Montag, 7. Oktober 2024

Das eigene literarische Schaffen und die Sicht anderer darauf

Horst Samson: Heimat als Versuchung – Das nackte Leben; Pop-Verlag Ludwigsburg, 2018; ISBN 978-3-86356-196-3; 24,50 € [D], 25,20 € [A].

Lesebücher hatte ich schon immer gerne, sie leben von ihrer Diversität. Das vorliegende Buch ist ein Literarisches Lesebuch mit Gedichte[n], Prosa, Literaturkritiken [und] Interviews, wie es im Untertitel heißt. Und es ist nicht gerade schmalbrüstig mit seinen 484 Seiten. Dazu darf man sich schon gleich am Titel abarbeiten. Heimat als Versuchung. Fragezeichen. Hat Versuchung nicht etwas mit Sucht zu tun? Etwas, dem man erliegt, gegen das man nicht aufbegehren kann? Und Das nackte Leben. Fragezeichen. Ist es gewollt so unverhüllt? Hat das nicht gar etwas mit Exhibitionismus zu tun? Ob dieses Buch eine Antwort oder mehrere Antworten auf diese (Leser)Fragen gibt? Ja, hat der Autor sich diese Fragen überhaupt selbst gestellt? Oder hat er etwas ganz anderes mit diesem Buch im Sinn?

Und Dichter, besonders Dichter, sind nun mal Exhibitionisten. Sie kehren gerne ihr Inneres nach Außen. Ob der Leser dann mit dem, was durch die Sprache zum Vorschein kommt, überhaupt etwas anfangen kann, hängt von mehreren Faktoren ab: der inhaltlichen Lebensnähe, der Verständlichkeit, aber auch vom (manchmal guten) Willen des Lesers.

Horst Samson (*1954) ist ein Dichter, der diese Kriterien erfüllt und dem man nach der Lektüre dieses Buches je mehr („nur“ geht nie) verständnisvolle Leser wünscht. Diese wiederum dürften mit der Hauptthematik der samsonschen Lyrik kein Problem haben – besonders wenn sie den südosteuropäischen Landstrich, aus dem der Autor stammt, kennen. Aber auch Leser, denen sowohl er als auch seine Biografie fremd sind, dürften mit dieser Dichtkunst keine Probleme haben. Das gilt ganz besonders für die hier veröffentlichten Verse – nur ein kleiner Teil seines lyrischen Œvres.

Der Leser hat es mit diesen Gedichten insofern leicht, als viele Rezensionen und literaturkritische Abhandlungen ihm einen Führungsstab an die Hand geben. Über die Heimat als Versuchung zu schreiben, heißt eigentlich, auch Rezensionen zu rezensieren, nicht nur Gedichte. Doch das soll hier unterbleiben. Nur so viel: Wenn ich mich nicht verzählt habe, gibt es in diesem Buch 28 solcher Texte, also Gelegenheit genug, die Lyrik Horst Samsons kennenzulernen. Luzian Geier zieht anhand einer lyrischen Standortbestimmung Horst Samsons in Temeswar und Frankfurt/Main ein „vorläufiges Fazit“: „Der Autor Horst Samson ist hierzulande gut an– und aufgenommen worden, unbeantwortet bleibt die Frage, ob er auch (ganz) angekommen ist!?“

Ich würde sagen, nein. Samson ist zwar ein bekennender Dichter, aber er kann auch Prosa. Und wie! Seine Essays (und Interviews) sind zum Teil sprachlich fein ziseliert, kommen andererseits aber sogar unterschwellig grobschlächtig und wenige Male sogar als Direktangriffe daher, wenn es zum Beispiel heißt: „Unsere liebe Freundin Herta selbst ist aber exklusiv und voll selbstbezogen. Seit ihrer Nobelierung ist das noch ein Stück weit ausgeprägter. Sie kümmert sich um ihren verdienten Ruhm, dann noch um Chinesen, gekochte Eier und fiktive Bahnhöfe, schwärmt für ihre toten Freunde, tut aber rein gar nichts für die Bücher ihrer noch lebenden Komplizen. […] Sie tritt nur mit ihrem Kammerdiener, dem Literaturfälscher Ernest Wichner, auf.“

Tja, so klingt es, wenn Literaten Leichen aus dem Keller holen. Da liegen noch einige. Man kann so etwas auch Literaturbetrieb nennen. Spannend. Auch dafür lohnt es sich, dieses Buch zu lesen. Es enthält nämlich neben dem bereits Geschilderten auch reichlich Schwarz-Weiß-Fotos und ausführliche bio- bibliografische Angaben zu den Autoren, aus denen man sogar erfährt, dass aus einem Zerspanungsmechaniker ein Germanist werden kann – und das, ohne seinen Hosenboden jemals auf einer Universitätsbank gewetzt zu haben. Auch das kann „nur“ Literatur. Da fallen mir Namen ein wie Werner Bräunig, Knut Hamsun, Wolfgang Hilbig, Erwin Strittmatter oder der berühmteste dieser Arbeiter-Schreiber-Spezies, John Steinbeck. So einer ist (rein biografisch gedacht) meines Wissens auch dieser in Horst Samsons Buch gerutschte Mark Jahr.

So liegt mit dieser Blumenlese ein Jahrmarkt der Ideen, Gefühle, Ansichten, Einsichten, Erkenntnissen und weiterhin auch vieler offener Fragen, wie Marcel Reich-Ranitzki sagen würde, auf dem Tisch. Ein gewaltiger Schinken Literatur, den es sich lohnt, genießend zu verzehren.

Anton Potche

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