Mittwoch, 22. Mai 2024

Romantische Liebe zum Wasser

Was dort im Jahrmarkter Dorfpark wie ein Bunker aus dem Weltkrieg anmutete, wurde von uns Kindern immer nur als die Bühne apostrophiert. Es gab auf der Südseite dieses Betonklotzes auch zwei oder gar drei Türen. Die führten aber, soweit ich mich erinnere, nicht in ebene Räumlichkeiten, sondern in die Tiefe, deren Sohle immer, Winter wie Sommer, mit mal mehr, mal weniger Wasser bedeckt war, wie das bei vernachlässigten Bauten eben so ist. Verirren konnte man sich in dem Klotz nicht, denn es gab in ihm keine einzige Wand. Ganz mutige Zeitgenossen, zu denen ich nicht gehörte, rutschten auf herbeigeschafften oder herumliegenden Balken schon mal in die von immerwährendem Halbdunkel beherrschte Tiefe.

Unsere Bühne im Jahrmarkter Dorfpark, begrenzt von einem Bach, der sein Wasser aus dem berühmten Prinz-Eugen-Brunnen speist, und umgeben von stattlichen, sich in Demut dem vorbeirauschenden Wasser zuneigenden Weiden, war zu meiner Schulzeit – die Schule thronte nebenan auf der höher gelegenen Dorfstraße – für den einen oder anderen Mitschüler ein ersehnter Ort. Wer am Schulabschlussfest die Stiege auf den Betonklotz hinaufsteigen durfte, gehörte zu den Prämierten, den Ausgezeichneten, den besten Schülern des soeben beendeten Schuljahres. Dort oben stand eine lange Reihe von mit Büchern beladenen Tischen, den Preisen für die Besten der Besten.

Hans Kaszner sen. dirigiert
seine Blaskapelle im
Jahrmarkter Dorfpark (1972)
Foto: Archiv der Kaszner-Kapelle
Was viele (ich inklusive) in dieser Zeit (1950 - 1980) nicht wussten oder auch gar nicht neugierig waren, lag in der Geschichtsträchtigkeit dieses Ortes. Ich surfte kürzlich mal wieder durch alte Zeiten und fand eine Annonce vom 28. September 1902. Dort wurde nämlich ein Pächter für das „Sommer=Gasthaus ‚Mayerling‘ sammt Bad auf 6 Jahre“ gesucht. Präzisiert wurde noch die Lage des Gasthauses, und zwar „inmitten eines Parkes“. Das muss es also gewesen sein, unsere Bühne – auch Platz für die Blaskapellen an Kirchweihfesten – war kein Bunker, aber ein zubetoniertes Schwimmbad. Und daneben irgendwann mal das Gasthaus mit dem tragischen, ja fast mystischen Namen „Mayerling“. Die von meiner Generation vorgefundene Tanzfläche vor der Bühne wurde wahrscheinlich nach der Stilllegung des Bades angelegt und bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts genutzt.

Sie haben ihren Großen-Brunnen und sein spendendes Nass stets über alles geliebt, die Jahrmarkter. Der Graben, also der Bach, hat sie immer zu neuen Schwimmbadideen inspiriert. Nach dem Ende des Bades im Park hat man in den 60er Jahren eine badähnliche Anlage in der Nähe der mittlerweile berühmt berüchtigten IAS-Zentrale angelegt, um dann im folgenden Jahrzehnt den weit über Jahrmarkt hinaus bekannten „Strand“ zu bauen. Dabei rückten die Anlagen immer weiter von der Quelle weg. Heute wissen wir: Auch dieses Projekt ist gescheitert. Und trotzdem: Auch die jetzigen Bewohner der Gemeinde Giarmata, früher Temes=Gyarmatha und danach Jahrmarkt sowie Johrmark, wollen es trotz aller bisher tragisch endenden Versuche nicht aufgeben.


Vielleicht haben schon die ersten Schwimmbadbauer im damaligen zu Österreich-Ungarn gehörenden Dorf eine gewisse Romantik in ihrem Vorhaben gespürt: ein Ende im Glück, in der großen Liebe. So wie das Ende Rudolfs, Kronprinz von Österreich und Ungarn, und seiner großen Liebe Baroness Mary Vetsera … auf Schloss Mayerling. Das Schloss in Niederösterreich gibt es heute noch, das Gasthaus in Jahrmarkt wurde vom Schicksal seiner Bäder längst eingeholt, ja ist ihnen sogar vorausgeeilt.

Anton Potche

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