Montag, 20. Januar 2025

Ein fremdes Zuhause oder Warum ich keine Bücher mehr schreibe

 
Ein fremdes Zuhause

Im Jahre 1923, tief in den Weiten des Banats, lag das kleine Dorf Kleinhof, dessen Häuser sich wie Perlen entlang einer staubigen Straße reihten. Hier lebten die Banater Schwaben, Nachfahren deutscher Siedler, die vor über 200 Jahren in dieses fruchtbare, aber fremde Land gerufen worden waren.

Katharina, eine junge Frau mit einem Gesicht, das vom Leben gezeichnet war, stand an ihrem kleinen Gemüsebeet hinter dem Haus. Ihre Hände waren rau, ihre Haare von der Sonne ausgeblichen, doch ihre Augen trugen einen Glanz, den keine Mühsal löschen konnte. Heute war ein besonderer Tag. Der erste Sonntag nach der Erntezeit – Kirchweihfest.

Das ganze Dorf war in Bewegung. Die Männer zogen ihre besten Westen an, die Frauen trugen handbestickte Trachten, und die Kinder rannten mit roten Wangen durch die Gassen. Katharina hatte ihr Kleid in der Truhe aufbewahrt, sorgsam gefaltet zwischen Tüchern, die nach Lavendel dufteten. Es war das einzige Kleid, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und jeder Stich darin erzählte von einer anderen Jahreszeit, die gekommen und gegangen war.

In der Kirche, umgeben von den mächtigen Eichenbalken, spürte Katharina die Kraft der Gemeinschaft. Die Lieder, die auf Deutsch gesungen wurden, trugen die Sehnsucht nach einer Heimat, die niemand von ihnen je gesehen hatte. Sie hatten die Geschichten gehört, von den Feldern entlang des Rheins und den dunklen Wäldern, die ihre Vorfahren verlassen hatten. Doch das Banat war nun ihr Zuhause, so fremd es manchmal auch erschien.

Nach der Messe zog der Festzug durch das Dorf. Katharina hielt sich im Hintergrund, beobachtete die bunten Bänder und die jungen Leute, die tanzten. In ihrer Brust pochte ein Gefühl, das sie nicht benennen konnte. Sie liebte dieses Land – die endlosen Felder, die im Sommer wie Gold glänzten, und die weiten Himmel, die nachts voller Sterne hingen. Doch manchmal fühlte sie auch die Wurzeln, die in der Ferne lagen, wie eine leise Stimme, die sie rief.

Am Abend, als das Fest seinen Höhepunkt erreichte, setzte sich Katharina auf eine Bank am Dorfrand. Neben ihr saß Herr Franz, der älteste Mann im Dorf, dessen Augen so klar waren wie ein Herbstmorgen.

Katharina“, begann er, „weißt du, warum wir hierhergekommen sind?“


Sie schüttelte den Kopf.

Unsere Vorfahren suchten ein besseres Leben. Aber egal, wo wir sind, wir tragen unsere Heimat in uns. Die Erde hier mag anders sein, aber wir haben sie zu unserem eigenen gemacht. Das Banat ist unser Zuhause – weil wir es dazu gemacht haben.“


Katharina sah hinüber zu den leuchtenden Fenstern des Dorfes. Sie spürte die Wärme der Worte des alten Mannes. Ja, dachte sie, das Banat war nicht nur ein fremdes Zuhause. Es war ihr Zuhause geworden.

In der Ferne erklang ein letztes Festlied, und Katharina wusste, dass auch sie ein Teil dieser Geschichte war – eine Brücke zwischen den Wurzeln ihrer Vorfahren und der Erde, die sie heute nährte.

Anton Potche

Warum ich keine Bücher mehr schreibe


Wir saßen am zweiten Weihnachtstag zusammen, eine Lehrerin, ein Lehrer, ein IT-Fachmann und ich. Irgendwann kam das Gespräch auf die in letzter Zeit allgegenwärtige KI, also Künstliche Intelligenz. Während der Computerfachmann mehr den technischen Aspekt dieser neuen Technologie in den Vordergrund stellte, klammerten die zwei Lehrer sich an der Texttauglichkeit und besonders an der möglichen Textschummelei der KI fest. Beide Lehrkräfte (Gymnasium) kannten schon Fälle von KI-Texten, die ihnen von Schülern als eigene Arbeiten vorgelegt wurden. Die Texte, ja zum Teil ganze Referate, waren so gut, dass sie als Lehrer Mühe hatten, diese als das Produkt eines Sprachmodells zu entlarven, und letztendlich froh waren, dass die Schüler nach intensiven Gesprächen sich geständig – aber nicht reumütig – zeigten.

Während der IT-ler die Diskussion ganz gelassen führte, konnten die Lehrer eine gewisse Gereiztheit nur schwer verbergen. Irgendwann könnten sie die Kontrolle über ihre Schüler verlieren, und das, obwohl besonders einer der beiden eher positiv zur Einführung der KI in den Unterricht stand. Auch der Buchwissenschaftler Christoph Bläsi mahnt zu Gelassenheit bei diesem Thema. Er denkt aber zum Unterschied der zwei Lehrkräfte eher aus marktwirtschaftlicher Sicht. Und da kann er noch nicht erkennen, dass es ein Problem ist (oder wird), wenn KI-Werkzeuge voraussagen können, welches Buch sich besser und welches sich schlechter verkaufen wird. Die Geschäftsführerin des Marktforschungsunternehmens Media Control, Ulrike Altig, spricht von Tools, die innerhalb von Sekunden taugliche Absatzprognosen für verschiedene Warengruppen, also auch Bücher, erstellen können. Eigentlich befinden wir uns immer noch im Bereich der Ökonomie. Und es geht nur um „Effizienz und Daten – nicht um die Inhalte“, wird Frau Altig im DONAUKURIER vom 3. Januar 2025 in einem Artikel zitiert.

Wirklich? In dem Gespräch meiner drei KI-Protagonisten vom zweiten Weihnachtstag gab es eine plötzliche Wende. Natürlich hatten alle drei wie heute üblich ihre Smartphones vor sich auf dem Tisch liegen. Einer der Lehrkräfte griff zu seinem Gerät, tippte etwas ein und reichte es mir über den Tisch. Eintippen und Weiterreichen des Smartphones dauerte weniger als 5 Sekunden. Und was konnte ich dort lesen? „Ein fremdes Zuhause“. Alle drei KI-Streiter haben zwar Banater Wurzeln, aber keiner wäre in der Lage, einen nur ansatzweise emotionalen Text über diese südosteuropäische Region zu schreiben. Und das auch noch über einen Volksstamm, den es im Gedächtnis der dort lebenden Rumänen kaum noch gibt.

Wo kommt der Text her?“, habe ich spontan gefragt.
Von ChatGPT“, bekam ich als Antwort.
Und was hast du eingetippt?“
Schreibe eine Kurzgeschichte zu den Banater Schwaben.“

So viel zum Thema „Inhalte“. Ich wurde erst ab jetzt wirklich hellhörig. Vier Bücher habe ich in meinem Leben geschrieben – zu einer Zeit, als Intelligenz noch reine Menschensache war. Wie einfach das heute geht. Du lässt dir einen Text schicken, suchst ihn nach grammatikalischen Ungereimtheiten ab und textest ihn nach deinem Geschmack um, unterschreibst ihn mit deinem Namen, und schon bist du ein Schriftsteller – vielleicht irgendwann sogar ausgezeichnet mit einem Nobelpreis. Nicht mehr und nicht weniger ist obige Kurzgeschichte „Ein fremdes Zuhause“– inklusive gefälschter Unterschrift. Das hier ist nur die Entstehungsgeschichte dieser „Kurzgeschichte“. Aber ich kann mir gut vorstellen, sie als Grund dafür herzunehmen, keine Bücher mehr zu schreiben – ganz abgesehen von meinem dafür sowieso schon fortgeschrittenen Alter.
Anton Potche

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