Podcasts wohin man hört und schaut.
Die Menschen unterhalten sich über Gott und die Welt – auch über
Bücher. Also liegt es nahe, dass auch und vielleicht sogar besonders
Bibliotheken und Buchhandlungen Podcasts für ihre Kunden einrichten
– Literaturpodcasts. Zum Beispiel Hugendubel. Die
Buchhandlungskette nennt ihre Podcast-Serie Seite an Seite. Und
Nina
und Maximilian Hugendubel
geben zum Start dieses neuen Mediums auf ihrer Firmen-Homepage
einiges von ihrer Liebe zu Büchern frei, gewähren aber auch
Einblicke in eine Buchhändler-Familie. Wer könnte das wohl besser
als die beiden Geschäftsführer. Wir
reden bei Podcasts aber beileibe nicht von einem deutschen Phänomen.
Nein, wir haben es mit einer weltumspannenden Mode zu tun.
Auch
Rumänien gehört dazu. Zum
Beispiel Temeswar, heuer als Kulturhauptstadt Europas gefeiert. Und
Kultur ohne Literatur? Nein, das geht nicht. La Două
Bufnițe
heißt eine beliebte
Buchhandlung in Temeswar. Deutsch
Zu zwei Eulen (oder
Uhue).
Da hält doch jemand Ausschau mit großen runden
Augen. Nach wem oder was wohl? Klar, nach Autoren und ihren Büchern.
Ich habe kürzlich dort vorbeigeschaut – online. Die
Facebook-Seite dieser Buchhandlung beinhaltet zwar keine eigene
Podcast-Produktionen, wird aber von anderen Podcastern gerne als
Plattform benutzt. Etwa von Dr.
Cezar Gheorghe,
der für seine Interviews und Gespräche durchs ganze Land reist.
Sein Podcast-Format nennt sich Romanian Literature Now –
Podcastul Narativ Live.
Am
14. November weilte er mit seiner „Literatursendung“ - so kann
man diesen Podcast getrost nennen – um 12 Uhr in der Bücherei La
Două Bufnițe.
Seine
Gesprächspartnerin war Adriana
Babeți
(*1949),
Literaturkritikerin, Autorin von Kurzprosa und Essays. Sie
unterrichtet Vergleichende
Literatur (literatură
comparată)
an der Westuniversität
Temeswar. Dr.
Cezar Gheorghe (*1984)
ist Lektor an der
Nationalen Universität für Theater- und Filmkunst „I.
L. Caragiale“ (Universitatea de Artă
Teatrală și Cinematografică „I. L. Caragiale”)
sowie Film- und
Literaturkritiker. Keine Frage, da begegneten
sich zwei Schwergewichte der
rumänischen Literaturszene. Und was sie sich vorgenommen hatten zu
diskutieren, war nicht minder schwergewichtig:
Dicționarul romanului
central
european
din secolul
XX. Es
handelt sich immerhin um Bio- und Bibliographien von 197
Autoren
und
Autorinnen,
die ihre Werke in 14 Sprachen verfasst haben, und
um sage und schreibe 256 analysierte Romane.
Das
2022 erschienene Lexikon des
zentraleuropäischen Romans des 20. Jahrhunderts
wurde von Adriana
Babeți
zusammengestellt
und hat wie jedes Lexikon viele Autoren. Und es bleibt wie ebenfalls
alle Sammelwerke unvollständig. Umso interessanter ist es dann, in
dem Schinken (160 x 235 cm, 760 Seiten, ohne Gewichtsangabe,
erschienen bei Polirom)
zu schmökern, um herauszufinden, wer es bei einem selbst gelegten
Kriterium in das Nachschlagwerk geschafft hat. Mein Kriterium ist
rein abstammungsbezogen und sucht nur nach den Romanautoren deutscher
Sprache aus Rumänien (dem
heutigen und ehemaligen).
Wen hat Frau
Adriana Babeți
und
ihr Autorenteam für lexikonreif gefunden? Es sind das aus
Siebenbürgen Adolf
Meschendörfer
und Eginald
Schlattner,
aus dem Banat Herta
Müller,
Adam
Müller-Guttenbrunn
und Richard
Wagner,
sowie Elie
Wiesel,
geboren in Sighetul Marmației, und auch Elfriede
Jelinek,
wenn man bedenkt, dass die Nobelpreisträgerin
verwandtschaftliche
Beziehungen ins Banater Bergland hatte, und
nicht zuletzt der in Czernowitz geborene und
zu meinen Lieblingsschriftstellern zählende Gregor
von Rezzori.
Eine
Stunde und 20 Minuten lang haben Dr.
Cezar Gheorghe
und Adriana
Babeți
sich
über „die Rolle des multikulturellen, multiethnischen
und
mehrsprachiges
Profils”
der Stadt Temeswar im
Leben der Bürgerschaft unterhalten.
Nach diesem einleitenden Hinweis Cezar
Gheorghes
war also anzunehmen, dass es in dem Gespräch um mehr als das von
Adriana Babeți
realisierte
Lexikon gehen
werde.
Und so war es dann auch.
Screenshot: Anton Potche |
Das
Gespräch drehte sich irgendwann auch um die kommunistische Ära. Die
zwei Gesprächspartner waren sich einig, dass die Literaturszenen der
anderen Ostblockstaaten alle mehr oder weniger einflussreiche
Dissidentenaktivitäten aufzuweisen hatten, die letztendlich auch
einen Beitrag zum Fall des Eisernen Vorhangs leisteten. Nur Rumänien
war in dieser Reihe ein unrühmliches Schlusslicht. Und genau hier
erinnerte Cezar
Gheorghe
an die Aktionsgruppe Banat
(1972
bis 1975),
was
dann zu einer interessanten Diskussion zwischen den zwei
Protagonisten dieses Podcastes führte.
Auch
wenn die Gruppe junger deutschsprachiger Dichter und Schriftsteller
nicht als Auslöser der Revolution von
Temeswar gesehen werden kann, darf man sie doch als ein Phänomen
betrachten, das eine Atmosphäre geschaffen hat, in der später
Ereignisse wie das vor dem Haus des Priesters László
Tökés
in
Temeswar stattfinden
konnten. Eine
interessante These ist das auf jeden Fall. Auch wenn sie den Einfluss
der Aktionsgruppe
(der
oben
erwähnte Richard
Wagner
galt
als ihr
Wortführer)
überbetont,
zeigt sie uns, dass die
Existenz dieser
Gruppe in
Rumänien, zumindest in
literaturinteressierten Kreisen, noch nicht vergessen ist.
Anton Potche
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