Montag, 23. März 2015

Walter Hilgers und Siegfried Jung zu Gast beim Symphonieorchester „George Enescu“ - I

Der Dreizehnte ist ein Unglückstag. Für alle, die dran glauben. Fällt er dann auch noch mit einem Freitag zusammen, ist das ein Katastrophentag sondergleichen. Ein Konzert für Tuba und Orchester an einem Freitag, dem 13. eines Monats, und das auch noch in Bukarest, wo doch die Rumänen als besonders abergläubisch bekannt sind. (Aber zum Glück eine Woche vor einer stattgefundenen Teilsonnenfinsternis.) Kann so etwas gut gehen? Das Konzert fand auf jeden Fall statt.  

Ich habe einen Mitschnitt in die Hände bekommen und mir ihn wieder und wieder angesehen. Als ich schon so weit war, ein paar Worte darüber zu schreiben, wies man mich auf einen rumänischen Blogeintrag hin … und ich begann zu übersetzen.

Das ist doch eine bemerkenswerte Herangehensweise an ein Musikstück. Was man in diesem Blogeintrag zu lesen bekommt, ist mehr als eine rein sachbezogene Konzertkritik, da sind Emotionen mit im Spiel, Gedankengeflechte, die ein genreübergreifendes Musikverständnis erahnen lassen. Der rumänische Blogger nennt sich despredemnitate (überdiewürde). Seinen bürgerlichen Namen hat man mir mittlerweile auch zugeflüstert: Alexandru Pătraşcu. Er nennt sich ein „Amateur, kein Dilettant, sondern ein Liebhaber“. Wie auch immer, damit hat er so manchem Feuilletonkritiker Einiges voraus.

Und mit dieser bescheidenen Einstellung hat er sich auch nach diesem Freitagabend eines Dreizehnten an die Arbeit gemacht. Dass er sich im Rumänischen Athenäum mehr als nur zurückgelehnt und entspannt der Musik gelauscht hat, dürfte jedem nach dem Lesen seiner Kritik klar sein. Er hat nachgedacht. Und seine Gedanken hatten ein wahres Labyrinth zu meistern, quer durch Religion, Zeitgeschichte und Musik, immer wieder Musik mit ihren Zufällen und wundersamen Fügungen. (Eine zweite Kritik von Alexandru Pătraşcu ist in einer der größten rumänischen Tageszeitungen, ADEVĂRUL, erschienen.) Mir jedenfalls hat sein Blog-Eintrag die langsam keimende Lust zum Schreiben richtig vergällt. Weil man aber von einer segensreichen rumänisch-deutschen Kulturzusammenarbeit auch im deutschen Sprachraum erfahren sollte, habe ich mich zu einer Übersetzung dieser rumänischen Kritik – vor allem, weil sie auf authentischen Konzerteindrücken und nicht auf Videoimpressionen fußt – entschlossen. Und das ist sie:

Die Tuba und der Totalitarismus

An einem Freitag, 13. März 2015, im Rumänischen Athenäum
Johannes Brahms: Tragische Ouvertüre op. 81
Ralph Vaughan Williams: Konzert für Tuba und Orchester
Ionel Dumitru: Rumänischer Tanz Nr. 2 für Tuba und Orchester
Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 5 in d-Moll op. 47
Solist: SIEGFRIED JUNG
Dirigent: WALTER HILGERS
Symphonieorchester der Philharmonie „George Enescu“

Ein nicht alltägliches, aber sehr reizvolles Konzert der Philharmonie „George Enescu“ konnte den Konzertsaal des Athenäums nicht ganz füllen. Schade, es hätte ein zahlreicheres Publikum verdient. Wie können wir uns unter diesen Umständen noch beklagen, dass der Saal des Palastes ungeeignet für symphonische Konzerte sei? (A.d.Ü.: Nicht nur München, auch Bukarest hat seine Konzertsaaldiskussion.)

Ein Programm, das dich zu verschiedenen metaphysischen Kombinationen anregt: eine tragische Ouvertüre, gefolgt von einem Tubarezital. Und aus Sicht der apokalyptischen Symphonie Schostakowitschs bekommt die Tuba die Bedeutung einer Tuba mirum, die das Ende der Welt verkündende Posaune des Erzengels Gabriel. Eine Aneinanderreihung von Weltuntergangsbildern, die nur durch die Musik neu bewertet werden kann. „Tuba“ heißt im Lateinischen „Trompete / Posaune“, obwohl das Instrument, das wir unter der Bezeichnung „Tuba“ kennen, das tiefste unter den Blechblasinstrumenten eines Orchesters ist. Und wenn dieses Instrument zur Interpretation des Konzertes von Vaughan Williams eingesetzt wird … erlangt der tiefe Ton eine so intensive, aber auch so beruhigende Farbe, dass man sich nur auf diese Art erklären kann, wie dieselbe biblische Posaune auch die Geburt Christi ankündigen kann, denn „Maria Verkündigung“, die jetzt bald am 25. März gefeiert wird, ist auch das Werk des Erzengels Gabriel.

Ich akzeptiere problemlos das Nasenrümpfen der Atheisten, Agnostiker und extremen Laizisten; es ist die einzige Erklärung, die ich für dieses Paradoxon der Tuba finden kann, ein Instrument mit der Fähigkeit, einen weichen und umgarnenden Klang zu generieren, mit dem Schein eines schweren und kostbaren Brokats in den Solopartien (Bydlo aus Mussorgskis „Bildern“ ist nur ein Beispiel), oder eine ungestüme, säbelhiebgleiche Rhythmik im Gesamtbau einer Symphonie (Berlioz’ „Symphonie Fantastique“ wäre ein anderes Beispiel).

Ein Detail, das dem Konzertplakat nicht zu entnehmen war: Außer dem Solisten Siegfried Jung standen gestern Abend noch zwei Tubisten auf der Bühne. Der Dirigent Walter Hilgers musizierte lange Zeit als Tubist in verschiedenen deutschen Orchestern, aber auch bei den Wiener Philharmonikern und in Bayreuth. (Das ist nichts Ungewöhnliches, auch Tiberiu Soare ist ausgebildeter Tubabläser.) Und in Schostakowitschs Symphonie wurde die Tuba-Stafette an den jungen Laurenţiu Sima, den Tubisten der Philharmonie „George Enescu“, weitergereicht. Es ist wirklich eine wahre Stafette, so unglaublich es auch klingen mag, denn die Tuba der Philharmonie wurde soeben mit einem neuen Mundstück aufgewertet, das „auf Bestellung“ mit der von Siegfried Jung vorgeschlagenen Qualitätsparaphe angefertigt wurde!

Das Konzert hat so normal wie möglich und fast brav begonnen, könnte ich hinzufügen.  Brahms' "Tragische Ouvertüre" wurde korrekt interpretiert, ohne Übertreibungen. Schlussendlich wurde Brahms’ Dilemma, seine Ouvertüre tragisch oder dramatisch zu nennen, überzeugend gelöst: nichts Tragisches, aber sehr dramatisch.

Der Anziehungspunkt des ersten Teils war aber eindeutig das Konzert für Tuba (Video auf YouTube). Wenn Sie jemals „The Lark Ascending“ gehört haben, können Sie nachvollziehen, wovon die Rede ist. Wenn nicht, umso besser: Die Musik Vaughan Williams’ kann ebenso gut in diesem Konzert entdeckt werden, das 1954 für das Jubiläum des London Symphony Orchestra komponiert wurde. Wenn der erste Teil die Quellen ungeahnter Virtuositäten dieses Instrumentes sprießen lässt, wie auch der letzte Teil, ist hingegen die Romanze der nicht länger als eine viertel Stunde dauernden Komposition hinreißend. Ich habe nicht gedacht, dass diesem nicht sehr bekannten Konzert so viel Poesie und Betrachtungsmöglichkeiten innewohnen, vergleichbar mit dem Gefühl, das der Anblick eines Sonnenuntergangs in einer ländlichen Landschaft hervorrufen kann. Was Siegfried Jung betrifft, gehört ihm meine Bewunderung für die Art und Weise, wie er die Klangfarbe seines Instrumentes unverfälscht beibehielt, so schwierig es auch war, schnell in einem hohen Register, fast dauernd, zu spielen, uns dabei immer die romantische Seite dieses Messings zeigend. Wenn Sie wollen, genauso wie Boris Godunov durch seine verrückte Humanität die Menschen berührt, jenseits jedweder politischen Dimensionen, genauso wie der unerbittliche Philip II gleichrangig mit dem Untertänigsten von uns wird, wenn er in „Ella giamai m’amo“ der Last der Macht erliegt.

Am Donnerstag und Freitag war auch ein vierter Tubist im Saal des Athenäums: Ionel Dumitru, noch in aller Erinnerung als ein wahrer Tubazauberer. Stellen Sie sich Paganinis „Capricci für Violine“ gespielt auf der Tuba vor! Es ist der Virtuositätsmaßstab eines Künstlers, aber leider viel zu wenig bekannt beim breiten Publikum. Freilich hat Ionel Dumitru, 1997 endgültig in die Kulissen zurückgetreten, gestern Abend nicht gespielt. Es blieb der Beweis dieser unermüdlichen Gewandtheit aus dem „Rumänischen Tanz Nr. 2“, ein Juwel, eine der wenigen Kompositionen, in denen das Volksethos mit einem in anderen rumänischen Kompositionen selten anzutreffenden Charakter beschworen wird. Für Siegfried Jung war es kein Problem ihn perfekt zu interpretieren, so ausgewogen ist das Verhältnis zwischen klassischer und Volksmusik in diesem Tanz, nie zu idiomatisch, nie zu anspruchsvoll.

Schostakowitsch … Bevor man von der „5. Symphonie“ spricht, sollte man tief durchatmen. Zum Glück gibt es in einem symphonischen Konzert irgendwann auch eine Pause. Eine Pause vor einer Apokalypse ohne Erlösung - umso nötiger nach einem Gedicht. Denn davon ist im letzten Teil der Symphonie Schostakowitschs die Rede: nicht so sehr vom Triumph des Proletkultismus, wie ihm einige „Kenner“ vorgehalten haben, sondern der endgültigen Niederlage vor Stalin. Es war nie die Geschichte vom verlorenen, heimgekehrten Sohn. Es war schon immer die Geschichte eines in Ketten zurück ins Lager gebrachten und zur eigenen Umerziehung verdammten Menschen. Ein musikalisches Piteşti. (A.d.Ü.: In der Stadt Piteşti unterhielten die rumänischen Kommunisten ein berüchtigtes Umerziehungslager.)

Gibt es ein musikalisches Idiom des Kommunismus? Ich glaube, ja. Ein halbes Jahrhundert Totalitarismus in Osteuropa und 70 Jahre Sowjetismus in Russland haben in die Gene der aus dieser östlichen Randgegend stammenden Interpreten eine besondere Empathie für diese Symphonie, die das hiesige Publikum am besten versteht, eingepflanzt. Ein westlicher Dirigent kann diese Geschichte erzählen, aber er macht es so wie die Filmemacher mit „Doktor Schiwago“; das ist und ist keine Verfilmung von Boris Pasternak. Und vielleicht war diese subtile Distanzierung Walter Hilgers, unvermeidlich beim Fehlen eines Glaubensorgans (Tarkowski), das Treffendste. Schostakowitschs Symphonie endet unversöhnlich, bedrückend.  Es ist eine dunkle Apotheose des Stalinismus. Als einzige Erinnerung wäre auch an diesem Abend eine bedrückende Gemütswallung wie vor Jahren bei Christian Badea zurückgeblieben. Hier dieses Konzert bedeutete aber auch Licht, nicht nur Verbitterung.

Der erste Teil der Symphonie begann nicht sehr erfreulich: Mit dem Einsatz des Klaviers entstanden einige spürbare rhythmische Ungenauigkeiten im Orchester, die aber schnell korrigiert wurden. Im weiteren Verlauf entwickelte das Konzert sich einwandfrei, mit einer begrüßenswerten Betonung der Soloparts. So zum Beispiel das von der Geige mit einem Unschulds-Feeling intonierte Walserthema – hervorragend Cătălin Desagă, Konzertmeister bei Justus Franz. Schostakowitsch macht sich im zweiten Teil der Symphonie dessen schuldig, was George Orwell in „1984“ einen Mord des doppelten Denkens nannte. Eine reine Melodie, jungfräulich, ein Walser wie ein Spiel, ein von der Geige und verschiedenen Blasinstrumenten wiederholtes Thema, das dann vom Orchester in einer rauen Art und Weise übernommen wird. Als hätte man ein Kind vor Augen, das Lesen lernt, von Mal zu Mal besser, um dann in einem Chor zu landen, der ideologische Losungen deklamiert. Das ist der Sarkasmus in der Musik. Das ist aber auch ein Maß der Unkultur in der Mannschaft Schdanows, wo man die Zweideutigkeit Schostakowitschs nicht erkannt hat und ihn, ihm verzeihend, wieder in die Partei aufgenommen hat. Ist die „Symphonie Nr. 5“ ein programmatisches Werk? Zum Teil ja, denn eine Absichtserklärung beinhaltet schon der Untertitel: „Die kreative Antwort eines sowjetischen Künstlers auf die gerechte Kritik.“ Die Kulturaktivisten hatten wie üblich ad litteram gelesen. Die Zuhörer der Premiere sahen 1937 jenseits der Worte, und zwar im Bläserchoral des orthodoxen Begräbnisses aus dem dritten Teil der Symphonie, einen Moment, in dem die Musik dich deine Toten beweinen lässt.

Walter Hilgers hat das Orchester mit der Effizienz einer soliden musikalischen Erfahrung durch diesen symphonischen Diskurs geführt, sowohl Doppelsinnigkeiten als auch Zügellosigkeit vermeidend. Eine zurückhaltende Lesart. Respekt. Er hat sich sogar erlaubt, im Finale eine Hoffnung aufrechtzuerhalten, dort wo Schostakowitsch längst keine mehr hatte: Das Donnern der Perkussion wurde in dieser ausgeglichenen Manier beibehalten. Ein Dirigentenstab, der die Musik davon abhielt, uns zu treffen…

[aus dem Rumänischen von Anton Potche]

Walter Hilgers und Siegfried Jung
Symphonieorchester "George Enescu"
Siegfried Jungs Vater war zwar Trompeter und Gittarist in der Jahrmarkter Kaszner-Kapelle, er selber aber war Loris-Schüler in Osthofen, zu Beginn auch an der Trompete. Doch die sollte schon bald der Tuba weichen, und ein bislang erfolgreiches Musikerleben konnte seinen Anfang nehmen. Der Weg führte nach Weimar zu Walter Hilgers, einer der profiliertesten Tubisten der deutschen Musikszene und mittlerweile eine feste Größe auch im rumänischen Musikbetrieb.

Tja, und wie sich ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis entwickeln kann, auch darüber erzählt zwischen den Reihen diese Konzertkritik eines rumänischen Musikliebhabers, dessen Steckenpferd die Oper ist. Und wenn beide, Lehrer und Schüler (natürlich ehemalige), im Mai Gastdirigent und Solist der  Philharmonie „Banatul“ sein werden, dann wird das besonders für Siegfried Jung ein Plus an Emotionen bedeuten, ist Temeswar doch seine Geburtsstadt und das nahegelegene Jahrmarkt (heute Giarmata), das Dorf, in dem es nie schwierig war Musikergenen zur weiteren Entfaltung zu verhelfen, der Heimatort seiner Eltern, also seiner eigenen Wurzeln.

Anton Potche 

1 Kommentar:

  1. Habe Walter Hilgers vor 40 Jahren als Tubist unter Karajan erlebt - Alpensymphonie - und unter seinem Dirigat in Stolberg mehrfach gespielt, z.B die Akademische Festouvertüre und vieles mehr. War immer begeistert von seinem Dirigat und habe durch ihn - ohne Unterricht - selbst dirigieren gelernt.

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