Der Dreizehnte ist ein Unglückstag. Für alle, die dran
glauben. Fällt er dann auch noch mit einem Freitag zusammen, ist das ein Katastrophentag
sondergleichen. Ein Konzert für Tuba und Orchester an einem Freitag, dem 13.
eines Monats, und das auch noch in Bukarest, wo doch die Rumänen als besonders
abergläubisch bekannt sind. (Aber zum Glück eine Woche vor einer
stattgefundenen Teilsonnenfinsternis.) Kann so etwas gut gehen? Das Konzert fand auf jeden Fall statt.
Ich habe einen Mitschnitt in die Hände bekommen und mir ihn wieder und wieder angesehen. Als ich schon so weit war, ein paar Worte darüber zu schreiben, wies man mich auf einen rumänischen Blogeintrag hin … und ich begann zu übersetzen.
Das ist doch eine bemerkenswerte Herangehensweise an ein
Musikstück. Was man in diesem Blogeintrag zu lesen bekommt, ist mehr als eine
rein sachbezogene Konzertkritik, da sind Emotionen mit im Spiel,
Gedankengeflechte, die ein genreübergreifendes Musikverständnis erahnen lassen.
Der rumänische Blogger nennt sich despredemnitate
(überdiewürde). Seinen bürgerlichen Namen hat man mir mittlerweile auch
zugeflüstert: Alexandru Pătraşcu. Er
nennt sich ein „Amateur, kein Dilettant, sondern ein Liebhaber“. Wie auch
immer, damit hat er so manchem Feuilletonkritiker Einiges voraus.
Und mit dieser bescheidenen Einstellung hat er sich auch
nach diesem Freitagabend eines Dreizehnten an die Arbeit gemacht. Dass er sich
im Rumänischen Athenäum mehr als nur zurückgelehnt und entspannt der Musik
gelauscht hat, dürfte jedem nach dem Lesen seiner Kritik klar sein. Er hat
nachgedacht. Und seine Gedanken hatten ein wahres Labyrinth zu meistern, quer
durch Religion, Zeitgeschichte und Musik, immer wieder Musik mit ihren Zufällen
und wundersamen Fügungen. (Eine zweite Kritik von Alexandru Pătraşcu ist in einer der größten rumänischen Tageszeitungen,
ADEVĂRUL, erschienen.) Mir jedenfalls hat sein Blog-Eintrag die langsam
keimende Lust zum Schreiben richtig vergällt. Weil man aber von einer
segensreichen rumänisch-deutschen Kulturzusammenarbeit auch im deutschen
Sprachraum erfahren sollte, habe ich mich zu einer Übersetzung dieser
rumänischen Kritik – vor allem, weil sie auf authentischen Konzerteindrücken
und nicht auf Videoimpressionen fußt – entschlossen. Und das ist sie:
Die Tuba und der
Totalitarismus
An einem Freitag, 13. März 2015, im Rumänischen Athenäum
Johannes Brahms: Tragische
Ouvertüre op. 81
Ralph Vaughan Williams: Konzert für Tuba
und Orchester
Ionel Dumitru: Rumänischer Tanz
Nr. 2 für Tuba und Orchester
Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 5 in
d-Moll op. 47
Solist: SIEGFRIED JUNG
Dirigent: WALTER HILGERS
Symphonieorchester der Philharmonie „George Enescu“
Ein nicht alltägliches, aber
sehr reizvolles Konzert der Philharmonie „George Enescu“ konnte den Konzertsaal
des Athenäums nicht ganz füllen. Schade, es
hätte ein zahlreicheres Publikum verdient. Wie können wir uns unter diesen
Umständen noch beklagen, dass der Saal des Palastes ungeeignet für symphonische
Konzerte sei? (A.d.Ü.: Nicht nur München,
auch Bukarest hat seine Konzertsaaldiskussion.)
Ein Programm, das dich zu verschiedenen metaphysischen
Kombinationen anregt: eine tragische Ouvertüre, gefolgt von einem Tubarezital. Und aus Sicht der apokalyptischen Symphonie Schostakowitschs bekommt
die Tuba die Bedeutung einer Tuba mirum, die das Ende der Welt verkündende Posaune
des Erzengels Gabriel. Eine Aneinanderreihung
von Weltuntergangsbildern, die nur durch die Musik neu bewertet werden kann. „Tuba“
heißt im Lateinischen „Trompete / Posaune“, obwohl das Instrument, das wir
unter der Bezeichnung „Tuba“ kennen, das tiefste unter den
Blechblasinstrumenten eines Orchesters ist. Und wenn dieses Instrument zur
Interpretation des Konzertes von Vaughan Williams eingesetzt wird … erlangt der
tiefe Ton eine so intensive, aber auch so beruhigende Farbe, dass man sich nur
auf diese Art erklären kann, wie dieselbe biblische Posaune auch die Geburt
Christi ankündigen kann, denn „Maria Verkündigung“, die jetzt bald am 25. März
gefeiert wird, ist auch das Werk des Erzengels Gabriel.
Ich akzeptiere problemlos das Nasenrümpfen der Atheisten, Agnostiker
und extremen Laizisten; es ist die einzige Erklärung, die ich für dieses
Paradoxon der Tuba finden kann, ein Instrument mit der Fähigkeit, einen weichen
und umgarnenden Klang zu generieren, mit dem Schein eines schweren und
kostbaren Brokats in den Solopartien (Bydlo aus Mussorgskis „Bildern“ ist nur
ein Beispiel), oder eine ungestüme, säbelhiebgleiche Rhythmik im Gesamtbau
einer Symphonie (Berlioz’ „Symphonie Fantastique“ wäre ein anderes Beispiel).
Ein Detail, das dem Konzertplakat
nicht zu entnehmen war: Außer dem Solisten Siegfried Jung standen gestern Abend
noch zwei Tubisten auf der Bühne. Der Dirigent Walter
Hilgers musizierte lange Zeit als Tubist in verschiedenen deutschen Orchestern,
aber auch bei den Wiener Philharmonikern und in Bayreuth. (Das ist nichts
Ungewöhnliches, auch Tiberiu Soare ist ausgebildeter Tubabläser.) Und in Schostakowitschs Symphonie wurde die Tuba-Stafette an
den jungen Laurenţiu Sima, den Tubisten der Philharmonie „George Enescu“,
weitergereicht. Es ist wirklich eine wahre Stafette, so unglaublich es auch
klingen mag, denn die Tuba der Philharmonie wurde soeben mit einem neuen
Mundstück aufgewertet, das „auf Bestellung“ mit der von Siegfried Jung
vorgeschlagenen Qualitätsparaphe angefertigt wurde!
Das Konzert hat so normal wie
möglich und fast brav begonnen, könnte ich hinzufügen. Brahms' "Tragische Ouvertüre" wurde korrekt
interpretiert, ohne Übertreibungen. Schlussendlich wurde Brahms’ Dilemma, seine
Ouvertüre tragisch oder dramatisch zu nennen, überzeugend gelöst: nichts
Tragisches, aber sehr dramatisch.
Der Anziehungspunkt des ersten
Teils war aber eindeutig das Konzert für Tuba (Video auf YouTube). Wenn Sie jemals „The Lark Ascending“ gehört haben, können Sie nachvollziehen,
wovon die Rede ist. Wenn nicht, umso
besser: Die Musik Vaughan Williams’ kann ebenso gut in diesem Konzert entdeckt
werden, das 1954 für das Jubiläum des London Symphony Orchestra komponiert
wurde. Wenn der erste Teil die Quellen ungeahnter Virtuositäten dieses
Instrumentes sprießen lässt, wie auch der letzte Teil, ist hingegen die Romanze
der nicht länger als eine viertel Stunde dauernden Komposition hinreißend. Ich habe nicht gedacht, dass diesem nicht sehr bekannten Konzert so
viel Poesie und Betrachtungsmöglichkeiten innewohnen,
vergleichbar mit dem Gefühl, das der Anblick eines
Sonnenuntergangs in einer ländlichen Landschaft hervorrufen kann. Was Siegfried Jung betrifft, gehört ihm meine Bewunderung für
die Art und Weise, wie er die Klangfarbe seines Instrumentes unverfälscht
beibehielt, so schwierig es auch war, schnell in einem hohen Register, fast
dauernd, zu spielen, uns dabei immer die romantische Seite dieses Messings zeigend. Wenn Sie wollen, genauso wie Boris
Godunov durch seine verrückte Humanität die Menschen berührt, jenseits jedweder
politischen Dimensionen, genauso wie der unerbittliche Philip II gleichrangig mit
dem Untertänigsten von uns wird, wenn er in „Ella giamai m’amo“ der Last der
Macht erliegt.
Am Donnerstag und Freitag war auch ein vierter Tubist im Saal
des Athenäums: Ionel Dumitru, noch in aller Erinnerung als ein wahrer Tubazauberer.
Stellen Sie sich Paganinis „Capricci für Violine“ gespielt auf der Tuba vor! Es
ist der Virtuositätsmaßstab eines Künstlers, aber leider viel zu wenig bekannt
beim breiten Publikum. Freilich hat Ionel Dumitru, 1997 endgültig in die
Kulissen zurückgetreten, gestern Abend nicht gespielt. Es blieb der Beweis dieser unermüdlichen Gewandtheit aus dem „Rumänischen
Tanz Nr. 2“, ein Juwel, eine der wenigen Kompositionen, in denen das Volksethos
mit einem in anderen rumänischen Kompositionen selten anzutreffenden Charakter
beschworen wird. Für Siegfried Jung war es kein
Problem ihn perfekt zu interpretieren, so ausgewogen ist das Verhältnis
zwischen klassischer und Volksmusik in diesem Tanz, nie zu idiomatisch, nie zu anspruchsvoll.
Schostakowitsch … Bevor man von der „5. Symphonie“ spricht,
sollte man tief durchatmen. Zum Glück gibt es in einem symphonischen Konzert
irgendwann auch eine Pause. Eine Pause vor einer Apokalypse ohne Erlösung - umso
nötiger nach einem Gedicht. Denn davon ist im letzten Teil
der Symphonie Schostakowitschs die Rede: nicht so sehr vom Triumph des
Proletkultismus, wie ihm einige „Kenner“ vorgehalten haben, sondern der endgültigen Niederlage vor Stalin. Es war nie die Geschichte vom verlorenen, heimgekehrten Sohn.
Es war schon immer die Geschichte eines in Ketten zurück ins
Lager gebrachten und zur eigenen Umerziehung verdammten Menschen. Ein
musikalisches Piteşti.
(A.d.Ü.: In der Stadt Piteşti unterhielten die rumänischen Kommunisten ein berüchtigtes
Umerziehungslager.)
Gibt es ein musikalisches
Idiom des Kommunismus? Ich glaube, ja. Ein halbes Jahrhundert Totalitarismus in
Osteuropa und 70 Jahre Sowjetismus in Russland haben in die Gene der aus dieser
östlichen Randgegend stammenden Interpreten eine besondere Empathie für diese
Symphonie, die das hiesige Publikum am besten versteht, eingepflanzt. Ein westlicher Dirigent kann diese Geschichte erzählen, aber er
macht es so wie die Filmemacher mit „Doktor Schiwago“; das ist und ist keine
Verfilmung von Boris Pasternak. Und vielleicht war diese subtile Distanzierung
Walter Hilgers, unvermeidlich beim Fehlen eines Glaubensorgans (Tarkowski), das
Treffendste. Schostakowitschs Symphonie endet
unversöhnlich, bedrückend. Es ist eine
dunkle Apotheose des Stalinismus. Als einzige Erinnerung wäre auch an diesem
Abend eine bedrückende Gemütswallung wie vor Jahren bei Christian Badea
zurückgeblieben. Hier dieses Konzert bedeutete aber auch Licht, nicht nur
Verbitterung.
Der erste Teil der Symphonie begann nicht sehr
erfreulich: Mit dem Einsatz des Klaviers entstanden einige spürbare rhythmische
Ungenauigkeiten im Orchester, die aber schnell korrigiert wurden. Im weiteren Verlauf entwickelte das Konzert sich
einwandfrei, mit einer begrüßenswerten Betonung der Soloparts. So zum Beispiel das von der Geige
mit einem Unschulds-Feeling intonierte Walserthema – hervorragend Cătălin
Desagă, Konzertmeister bei Justus Franz. Schostakowitsch macht sich im zweiten Teil der Symphonie dessen schuldig, was George
Orwell in „1984“ einen Mord des doppelten Denkens nannte. Eine reine Melodie, jungfräulich, ein Walser wie ein Spiel, ein von der
Geige und verschiedenen Blasinstrumenten wiederholtes Thema, das dann vom
Orchester in einer rauen Art und Weise übernommen wird. Als hätte man ein Kind
vor Augen, das Lesen lernt, von Mal zu Mal besser, um dann in einem Chor zu
landen, der ideologische Losungen deklamiert. Das ist der Sarkasmus in der
Musik. Das ist aber auch ein Maß der Unkultur in der Mannschaft Schdanows, wo
man die Zweideutigkeit Schostakowitschs nicht erkannt hat und ihn, ihm verzeihend,
wieder in die Partei aufgenommen hat. Ist die „Symphonie Nr. 5“ ein
programmatisches Werk? Zum Teil ja, denn eine Absichtserklärung beinhaltet
schon der Untertitel: „Die kreative Antwort eines sowjetischen Künstlers auf
die gerechte Kritik.“ Die Kulturaktivisten hatten wie üblich ad litteram
gelesen. Die Zuhörer der Premiere sahen
1937 jenseits der Worte, und zwar im Bläserchoral des orthodoxen Begräbnisses
aus dem dritten Teil der Symphonie, einen Moment, in dem die Musik dich deine
Toten beweinen lässt.
Walter Hilgers hat das Orchester
mit der Effizienz einer soliden musikalischen Erfahrung durch diesen
symphonischen Diskurs geführt, sowohl Doppelsinnigkeiten als auch
Zügellosigkeit vermeidend. Eine zurückhaltende Lesart. Respekt. Er hat sich sogar erlaubt, im Finale eine Hoffnung
aufrechtzuerhalten, dort wo Schostakowitsch längst keine mehr hatte: Das
Donnern der Perkussion wurde in dieser ausgeglichenen Manier beibehalten. Ein
Dirigentenstab, der die Musik davon abhielt, uns zu treffen…
[aus dem Rumänischen von Anton
Potche]
Walter Hilgers und Siegfried Jung Symphonieorchester "George Enescu"
Foto: Romeo Zaharia
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Siegfried Jungs Vater war zwar Trompeter und Gittarist in der Jahrmarkter Kaszner-Kapelle, er
selber aber war Loris-Schüler in Osthofen, zu Beginn auch an der Trompete. Doch
die sollte schon bald der Tuba weichen, und ein bislang erfolgreiches
Musikerleben konnte seinen Anfang nehmen. Der Weg führte nach Weimar zu Walter Hilgers,
einer der profiliertesten Tubisten der deutschen Musikszene und mittlerweile
eine feste Größe auch im rumänischen Musikbetrieb.
Tja,
und wie sich ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis entwickeln kann, auch darüber
erzählt zwischen den Reihen diese Konzertkritik eines rumänischen
Musikliebhabers, dessen Steckenpferd die Oper ist. Und wenn beide, Lehrer
und Schüler (natürlich ehemalige), im Mai Gastdirigent und Solist der Philharmonie „Banatul“ sein werden, dann wird
das besonders für Siegfried Jung ein
Plus an Emotionen bedeuten, ist Temeswar doch seine Geburtsstadt und das
nahegelegene Jahrmarkt (heute Giarmata), das Dorf, in dem es nie schwierig war
Musikergenen zur weiteren Entfaltung zu verhelfen, der Heimatort seiner Eltern,
also seiner eigenen Wurzeln.
Anton Potche
Habe Walter Hilgers vor 40 Jahren als Tubist unter Karajan erlebt - Alpensymphonie - und unter seinem Dirigat in Stolberg mehrfach gespielt, z.B die Akademische Festouvertüre und vieles mehr. War immer begeistert von seinem Dirigat und habe durch ihn - ohne Unterricht - selbst dirigieren gelernt.
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