Genau genommen, ist auch ein Literaturverband nur ein Verein
mit allen spezifischen Eigenheiten. Dazu gehört natürlich, dass man sich ab und
zu gegenseitig belobigt und mit entsprechenden Medaillen, Titeln und auch
Preisen auszeichnet. Dass so etwas nicht immer gut ankommt und lediglich sogar
mit Vetternwirtschaft abgeurteilt wird, hat etwas mit dem Image der
betreffenden Institution zu tun, die dann doch etwas mehr als ein stinknormaler
Verein sein will. Ein solcher Verein ist auch der Rumänische
Schriftstellerverband. Der stand allerdings schon öfter in der Kritik. Und
immer mit einer anderen Geschichte.
Die letzte dieser Geschichten geht so: Jährlich wird in
Botoşani, Hauptstadt des Verwaltungskreises, in dem Ipoteşti, der Geburtsort des
rumänischen Dichters – die Rumänen sprechen gerne vom Nationaldichter – Mihai Eminescu liegt, der Mihai-Eminescu-Gedichte-Nationalpreis (Premiul Naţional de Poezie „Mihai
Eminescu“) vergeben. Die Preisverleihung findet in der Januarmitte statt
und zählt zu den literarischen Höhepunkten des rumänischen Literaturlebens,
gilt Mihai Eminescu (*15. Januar
1850, Botoşani; †15. Juni 1889,
Bukarest) doch nach wie vor als größter Dichter der Rumänen. Der Preis wird
laut Vergaberichtlinie einem zeitgenössischen rumänischen Dichter für sein
Lebenswerk vergeben.
Viele bekannte
Namen der Literaturszene haben ihn schon bekommen: Mihai Ursachi, Gellu Naum, Ana Blandiana, Ştefan
Augustin Doinaş, Şerban Foarţă –
um nur einige zu nennen. Kritiker
zählen gerne auch die auf, die ihn verdient hätten, aber
nicht bekommen haben wie etwa Geo Dumitrecu, Marin Sorescu, Dan Laurenţiu
oder Ioanid Romanescu.
Heuer standen sieben Namen auf der Shortlist. Der
bekannteste unter ihnen, im deutschen Sprachraum der wohl einzig bekannte, war Mircea Cărtărescu, Preisträger der
letzten Leipziger Buchmesse. Über den Preis freuen konnte sich allerdings wie
immer nur einer, und der hieß heuer Gabriel
Chifu.
Und an diesem Preisträger scheiden sich die Geister. Das
Preisgericht hat mit 4:3 Stimmen entschieden. Eine Gruppe von 32 Literaten,
meist aus der jüngeren Generation, bezweifelt in einem Internetauftritt die
Objektivität der heurigen Juryentscheidung. Ihre Kritik richtet sich vorwiegend
gegen Nicolae Manolescu,
Vorsitzender des Rumänischen Schriftstellerverbandes und Jurymitglied. Den
Vorsitz der Jury hatte der Literaturkritiker und Essayist Mircea Martin inne.
Das Problem liegt darin, dass Gabriel Chifu zwar auch Gedichte schreibt, aber auch
stellvertretender Vorsitzender des Rumänischen Schriftstellerverbandes ist. Da
scheint für viele ein Interessenkonflikt, um nicht Mauschelei zu sagen,
vorzuliegen, der nicht nur den 32 Unterzeichnern des Internetprotestes übel
aufgestoßen ist. Auch andere, bekanntere, Persönlichkeiten des rumänischen
Literaturbetriebs haben sich zu Wort gemeldet. Emilian Galaicu-Păun, Schriftsteller aus der Republik Moldau – was
eine gewisse Neutralität zulässt -, spricht von einem „Preis, der mehr einer
Funktion als einem Dichter“ verliehen wurde. Die Protestwelle richtet sich
nicht gegen den Preisträger, sondern nur gegen den Literaturkritiker Nicolae Manolescu. Der soll die anderen
Jurymitglieder unter Druck gesetzt haben, um seinem Favoriten zum Preis zu
verhelfen. Der Dichter, Essayist und Übersetzer Radu Vancu findet für den Preisträger sogar Worte des Bedauerns:
„Die unüberlegte und unmoralische Beharrlichkeit Nicolae Manolescus, Gabriel
Chifu in Botoşani den Vorrang vor anderen hervorragenden Dichtern zu geben,
hat eine traurige Tatsache bewirkt: Sie hat aus dem Dichter und bescheidenen
Menschen Gabriel Chifu einen
Betrüger gemacht.“
Das mag ein wenig
zu hart formuliert sein, wirft aber einen Blick auf die Befindlichkeiten des
rumänischen Literaturbetriebs – worin der sich allerdings nicht wesentlich von
der Literaturlandschaft anderer Länder unterscheidet. Wie auch immer, Herr Manolescu hat bei seiner umstrittenen
Literaturgeschmacksdemonstration auch ein humanitäres Werk vollbracht, ist der Mihai-Eminescu-Gedichte-Nationalpreis doch
auch dotiert, und zwar mit 20.000 Lei. Das sind immerhin knapp 5000 Euro, und
wer kann in Rumänien auf die schon verzichten. Literaten aller Couleur wohl am
wenigsten.
Anton Potche
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