Montag, 12. Februar 2024

Was wäre, wenn …

Es gibt manchmal in den Medien seltsame Umfragen. Man kann sie hinterfragen, beantworten oder einfach nicht todernst nehmen. Sogar Literaturzeitschriften lassen sich gelegentlich zu solchen Spielchen hinreißen. So auch die wohl bekannteste rumänische Zeitschrift des gepflegten Wortes, die im vergangenen Jahr 55 Jahre alt gewordene ROMÂNIA LITERARĂ.

In der Doppelnummer 12-13/2023 vom 24. März wurde eine Umfrage (rum.: anchetă) veröffentlicht, die als nicht allzu ernst gemeinte Imaginationsübung (Exercițiu de imaginație) firmierte und folgende Aufgabenstellung hatte: „Erzählen Sie uns einen Vorfall, den Sie nicht erlebt haben, aber gerne erleben würden. Oder anders formuliert: Erzählen Sie uns eine fiktive Begebenheit, die Sie gerne als Realität in Ihrem Leben mitmachen würden.“ Nun mag die Problemstellung dem Einen oder Anderen zumindest komisch, wenn nicht schwierig vorkommen. Nicht aber den Protagonisten dieser Umfrage, sind sie doch alle mit der Fiktion als Schreibfläche bestens vertraut, und das unabhängig davon, ob es sich um Schriftsteller, Poeten, Kritiker oder Verleger handelt. Auch der Temeswarer Literaturkritiker Cornel Ungureanu (*1943) schien Spaß an dem Spiel gehabt zu haben.

Er erzählt in seiner Geschichte munter drauflos. Man spürt den Humor, mit dem er an die Sache heranging und könnte ihm sogar glauben, wenn der Themenbereich nicht so deutlich eingegrenzt wäre. Dazu begibt er sich noch ins Korsett eines zweiten Grenzabschnittes, nämlich der Zeit. Und zwar der 1990er Jahre.

Es soll sich im Jahre 1993 zugetragen haben. Ein Milliardär – ob Euro oder Lei wird nicht berichtet –, Herr Cojocaru, soll ihn, Herrn Ungureanu, mit der Bitte besucht haben, eine Filmzeitschrift zu gründen. Die wäre sinnvoll, wo derfilmbegeisterte Unternehmer doch in Giarmata, dem Jahrmarkt der Vorwendezeit, Filmstudios mit dem Namen TRIDENT bauen wolle. Dazu habe er sogar schon Grundstücke in der Gemeinde nördlich von Timișoara erworben, wie die bildhübsche („frumoasă-frumoasă”) Sekretärin des Herrn Cojocaru dem damals eine Filmsendung bei Radio Timișoara realisierenden Kunstkritiker Cornel Ungureanutäglich“ erzählte. Und er, der Filmkritiker, solle von dem legendären Filmemacher Iosif Costinaș unterstützt werden. Ja mehr noch, er würde „nicht nur der Direktor der Zeitschrift und des Verlags werden, sondern auch der Studios“. Und wie er, Ungureanu, erzählt, habe er damals die Zeitschrift TRIDENT wirklich bis ins letzte Detail geplant, nach Wunsch des Auftraggebers mit klingenden Namen aus der rumänischen Kulturlandschaft und sogar mit Honorarvorschlägen für die Auserwählten Andrei Pleşu, Liviu Ciulei, Mircea Martin, Laurenţiu Ulici, Ovidiu Iuliu Moldovan, Niky Wolcz. Für ihre Filmessays sollten sie 50 Euro bekommen, worauf der freizügige Milliardär vorwurfsvoll reagiert und das verachtend für diese bedeutenden Menschen („oameni de seamă”) gefunden habe. Also: 300 Euro pro Text. Cornel Ungurianu erzählt weiter, er habe seine besten Studenten von den Kursen freigestellt und in dieses Projekt eingebunden wie auch die großartigen Cineasten Dorin Davideanu und Paul Eugen Banciu. Alles musste funktionieren und schnell. Sehr schnell. Tat es dann auch, bis … es zum Zahlen kam … Da wäre der Milliardär vom Erdboden verschwunden gewesen, steuert Cornel Ungureanu auf das Ende seiner Geschichte zu. „Es gab weder die Zeitschrift TRIDENT, noch den Verlag TRIDENT, noch die Studios TRIDENT.“ Und ganz zum Schluss dieses Beitrages könnte man Marcel Reich-Ranicki mit seinem unvergessenen Brecht-Zitat im Literarischen Quartett zitieren: Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“.

Was ist jetzt von Cornel Ungureanus Geschichte Realität und was Fiktion oder sogar erwünschte Fiktion, wobei sie ja zumindest hier nicht gerade wünschenswert wäre. Und wo es dann ganz zum Schluss auch noch heißt: „Ich sagte zu Robert Șerban (ein Landsmann Ungureanus): Du hast auch Artikel in den Spalten von TRIDENT. Unbezahlte. Und einen Aufwand … der dich vielleicht zu einem Roman über Rumänien in den 90er Jahren inspiriert.“

Was wäre, wenn Ungureanus Milliardär nicht verschwunden wäre? Giarmata würde heute vielleicht in einem Atemzug mit Hollywood genannt werden. So aber bleiben wir als Schmöker in einer rumänischen Literaturzeitschrift ratlos zurück. Hat nun einer der bekanntesten zeitgenössischen Literaturkritiker Rumäniens vielleicht doch ähnliches erlebt? Oder hat er uns Leser nur auf ein hoffentlich festes Faschingseis geführt?

Anton Potche

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