Montag, 27. Juli 2015

Open-Air-Konzert mit Extrawürsten

Audi ist der einzige Industriekonzern, der sich ein eigenes Musikfestival leistet: die Audi Sommerkonzerte. Und das seit 25 Jahren. Und mit stetig steigendem Erfolg. In diesem Vierteljahrhundert haben sich viele der berühmtesten Musiker der Welt auf den Ingolstädter Bühnen ein Stelldichein gegeben, ob als Solisten, Dirigenten oder eben Konzertmusiker. Stellvertretend seien hier einige Namen genannt: Lorin Maazel, Emerson String Quartet, Kronos Quartet, Luis Di Matteo, Tadashi Tajima & Reiko Kimura, BR Symphonieorchester (alle 1999), Lisa Bathiashvili (2000), Barbara Bonney, Rudolf Buchbinder, German Brass, Chor und Symphonieorchester des BR (2001) und viele, viele andere.

Natürlich ließ Audi sich heuer bei den Jubiläumskonzerten vom 30. Juni bis zum 27. Juli nicht lumpen. Der Chef der Audianer, Rupert Stadler, schreibt im Vorwort des Festival-Programmheftes: „2015 feiern wir 25 Jahre Audi Sommerkonzerte. Dieses Jubiläum ist Anlass, stolz zurück und erwartungsvoll nach vorn zu blicken. Gefragte Solisten und renommierte Ensembles sind unserer Einladung gefolgt und versprechen ein abwechslungsreiches und erstklassiges Jubiläumsprogramm.“ Will man den Zeitungskritiken Glauben schenken, dann ist dieses Vorhaben auch heuer weitestgehend gelungen. Die Namen sprechen auch hier für sich: Marie-Sophie Pollak, Julian Prégardien, Klaus Mertens, Audi Jugendchorakademie, Kent Nagano, Thomas Zehetmair, Ensemble Modern, Martin Steidler, Mihoko Fujimura, Augsburger Domsingknaben, Reinhard Kammler,  London Symphony Orchestra, Die Singphoniker, Ensemble Mixtura, Folkert Uhde, VOCALCONSORT München, Johanna Soller, Minguet Quartett, Sergey Khachatryan, San Francisco Symphony Youth Orchestra, Donato Cabrera, Veronika Eberle, Michail Lifits, Thomas Hampson, Wolfram Rieger, Anna Lucia Richter, Katharina Magiera, Alex Esposito, Salzburger Bachchor, Alois Glaßner, Mozarteumorchester Salzburg, Andrés Orozco-Estrada, Spark, KrausFrink Percussion, Georg Conrad, Avi Avital, Kremerata Baltica, Till Brönner, Sergei Nakariakov, Stephan Braun, Dieter Ilg, Gil Goldstein, Lilian Genn, Stefan Dünser, Martin Schelling, Martin Deuring und Goran Kovačević.


Zu diesen illustren Namen gesellten sich auch heuer wieder die zwei Ingolstädter Ensembles Georgisches Kammerorchester Ingolstadt (mit zwei Konzerten), Leitung Ruben Gazarian, und die Audi Bläserphilharmonie, Leitung Christian Lombardi. Ihnen waren auch heuer die Abschlussabende in Form zweier Open-Air-Konzerte im Klenzepark zu Ingolstadt vorbehalten. Freitags musizierten die Audianer und am Samstagabend (jeweils ab 20:30 Uhr) die Georgier. Das war natürlich nicht immer so, denn auch Festivals unterliegen dauernd Änderungen. Im Juli 2009 titelte der DONAUKURIER noch: Schwebende Galaxien, zischende Kometen – 7000 Musikfreunde besuchten den Eröffnungsabend der Audi-Sommerkonzerte im Klenzepark. Und dazu hieß es: „Die Bläserphilharmonie schürte Emotionen, die an die fast 20-jährige Geschichte des Musikfestivals ebenso denken ließen wie an die 100 Jahre Audi oder an 60 Jahre Automobilbau in Ingolstadt.“ Den zweiten Konzertabend im Klenzepark bestritt damals die Philharmonie Brünn

Open-Air-Konzert 2015 mit der
Audi Bläserphilharmonie 
Ltg.: Christian Lombardi
Man hat sich also, aus Sicht der Audianer, nicht nur vom Werkorchester zur Bläserphilharmonie entwickelt, sondern auch vom Einheizer zum Höhepunktgestalter. Oder zum Rausschmeißer? Das mag Geschmacksache bleiben. Natürlich kann man als amtierendes Amateurorchester nicht mit den oben angeführten Namen konkurrieren, man darf ihnen aber nacheifern und so von Jahr zu Jahr seine Qualität steigern. Wenn der Weg das Ziel ist, dann beschreitet die Audi Bläserphilharmonie seit Jahren schon den richtigen Weg. So betrachtet, darf man sie als Höhepunktgestalter, mit Feuerwerk, sehen. Auch ihr Programm 2015 war ehrgeizig und anspruchsvoll. Zu anspruchsvoll? Wollten die 15.000 Besucher vom Freitagabend diese anspruchsvolle Musik überhaupt? Wer sich unter sie mischte, durfte daran seine gerechten Zweifel haben. Das Konzert begann mit der Oberon-Ouvertüre von Carl Maria von Weber, also mit einem Piano-Einstieg. Es dauerte Minuten, bis viele der mit ihrem Essen, Trinken und besonders Schwatzen (vielleicht auch Schmatzen) beschäftigten Open-Air-Besucher überhaupt realisierten, dass auf dieser großen Bühne, dort in der Ferne, überhaupt etwas passierte. Hier hätte ein knallender Aussischmeißer schon zum Auftakt nicht geschadet.

Lieber Christian Lombardi, spielt ihnen einen Marsch, den hungrigen, durstigen und vor allem so mitteilungsbedürftigen Open-Air-Besuchern. Hallo, bitte zuhören! Mal fünf oder auch zehn Minuten die Gaumengymnastik einstellen! Hier entsteht Kunst! 

Vielleicht wäre das das richtige Stichwort: entsteht. Wer die Open-Air-Konzerte der Berliner und Münchner Symphonieorchester am Fernseher verfolgt hat, wird diese Riesenbildschirme kennen, auf denen den Konzertbesuchern das Geschehen auf der Bühne in Nahaufnahmen näher gebracht wird. Dieses Geschehen zeigt nichts anderes als das Entstehen von Musik, und das ist in der Regel ein sehr faszinierender Prozess. Der könnte vielleicht sogar Menschen fesseln, die gar nicht wegen der Musik in ein Open-Air-Konzert gehen.

Und weil ich schon beim Vergleich mit Berlin und München bin – es gibt natürlich auch noch andere Beispiele -, Ingolstadt hat neben der enormen Publikumslautstärke (während die Musik spielt) auch noch eine andere Eigenart zu präsentieren, die ich bei den Klassik-Open-Air-Konzerten in beiden Hauptstädten nicht gesehen habe. Es gibt in Ingolstadt einen eingezäunten VIP-Bereich für Extrawürste aus … Keine Ahnung, wer alles das gemeine Volk so scheut! Sollte es vielleicht gar an der Geschwätzigkeit und Geschmatzigkeit der Masse liegen? Wer will das schon wissen? Auf jeden Fall kann ein Schutzareal niemand vor der Feierlaune der Ingolstädter Open-Air-Besucher, die mit Zuhören überhaupt nichts zu tun hat, schützen – auch Extrawürste aus irgendwelchen Kreisen nicht.
Anton Potche



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