Freitag, 9. November 2012

Eine der spannendsten Orchesterbiographien Europas


Christa Niklas: Den Bogen gespannt – Vom Staatlichen Georgischen Kammerorchester zum Georgischen Kammerorchester Ingolstadt; espresso Verlag Ingolstadt, 2010; ISBN 978-3-9812964-3-3; 159 Seiten, € 10,00

Der Verein Freunde des Georgischen Kammerorchesters e.V. hat knapp über 500 Mitglieder (Stand: November 2011). Eine von ihnen ist die Lehrerin i.R. Christa Niklas. Was macht man in Rente, wenn man die Musik liebt und ihre Gestalter bewundert? Man unterstützt Letztere mit allen einem zu Gebote stehenden Mitteln, um Erstere je länger genießen zu können. Christa Niklas, Jahrgang 1945, verfügt über das übliche Maß hinaus über ein solches Mittel: die Sprache. Und sie hat diese lobenswerterweise in den Dienst des Georgischen Kammerorchesters Ingolstadt gestellt. Das Resultat ihrer Arbeit ist ein Buch über das Leben, wortwörtlich gemeint, der „Georgier“, wie die Ingolstädter „ihre“ Musiker vom Osten des Schwarzen Meeres nennen.

Das Buch ist viel mehr als der Werdegang eines Orchesters von seinem Ursprung bis ins Jahr 2010, Erscheinungsjahr der Orchesterbiographie. Und zwar darum, weil es die menschliche Seite dieser Musiker in den Vordergrund stellt, mit all ihren Freuden und nicht wenigen Leiden, ihren Opfern und Erfolgen, aber auch dem Heimweh, eines jener starken Gefühle, das von Menschen, die es nicht kennen, nur in eingeschränktem Maße nachempfunden werden kann.

Das Buch beginnt mit der Geschichte Georgiens. Und Christa Niklas weiß genau, was zieht. Lehrerin bleibt Lehrerin. Diese Entstehungssage ist so schön und vor allem so zutreffend, dass man es hoffentlich auch mal einem Rezensenten nachsieht, wenn er sie schlicht und einfach abschreibt, Wort für Wort: „Als Gott die Länder der Erde an die Völker verteilte, kamen alle eilig herbei, um sich ein gutes Fleckchen zu sichern. Die Georgier sangen und tanzten vor Freude, bevor sie sich schließlich auch auf den Weg machten und vor Gott erschienen. Nur leider zu spät! Alle Landstriche waren bereits vergeben. ‚Wir sind nur so spät gekommen, weil wir dir zu Ehren sangen und tanzten’, sagten sie zu Gott. Das erfreute ihn so, dass er ihnen das Stückchen Land schenkte, das er eigentlich sich selbst zugedacht hatte.“

Aus diesem Land also kommen „unsere Georgier“, die 1990 nur kurz hier in Ingolstadt verweilen wollten, bis die politischen Unruhen in ihrem Land sich gelegt hatten. Georgien ist heute, immerhin 22 Jahre später, einigermaßen stabil, aber die Georgier sind längst in der Stadt an der Donau heimisch geworden – dank einer weitsichtigen Stadtverwaltung, dank Audi und dank dem Engagement vieler Ingolstädter Bürger. Wie es überhaupt dazu kam, erfährt man im zweiten Kapitel.

Man liest das Buch mit „răsuflarea la gură“, wie der Rumäne so schön sagt, also sinngemäß mit angehaltenem Atem. Warum dieser Hinweis auf eine rumänische Redewendung? Weil die Reihenfolge der Musikerbiographien (Kap. III) mit einer Rumänin beginnt. Das ist zwar alphabetbedingt rein zufällig, deutet aber bereits über die Sesshaftwerdung des Orchesters hinaus, in die Zukunft. Raluca Bădescu stammt aus Temeswar und ist das erste nichtgeorgische Ensemblemitglied.

Seit dem Erscheinen dieser Orchestervita sind erst zwei Jahre vergangen, aber ein Blick auf die gegenwärtige Besetzung zeigt, dass auch dieser Klangkörper sich fortlaufend personell und auch künstlerisch verändert. Das Orchester hatte in seiner Ingolstädter Zeit eine Dirigentin und drei Dirigenten: Liana Isakadze, Markus Poschner, Ariel Zukermann und zurzeit Lavard Skou Larsen. Einige der im Buch erwähnten Orchestermitgieder sind im Rentenalter und haben sich zurückgezogen, andere Musiker sind hinzugekommen. Das Leben geht weiter und nach ein, zwei Generationen wird dieses Kammerorchester seine Geschichte, die auch die Geschichte Europas des ausklingenden 20. Jahrhunderts widerspiegelt, nur noch in seinem Namen tragen.

Bedingung ist natürlich, dass es überlebt, denn die Kultur ist immer in Gefahr, staatlichen oder wirtschaftlichen Einsparmaßnahmen zum Opfer zu fallen. Welche Voraussetzungen das Weiterleben des Georgischen Kammerorchesters Ingolstadt gewährleisten können, hat Daniel Niklas in einem kulturpolitischen Essay mit dem Titel „Georgien und die deutsche auswärtige Kulturpolitik“ analysiert. Er zieht ein Fazit, das Musiker & Musikliebhaber auch für die Zukunft optimistisch stimmen dürfte und gut als Schlusspunkt für diese interessante Orchesterbiographie passt: „Immer wieder jedoch kommt es auf private Eigeninitiative, zunehmend auf Public Private Partnerships (Kooperationen zwischen öffentlicher Hand und Drittmittelgebern), auf den Goodwill örtlicher Entscheidungsträger sowie viel Idealismus und Durchhaltevermögen aller einzelnen Beteiligten an.“

Bleibt nur zu hoffen, dass diese Analyse auch in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrisen Bestand haben wird.


Anton Potche

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