Martina Petrik: Strandkorb 3 –
Ein Urlaubslesebuch; Piper Verlag, München, 1991; ISBN
3-492-11333-8; 309 Seiten; DM 10,--.
DREI steht im Titel dieses Buches
wahrscheinlich nicht für die dritte Jahreszeit, also den Herbst,
wenn man Strandkörbe nur mehr eingeschränkt benutzt. Wie man sie
benutzt, ist natürlich sehr unterschiedlich. Was man immer wieder
sieht, ist, dass in so einem Strandkorb auch gelesen wird. Zeitungen,
Zeitschriften und Bücher. Im Strandkorb Nr. 3 haben sich viele mehr
oder weniger bekannte Namen aus verschiedenen Literaturepochen die
Ehre gegeben: Lord Byron, Bert Brecht, August
Strindberg, Christoph Ransmayr, Ingeborg
Bachmann u. v. a.. Veranstaltet hat das Treffen auf engstem
physischem und weitestgehend geistigem Raum die 1956 in Bonn geborene
Autorin und Übersetzerin Martina Petrik.
Nun lässt es sich vortrefflich
darüber streiten, ob in einen Strandkorb eher Trivialliteratur oder
mit dem Stigma der Seriosität bedachte Literatur passt. Wobei
natürlich beide so weit auseinanderliegen wie U- und E-Musik. Es
bleibt eine Sache des Geschmacks. Auch bei mir. Also habe ich mir
zuerst mal das Inhaltsverzeichnis vorgenommen. Und dann geschmökert,
aber auch intensiv gelesen. Es war gar nicht so sehr Gustav
Schwabs „Jungfrau Europa, die Tochter des Königes Agenor, in
der tiefen Abgeschiedenheit des väterlichen Palastes“ oder Oswald
Wieners „mühsamer stil“ in seinen kernstücke[n]
zu einer experimentellen vergangenheit oder der schwer
verständliche Jahrmarkt Europa, ein schrecklicher Text von
Hermann Kasack, die mich berührten oder ärgerten, sondern
vor allem die Texte und Autoren, die etwas mit mir zu tun hatten -
oder ich mit ihnen.
So stieß ich auf den mitreißenden
Essay Auszug aus dem Hause Österreich – Unterwegs zur letzten
Kaiserin Europas. Was ich nach dem letzten Satz Christoph
Ransmayrs dann verspürte, war ein Gefühl der
Geschichtsklitterung, dem ich allerdings nichts negatives anhängen
konnte. Und so sieht dann meine Bleistifteintragung unter dem Essay
(übrigens der längste Text in dieser Anthologie) auch aus: Herbert
Demel war Sprecher des Vorstandes der Audi AG. Ich war dort
Schichtarbeiter. Mit Habsburg haben wir beide wenig am Hut. Oder?
Kommen wir nicht beide – rein historisch betrachtet – aus der
Monarchie, er aus dem Zentrum und ich aus der Peripherie? Sich selber
als Geschichte begreifen, würde ich noch hinzufügen. So hat
wahrscheinlich auch Ransmayr empfunden, als er diesen dem Band
Im blinden Winkel. Nachrichten aus Mitteleuropa entnommene
Text verfasste.
Es gibt viele Prosastücke in diesem
Buch, die zum Strandkorb, zu seinem Zweck, seiner Grundbestimmung
passen. So etwa das von Sten Nadolny in einer Festrede
anläßlich einer Tagung der Evangelischen Akademie in Bad Boll (28.
- 30.9.84) behandelte Phänomen
der Geschwindigkeit: „Raserei erzeugt Raserei. Langsamkeit hingegen
ist Zeitgewinn: wir sehen mehr, erheben uns über den
Bewußtseinszustand des primitiven
Reflexes, können nachdenken.“ Die Tagung war mit
Vertretern der Autoindustrie und des ADAC organisiert worden.
Ja,
es geht noch langsamer als langsam. Und dabei kann der Weg in eine
magische Geschichte führen. Wie das geht, hat Fănuș
Neagu
in seiner surrealen
Erzählung
Der Schrei
ausprobiert, als
die Zeit zum Stillstand gekommen war
an einem „Silvestertag, abends, nach acht Uhr“. Und
da konnte
es schon sein,
dass das Gesicht des Protagonisten Ene Lelea „düster und verzerrt
war, die Augen in die Tiefe seines Schädels starrten, wild,
verschleiert vom Wind und gelb brennend wie Schwefelstücke“.
Die
Themenvielfalt in den 41 Texten ist sehr groß. Ein roter Faden ist
allerdings schon im Inhaltsverzeichnis angezeigt: Europa
(in Gustav
Schwabs Prolog).
Aufgeteilt wird der Leitfaden
in drei Perioden: Europäische Perspektiven einst …,
… und jetzt, sowie
Europäisches Panorama.
Der letzte Farbtupfer des Panoramas
wurde von Herta Müller
aufgetragen. In ihrem kurzen Essay Ein deutscher Tropfen,
und das Glas ist voll mangelt es
nicht an Gesellschaftskritik – wie wir es von der Autorin gewohnt
sind. „Glück“ und „deutsch“ müssen nicht unbedingt
zusammenpassen … Und schon gar nicht, wenn Herta
Müller einen Blick auf
sie wirft.
Man
kann dieses Buch ruhig mit in einen Strandkorb nehmen. Man muss ja
nicht alles lesen. Drüberfliegen und bei dem einen oder anderen Text
innehalten, lohnt sich auf jeden Fall.
Anton Potche
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