Christa Niklas: Den Bogen gespannt – Vom
Staatlichen Georgischen Kammerorchester zum Georgischen Kammerorchester
Ingolstadt; espresso Verlag Ingolstadt, 2010; ISBN 978-3-9812964-3-3; 159
Seiten, € 10,00
Der Verein Freunde des Georgischen Kammerorchesters e.V.
hat knapp über 500 Mitglieder (Stand: November 2011). Eine von ihnen ist die
Lehrerin i.R. Christa Niklas. Was
macht man in Rente, wenn man die Musik liebt und ihre Gestalter bewundert? Man
unterstützt Letztere mit allen einem zu Gebote stehenden Mitteln, um Erstere je
länger genießen zu können. Christa
Niklas, Jahrgang 1945, verfügt über das übliche Maß hinaus über ein solches
Mittel: die Sprache. Und sie hat diese lobenswerterweise in den Dienst des Georgischen
Kammerorchesters Ingolstadt gestellt. Das Resultat ihrer Arbeit ist ein
Buch über das Leben, wortwörtlich gemeint, der „Georgier“, wie die Ingolstädter
„ihre“ Musiker vom Osten des Schwarzen Meeres nennen.
Das Buch ist viel mehr als
der Werdegang eines Orchesters von seinem Ursprung bis ins Jahr 2010,
Erscheinungsjahr der Orchesterbiographie. Und zwar darum, weil es die
menschliche Seite dieser Musiker in den Vordergrund stellt, mit all ihren
Freuden und nicht wenigen Leiden, ihren Opfern und Erfolgen, aber auch dem
Heimweh, eines jener starken Gefühle, das von Menschen, die es nicht kennen,
nur in eingeschränktem Maße nachempfunden werden kann.
Das Buch beginnt mit der
Geschichte Georgiens. Und Christa Niklas
weiß genau, was zieht. Lehrerin bleibt Lehrerin. Diese Entstehungssage ist so
schön und vor allem so zutreffend, dass man es hoffentlich auch mal einem
Rezensenten nachsieht, wenn er sie schlicht und einfach abschreibt, Wort für
Wort: „Als Gott die Länder der Erde an die Völker verteilte, kamen alle eilig
herbei, um sich ein gutes Fleckchen zu sichern. Die Georgier sangen und tanzten
vor Freude, bevor sie sich schließlich auch auf den Weg machten und vor Gott
erschienen. Nur leider zu spät! Alle Landstriche waren bereits vergeben. ‚Wir sind
nur so spät gekommen, weil wir dir zu Ehren sangen und tanzten’, sagten sie zu
Gott. Das erfreute ihn so, dass er ihnen das Stückchen Land schenkte, das er
eigentlich sich selbst zugedacht hatte.“
Aus diesem Land also
kommen „unsere Georgier“, die 1990 nur kurz hier in Ingolstadt verweilen
wollten, bis die politischen Unruhen in ihrem Land sich gelegt hatten. Georgien
ist heute, immerhin 22 Jahre später, einigermaßen stabil, aber die Georgier
sind längst in der Stadt an der Donau heimisch geworden – dank einer
weitsichtigen Stadtverwaltung, dank Audi und dank dem Engagement vieler
Ingolstädter Bürger. Wie es überhaupt dazu kam, erfährt man im zweiten Kapitel.
Man liest das Buch mit „răsuflarea
la gură“, wie der Rumäne so schön sagt, also sinngemäß mit angehaltenem Atem.
Warum dieser Hinweis auf eine rumänische Redewendung? Weil die Reihenfolge der
Musikerbiographien (Kap. III) mit einer Rumänin beginnt. Das ist zwar
alphabetbedingt rein zufällig, deutet aber bereits über die Sesshaftwerdung des
Orchesters hinaus, in die Zukunft. Raluca
Bădescu stammt aus Temeswar und ist das erste
nichtgeorgische Ensemblemitglied.
Seit dem Erscheinen dieser
Orchestervita sind erst zwei Jahre vergangen, aber ein Blick auf die
gegenwärtige Besetzung zeigt, dass auch dieser Klangkörper sich fortlaufend
personell und auch künstlerisch verändert. Das Orchester hatte in seiner
Ingolstädter Zeit eine Dirigentin und drei Dirigenten: Liana Isakadze, Markus Poschner,
Ariel Zukermann und zurzeit Lavard Skou Larsen. Einige der im Buch
erwähnten Orchestermitgieder sind im Rentenalter und haben sich zurückgezogen, andere Musiker sind hinzugekommen. Das Leben geht weiter und nach ein, zwei
Generationen wird dieses Kammerorchester seine Geschichte, die auch die
Geschichte Europas des ausklingenden 20. Jahrhunderts widerspiegelt, nur noch
in seinem Namen tragen.
Bedingung ist natürlich,
dass es überlebt, denn die Kultur ist immer in Gefahr, staatlichen oder
wirtschaftlichen Einsparmaßnahmen zum Opfer zu fallen. Welche Voraussetzungen
das Weiterleben des Georgischen Kammerorchesters Ingolstadt gewährleisten können,
hat Daniel Niklas in einem kulturpolitischen Essay mit dem Titel „Georgien und
die deutsche auswärtige Kulturpolitik“ analysiert. Er zieht ein Fazit, das
Musiker & Musikliebhaber auch für die Zukunft optimistisch stimmen dürfte
und gut als Schlusspunkt für diese interessante Orchesterbiographie passt:
„Immer wieder jedoch kommt es auf private Eigeninitiative, zunehmend auf Public
Private Partnerships (Kooperationen zwischen öffentlicher Hand und
Drittmittelgebern), auf den Goodwill örtlicher Entscheidungsträger sowie viel
Idealismus und Durchhaltevermögen aller einzelnen Beteiligten an.“
Bleibt nur zu hoffen, dass
diese Analyse auch in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrisen Bestand haben
wird.
Anton Potche
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