... und doch wird er gefeiert wie ein Heilsbringer. Ich
meine Napoleon. Zumindest das
Drumherum um die Bayerische
Landesausstellung 2015 - Napoleon und Bayern erweckt diesen Eindruck. Da
folgt im Hof des Bayerischen Armeemuseums zu Ingolstadt seit April Event auf
Event, um im zeitgenössischen Sprachduktus zu bleiben. Und das heißt Aufmärsche
von Fahnenabordnungen, Zeltlager, Musikdarbietungen, ja sogar Fernsehsendungen
(BR), und das alles natürlich mit ausreichend fester und flüssiger Nahrung aus
der für die Dauer dieser Ausstellung aufgestellten Hütte.
Wer aber die Beziehung Napoleons
zu den Bayern oder umgekehrt im Inneren des Schlosses in Augenschein nimmt, dem
könnte schon mal die Lust zum Feiern vergehen. Besonders wenn er die
ausgestellten Porträts, Uniformen, Statuetten und Waffen außer Acht lässt und
sich auf die Gemälde, Originaldokumente– angeblich soll es noch 40 Tagebücher
und Memoirenaufzeichnungen aus jener Zeit geben –, Gedenktafeln und Grabsteine
konzentriert, sich den dargebotenen Film anschaut und den Tagebucheintragungen
des „gemeinen Soldaten“ Peter Schleicher
(1788 – 1868) mittels Kopfhörer lauscht.
Beeindruckend ist besonders auch die sich durch zwei
Ausstellungsräume schlängelnde Installation, die den Weg der Grande Armée nach
Moskau und zurück darstellt. Ein Marsch des Grauens. Am 24. Juni 1812
überschritt Napoleon mit einer Armee
von mehr als 450.000 Mann den Njemen und eröffnete seinen Angriff auf Russland.
Am 2. und 3. Juli überquerten auch Napoleons
bayerische Verbündete den polnisch-russischen Grenzfluss. Das VI. Korps,
bestehend aus zwei bayerischen Divisionen mit insgesamt 30.249 Mann, angeführt
von den Generälen Bernhard Erasmus von Deroy (1743 – 1812) und Carl
Philipp Joseph von Wrede (1767 – 1838), stand unter französischem
Oberkommando. Schon einen Monat nach dem Überfall auf Russland, hatten die
Bayern ca. 10.000 Tote zu beklagen – ohne in Kampfhandlungen verwickelt worden
zu sein. Gewaltmärsche, Krankheiten, Temperaturen bis zu +40ºC dezimierten
nicht nur diese Heeresgruppe sondern die gesamte Große Armee des französischen
Kaisers.
Foto: Anton Potche |
Am 17. und 18. August 1812, da war die Grande Armée also
noch nicht einmal zwei Monate lang auf russischem Territorium unterwegs nach
Moskau, kam es bei Smolensk zur ersten größeren Schlacht mit der russischen
Westarmee unter General Michel Barclay
de Tolly. Da waren die Franzosen schon dezimiert auf 145.000 Soldaten. (Andere
Quellen sprechen von 175.000.) Napoleon
hat den Sieg für sich verbucht. Und ein französischer Offizier hat seine
Eindrücke nach dem Einmarsch in Smolensk zu Papier gebracht: „Überall
bedauernswerte Einwohner, die schluchzend vor den Trümmern ihrer Häuser
knieten, überall Katzen und Hunde, die umherstreunten und aufs herzzerreißende
jaulten, überall nichts als Tod und Zerstörung.“ Auch Dr. Raymonde Faure machte sich Skizzen: „Soldaten, die hatten fliehen
wollen, waren auf den Straßen hingesunken, vom Feuer erstickt worden und
verbrannt. Viele hatten keine Ähnlichkeit mehr mit menschlichen Wesen, es waren
formlose Haufen gegrillter und verkohlter Materie, ...“
Am 14. September 1812 war Napoleon am Ziel: Moskau. Schon am 19. Oktober machte der
französische Kaiser sich auf den Heimweg. Zar Alexander I. hatte keine Lust gezeigt, sich mit dem
größenwahnsinnigen Franzosen auf ein Gespräch einzulassen. Das Desaster ging
weiter. Wie sich der Rückzug der Franzosen gestaltete, kann man aus den
Aufzeichnungen des Hauptmanns Aleksej I.
Martos nachvollziehen: „Das erste, was wir sahen, war eine Frau, die
zusammengebrochen im Eis festgeklemmt war ... Ein Arm war abgehackt und
baumelte nur noch an einer Sehne ... Die Frau war noch am Leben, und ihre
ausdruckstarken Augen hefteten sich auf einen Mann, der neben sie gefallen und
schon erfroren war. Zwischen ihnen auf dem Eis lag ihr totes Kind.“
Foto: Anton Potche |
Wer all das zu verantworten hatte? Das war angeblich
ein großer Kaiser und Feldherr. Von der Geschichte dazu gemacht. Ein völlig
verklärtes Bild. Auf einer Informationstafel kann man nämlich
lesen: „Am 19. Oktober 1812 erfolgt der Rückzug auf dem gleichen Weg wie der
Vormarsch. Napoleon verlässt seine Truppen am 5. Dezember noch in Russland. Die
Befehlsstrukturen lösen sich auf. Es herrschen Verwirrung und Chaos.“ Auch der
bayrische Soldat Josef Deifl hatte
die Lage richtig eingeschätzt, als er vermerkte: „Alles in der größten Unordnung,
jeder für sich ohne Subordination. Die Herren Offiziere sind nicht erkennbar,
denn sie sind mit alten Belzen überzogen von Fuß bis zum Kopf, sie haben keinen
Glanz und Ansehn nicht mehr. Es ist mit einem Wort ein trauriger Leichenzug.
Das Elend dauert zu lang, Hunger, Durst, Kälte, schlaflose Nächte etc.“ Weit
und breit keine Spur vom Kapitän, der auf dem sinkenden Schiff bleibt. Der
große Napoleon hatte sich feige aus
dem Staub, sprich, Schnee gemacht.
Foto: Anton Potche |
Nimmt man sich Zeit und vertieft sich in die Materie, so
fällt es einem nicht schwer, die Schrecken jener Jahre nachzuvollziehen. Und
man kann auch Verständnis für die Wendehalspolitik der Bayern aufbringen. Im
Oktober 1813 sagte sich König Max I.
Joseph vom französischen Bündnispartner los und erklärte Frankreich den
Krieg. Die treibende Kraft hinter diesem Seitenwechsel war General Wrede. Wen wundert’s? Nur etwa 3000
seiner bayrischen Soldaten, waren aus dem Russlandfeldzug heimgekehrt. Eine
bedrückende Geschichte, gut erzählt in dieser Ingolstädter Ausstellung.
Da tut es gut, wenn man beim Verlassen der Ausstellungsräume
im Schlosshof einem neuen Event mit Schützen, Fahnen, Blaskapelle (sogar aus
Österreich) und einem kühlen Maß Bier Abstand zu diesem Schurken – leider nur
einer von vielen – gewinnen kann. Der Heilsbringer wird in dieser Ausstellung
ohne jedwede nationalistische Selbstbeweihräucherung – man stand immerhin acht
Jahre an seiner Seite – entzaubert. Eine rundum gelungene Ausstellung. Man
sollte sie sich nicht entgehen lassen. Bis zum 31. Oktober 2015 ist noch Zeit
dazu. Über WWW.HDBG.DE erfährt man
Einzelheiten zu den Öffnungszeiten und dem Rahmenprogramm.
Anton Potche
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen