar 2023, erklingt es wieder – live mit fast
den gleichen Akteuren. Nur Anu
Tali statt Ruben
Gazarian. Ein Weckruf
von Benjamin
Yusupov (*1962)
kann dich das Atmen vergessen
lassen. Da erklingen himmlische Streicherharmonien zerschmettert von
Trompetenblitzen. Wen wunderts? Kann ein Klagelied anders klingen?
Die Trompetenreihe des Rufers
in der Wüste beginnt mit einem Schofar, ein Antilopen-Horn aus der
Wüste Negev im Süden Israels. Im Laufe des Konzerts, I
Allegro moderato, II Andante con moto, III Rondo: Vivace,
treffen sowohl Klangkulturen als auch Klangwidersprüche aufeinander.
Immer wieder geraten
Trompete, Piano und Orchester in Streit
und immer wieder versöhnen
sie sich in lyrischen, ergreifenden Momenten. Und es lohnt sich auch
dieses Mal, nach dem Einsatz von fünf Trompeten (inklusive Schofar
und dem reparierten
Instrument), denn das ganze
musikalische, hochvirtuose Gezerre um alte biblische Grundsätze
endet friedlich. Oder vor
Erschöpfung? Das Programmheft zitiert Reinhold
Friedrich: „Am Ende von
Listen to Our Cry ist
nur noch Depression und es gibt keine Hoffnung mehr, einfach kein
Saft mehr in der Batterie.“
Pause
Johann
Andreas Schachtner (1731
– 1795) studierte mal in Ingolstadt. Er war ein vielfältig
gebildeter Zeitgenosse: Trompeter, Dichter, Librettist. Und er blieb
nicht bei den Jesuiten in Ingolstadt, sondern ging nach
Salzburg, wo er Hof- und Feldtrompeter wurde. Und wo er
wahrscheinlich Leopold
Mozart (1719 - 1787)
kennenlernte, denn es gibt
Quellen, die berichten, dass Vater Mozart
im Sommer 1762 sein Trompetenkonzert D-Dur für den Trompeter
Schachtner geschrieben
haben soll. Wie auch immer, das Zwei-Satz-Konzertstück ist anspruchsvoll (mit kaum
vorstellbaren Höhen) und vor allem auch melodiös – vorwiegend im
Allegro moderato (II)
–, ein wahrer Ohrwurm
entsprechend der Wiener Klassik. Reinhold
Friedrich hatte am
Donnerstagabend vor allem
Spaß an seinem Spiel - allerdings nicht auf einer Naturtrompete, wie
sie Schachtner
wahrscheinlich benutzt hat, sondern auf einer modernen
Piccolotrompete. So war auch garantiert, dass der Ohrwurm aus Leopold
Mozarts Feder in Reinhold
Friedrichs Interpretation
zu einem untrüglichen
Ohrenschmaus werden konnte. Der
Applaus wollte nicht enden.
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FotoQuelle: Programmheft |
Und
das Konzert war zum Glück auch noch nicht zu Ende, obwohl dem
Schluss des Abends eine Irrung zugrunde lag. Im Programm steht
nämlich das Konzert für Trompete D-Dur von Joseph Haydn. Das gibt
es gar nicht, es gibt nur
eins in Es-Dur. Reinhold
Friedrich wird das nicht
bedauert haben,
obwohl ihm sogar das noch zuzutrauen gewesen wäre. Was es aus der
Feder
Joseph Haydns
(1732 – 1809) aber gibt, ist die
Sinfonie D-Dur Nr.104 Hob. I:104.
Und die ist schön. Wunderschön!
Nicht nur wegen dem im Finalsatz durchklingenden kroatischen
Volkslied „Oj Jelena“. Wir
sind noch immer in der Zeit der Wiener Klassik. Das Kammerorchester
im Ingolstädter Festsaal
(diese arme Stadt hat leider kein Konzertsaal) ist
längst mit Bläsern verstärkt. Und vor dem jetzt symphonischen
Klangkörper agiert wie schon den ganzen Abend eine bezaubernde
Dirigentin: Anu Tali.
Welch eine Anmut … und trotzdem Klarheit in ihrer nie übertrieben
wirkenden Gesamtgestik … Präzision nach allen Regeln der Kunst. Ob
Adagio – Allegro, Andante, Menuet. Allegro
oder Finale. Spiritoso, man
hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass dieses in London 1795
komponierte symphonische Musikstück so und nur so und nicht anders
interpretiert werden kann. Homogenität in Perfektion. Aber was hilft
das? Auch der schönste Musikabend geht einmal zu Ende. So auch
dieser.
Es sollte
nicht unerwähnt bleiben, dass die Georgier in
Ingolstadt eine „Rote Couch“ haben, auf der oft Künstler vor
einem Konzert Platz nehmen und dem interessierten Publikum Details
von dem bevorstehenden Ereignis preisgeben. An diesem Abend haben an
dem Künstlergespräch Reinhold Friedrich, Eriko Takezawa
und der Musikwissenschaftler Dr. Marco Frei teilgenommen. Eine
sehr gute Initiative des Orchestermanagements, würde ich sagen.
Anton Potche
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