Es
gibt manchmal in den Medien seltsame Umfragen. Man kann sie
hinterfragen, beantworten oder einfach nicht todernst nehmen. Sogar
Literaturzeitschriften lassen sich gelegentlich zu solchen Spielchen
hinreißen. So auch die wohl bekannteste rumänische Zeitschrift des
gepflegten Wortes, die im vergangenen Jahr 55 Jahre alt gewordene
ROMÂNIA LITERARĂ.
In
der Doppelnummer 12-13/2023 vom 24. März wurde eine Umfrage
(rum.: anchetă) veröffentlicht, die als
nicht allzu ernst gemeinte Imaginationsübung (Exercițiu
de imaginație) firmierte und folgende
Aufgabenstellung hatte: „Erzählen Sie uns einen Vorfall,
den Sie nicht erlebt haben, aber gerne erleben würden. Oder anders
formuliert: Erzählen Sie uns eine fiktive Begebenheit, die Sie
gerne als Realität in Ihrem Leben mitmachen würden.“ Nun mag die
Problemstellung dem Einen oder Anderen zumindest komisch, wenn nicht
schwierig vorkommen. Nicht aber den Protagonisten dieser Umfrage,
sind sie doch alle mit der Fiktion als Schreibfläche bestens
vertraut, und das unabhängig davon, ob es sich um Schriftsteller,
Poeten, Kritiker oder Verleger handelt. Auch der Temeswarer
Literaturkritiker Cornel Ungureanu (*1943) schien Spaß an dem
Spiel gehabt zu haben.
Er
erzählt in seiner Geschichte munter drauflos. Man spürt den Humor,
mit dem er an die Sache heranging und könnte ihm sogar glauben, wenn
der Themenbereich nicht so deutlich eingegrenzt wäre. Dazu begibt er
sich noch ins Korsett eines zweiten Grenzabschnittes, nämlich der
Zeit. Und zwar der 1990er Jahre.
Es
soll sich im Jahre 1993 zugetragen haben. Ein Milliardär – ob Euro
oder Lei wird nicht berichtet –, Herr Cojocaru, soll ihn, Herrn Ungureanu, mit der Bitte besucht haben, eine Filmzeitschrift zu gründen. Die wäre sinnvoll, wo derfilmbegeisterte Unternehmer doch in Giarmata,
dem
Jahrmarkt der Vorwendezeit,
Filmstudios mit dem Namen TRIDENT
bauen
wolle. Dazu habe er sogar schon Grundstücke in der Gemeinde nördlich
von Timișoara
erworben, wie
die bildhübsche
(„frumoasă-frumoasă”)
Sekretärin des Herrn Cojocaru
dem damals eine Filmsendung
bei Radio Timișoara
realisierenden Kunstkritiker Cornel
Ungureanu
„täglich“
erzählte. Und er, der Filmkritiker, solle von dem legendären
Filmemacher Iosif
Costinaș
unterstützt
werden. Ja
mehr noch, er würde
„nicht nur der Direktor der Zeitschrift und des Verlags werden,
sondern auch der Studios“. Und wie
er,
Ungureanu,
erzählt,
habe
er
damals
die Zeitschrift TRIDENT wirklich bis ins letzte Detail geplant, nach
Wunsch des Auftraggebers mit klingenden Namen aus der rumänischen
Kulturlandschaft und sogar mit Honorarvorschlägen für
die Auserwählten
Andrei
Pleşu,
Liviu
Ciulei,
Mircea
Martin,
Laurenţiu
Ulici,
Ovidiu
Iuliu Moldovan,
Niky
Wolcz.
Für
ihre Filmessays sollten sie 50 Euro bekommen, worauf der freizügige
Milliardär vorwurfsvoll reagiert und
das verachtend für diese bedeutenden Menschen („oameni de seamă”)
gefunden
habe. Also: 300 Euro pro Text. Cornel
Ungurianu
erzählt weiter, er habe seine besten Studenten von den Kursen freigestellt und in dieses Projekt eingebunden wie auch die großartigen
Cineasten Dorin
Davideanu
und Paul
Eugen Banciu.
Alles
musste funktionieren und schnell. Sehr
schnell. Tat es dann auch, bis … es zum Zahlen kam … Da wäre der
Milliardär vom Erdboden verschwunden gewesen, steuert Cornel
Ungureanu
auf das Ende seiner Geschichte zu. „Es gab weder die Zeitschrift
TRIDENT, noch den Verlag TRIDENT, noch die Studios TRIDENT.“ Und
ganz zum Schluss dieses Beitrages könnte man Marcel
Reich-Ranicki
mit seinem unvergessenen Brecht-Zitat im Literarischen
Quartett zitieren: „Und
so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“.
Was
ist jetzt von Cornel
Ungureanus
Geschichte Realität und was Fiktion oder
sogar erwünschte Fiktion, wobei
sie ja zumindest hier nicht gerade wünschenswert wäre. Und wo es
dann ganz zum Schluss auch noch heißt: „Ich sagte zu Robert
Șerban
(ein
Landsmann Ungureanus):
Du hast auch Artikel in
den Spalten von TRIDENT. Unbezahlte.
Und
einen Aufwand … der dich vielleicht zu einem
Roman über Rumänien in den 90er Jahren inspiriert.“
Was
wäre, wenn Ungureanus
Milliardär nicht verschwunden wäre? Giarmata würde heute
vielleicht
in einem Atemzug mit Hollywood genannt
werden. So aber
bleiben wir als Schmöker in einer rumänischen Literaturzeitschrift
ratlos zurück. Hat nun einer der bekanntesten zeitgenössischen
Literaturkritiker Rumäniens vielleicht doch ähnliches erlebt? Oder
hat er uns Leser nur
auf
ein hoffentlich festes Faschingseis geführt?
Anton Potche
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