Montag, 22. Januar 2024

Wie verrückt die Welt sein kann

Daniel Glattauer: Darum – Roman; Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2008 (Taschenbuchausgabe); ISBN: 978-3-442-46761-7; 316 Seiten; € 7,95 [D], € 8,20 [A].

„Darum“ ist ein affirmatives und doch nichtssagendes Adverb. Mehr als „Warum“ kann man ihm wohl kaum voranstellen. Und diese Frage drängt sich beim Lesen regelrecht auf. Warum will ein Mensch unbedingt ins Gefängnis? Und noch schlimmer: Warum begeht er sogar einen Mord, um sein Ziel zu erreichen?

Darum. Mehr kann man auf diese und andere sich im Roman ergebende Fragen auch nicht antworten. Darum. Es kann gar keine kriminalistisch klare (geklärte) Antwort auf die Frage nach dem Warum dieser Mordtat des Journalisten und ehemaligen Lektors Jan Rufus Haigerer geben, insofern sein ganzes von Freunden, Justizbeamten und einer ihm gutgesinnten Gerichtsbarkeit umgebene Umfeld an nichts anderes als an seine Unschuld glaubt.

Und so bleibt weiter nichts anderes übrig, als dass diese Geschichte genau so verworren ausgeht, wie sie begonnen hat. 31 kurzatmige Kapitel hat Daniel Glattauer dazu verwendet, um zu erzählen, wie verrückt die Welt eigentlich sein kann. Das hat im Taschenbuchformat immerhin 317 schnell lesbare Buchseiten ergeben.

Diese Lesbarkeit verdanken wir kurzen, kaum mehr als ein Komma benötigenden Sätzen. Die Spannung des Romans entwickelt sich aus einem Leitfaden mit Fragezeichen: Welche Verrücktheit erwartet den Leser spätestens im nächsten Kapitel?

Und trotzdem: Was der 1960 in Wien geborene Daniel Glattauer hier geschrieben hat, ist viel mehr als nur ein Kalauer. Da geht der Blick auch tief in eine Gesellschaftsschicht, von deren Existenz alle wissen, aber nur wenige eine klare Vorstellung haben: die Welt hinter den Mauern mit Stacheldraht und Fenstergittern. In dieser Welt ist für geistreichen Wortwitz wahrlich auch kaum Platz. Es geht einem schon an die Kandare, wenn er von vorne und von hinten vergewaltigt wird.

Dann wiederum muss man nicht todernst bleiben, wenn man Selbstanklagen liest wie: „Tatsächlich beschreibe ich nur mich selbst. Tatsächlich beschreiben Journalisten immer nur ihre eigenen Gefühle, beugen die Fakten immer hin zu ihren eigenen Wahrheiten, an denen sie schließlich brechen. Ich bin einer davon.“ Das sagt der Hauptprotagonist Haigerer. Und Glattauer wird wohl mit einem Schmunzeln auf den Lippen ein Auge zudrücken. Warum auch nicht, als erfolgreicher Kolumnist …, der er nun mal jahrelang einer war. Da war Hinschauen, Analysieren und Berichten der Job schlechthin.

Daher sollte es niemand überraschen, wenn er gegen Ende des Romans auf das Ethikproblem „Töten auf Verlangen“ stößt. Und dass alles bisher Erlebte als Inhalt eines schlechten Manuskripts zum Schluss herhalten muss, ist ein weiterer Hinweis auf schwarz angehauchten Humor. Man muss ihn nur verstehen.

Daniel Glattauer spielt mit seinen Lesern. Überraschungen gehören zu seinem Arsenal. Das gefällt nicht nur dem Lesepublikum, sondern auch Kunstschaffenden anderer Sparten. Besonders Filmregisseure wurden auf ihn aufmerksam und verfilmten seine Romane. Auch Darum wurde für die Leinwand verarbeitet. Der Regisseur Harald Sicheritz hat sich im Jahre 2007 des Themas angenommen.

Anton Potche

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