Montag, 12. Oktober 2015

Auch der war doch nur ein Verbrecher ...

... und doch wird er gefeiert wie ein Heilsbringer. Ich meine Napoleon. Zumindest das Drumherum um die Bayerische Landesausstellung 2015 - Napoleon und Bayern erweckt diesen Eindruck. Da folgt im Hof des Bayerischen Armeemuseums zu Ingolstadt seit April Event auf Event, um im zeitgenössischen Sprachduktus zu bleiben. Und das heißt Aufmärsche von Fahnenabordnungen, Zeltlager, Musikdarbietungen, ja sogar Fernsehsendungen (BR), und das alles natürlich mit ausreichend fester und flüssiger Nahrung aus der für die Dauer dieser Ausstellung aufgestellten Hütte.

Wer aber die Beziehung Napoleons zu den Bayern oder umgekehrt im Inneren des Schlosses in Augenschein nimmt, dem könnte schon mal die Lust zum Feiern vergehen. Besonders wenn er die ausgestellten Porträts, Uniformen, Statuetten und Waffen außer Acht lässt und sich auf die Gemälde, Originaldokumente– angeblich soll es noch 40 Tagebücher und Memoirenaufzeichnungen aus jener Zeit geben –, Gedenktafeln und Grabsteine konzentriert, sich den dargebotenen Film anschaut und den Tagebucheintragungen des „gemeinen Soldaten“ Peter Schleicher (1788 – 1868) mittels Kopfhörer lauscht.

Beeindruckend ist besonders auch die sich durch zwei Ausstellungsräume schlängelnde Installation, die den Weg der Grande Armée nach Moskau und zurück darstellt. Ein Marsch des Grauens. Am 24. Juni 1812 überschritt Napoleon mit einer Armee von mehr als 450.000 Mann den Njemen und eröffnete seinen Angriff auf Russland. Am 2. und 3. Juli überquerten auch Napoleons bayerische Verbündete den polnisch-russischen Grenzfluss. Das VI. Korps, bestehend aus zwei bayerischen Divisionen mit insgesamt 30.249 Mann, angeführt von den Generälen Bernhard Erasmus von Deroy (1743 – 1812) und Carl Philipp Joseph von Wrede (1767 – 1838), stand unter französischem Oberkommando. Schon einen Monat nach dem Überfall auf Russland, hatten die Bayern ca. 10.000 Tote zu beklagen – ohne in Kampfhandlungen verwickelt worden zu sein. Gewaltmärsche, Krankheiten, Temperaturen bis zu +40ºC dezimierten nicht nur diese Heeresgruppe sondern die gesamte Große Armee des französischen Kaisers. 

Foto: Anton Potche
Am 17. und 18. August 1812, da war die Grande Armée also noch nicht einmal zwei Monate lang auf russischem Territorium unterwegs nach Moskau, kam es bei Smolensk zur ersten größeren Schlacht mit der russischen Westarmee unter General Michel Barclay de Tolly. Da waren die Franzosen schon dezimiert auf 145.000 Soldaten. (Andere Quellen sprechen von 175.000.) Napoleon hat den Sieg für sich verbucht. Und ein französischer Offizier hat seine Eindrücke nach dem Einmarsch in Smolensk zu Papier gebracht: „Überall bedauernswerte Einwohner, die schluchzend vor den Trümmern ihrer Häuser knieten, überall Katzen und Hunde, die umherstreunten und aufs herzzerreißende jaulten, überall nichts als Tod und Zerstörung.“ Auch Dr. Raymonde Faure machte sich Skizzen: „Soldaten, die hatten fliehen wollen, waren auf den Straßen hingesunken, vom Feuer erstickt worden und verbrannt. Viele hatten keine Ähnlichkeit mehr mit menschlichen Wesen, es waren formlose Haufen gegrillter und verkohlter Materie, ...“

Am 14. September 1812 war Napoleon am Ziel: Moskau. Schon am 19. Oktober machte der französische Kaiser sich auf den Heimweg. Zar Alexander I. hatte keine Lust gezeigt, sich mit dem größenwahnsinnigen Franzosen auf ein Gespräch einzulassen. Das Desaster ging weiter. Wie sich der Rückzug der Franzosen gestaltete, kann man aus den Aufzeichnungen des Hauptmanns Aleksej I. Martos nachvollziehen: „Das erste, was wir sahen, war eine Frau, die zusammengebrochen im Eis festgeklemmt war ... Ein Arm war abgehackt und baumelte nur noch an einer Sehne ... Die Frau war noch am Leben, und ihre ausdruckstarken Augen hefteten sich auf einen Mann, der neben sie gefallen und schon erfroren war. Zwischen ihnen auf dem Eis lag ihr totes Kind.“

Foto: Anton Potche
Wer all das zu verantworten hatte? Das war angeblich ein großer Kaiser und Feldherr. Von der Geschichte dazu gemacht. Ein völlig verklärtes Bild. Auf einer Informationstafel kann man nämlich lesen: „Am 19. Oktober 1812 erfolgt der Rückzug auf dem gleichen Weg wie der Vormarsch. Napoleon verlässt seine Truppen am 5. Dezember noch in Russland. Die Befehlsstrukturen lösen sich auf. Es herrschen Verwirrung und Chaos.“ Auch der bayrische Soldat Josef Deifl hatte die Lage richtig eingeschätzt, als er vermerkte: „Alles in der größten Unordnung, jeder für sich ohne Subordination. Die Herren Offiziere sind nicht erkennbar, denn sie sind mit alten Belzen überzogen von Fuß bis zum Kopf, sie haben keinen Glanz und Ansehn nicht mehr. Es ist mit einem Wort ein trauriger Leichenzug. Das Elend dauert zu lang, Hunger, Durst, Kälte, schlaflose Nächte etc.“ Weit und breit keine Spur vom Kapitän, der auf dem sinkenden Schiff bleibt. Der große Napoleon hatte sich feige aus dem Staub, sprich, Schnee gemacht.

Foto: Anton Potche
Nimmt man sich Zeit und vertieft sich in die Materie, so fällt es einem nicht schwer, die Schrecken jener Jahre nachzuvollziehen. Und man kann auch Verständnis für die Wendehalspolitik der Bayern aufbringen. Im Oktober 1813 sagte sich König Max I. Joseph vom französischen Bündnispartner los und erklärte Frankreich den Krieg. Die treibende Kraft hinter diesem Seitenwechsel war General Wrede. Wen wundert’s? Nur etwa 3000 seiner bayrischen Soldaten, waren aus dem Russlandfeldzug heimgekehrt. Eine bedrückende Geschichte, gut erzählt in dieser Ingolstädter Ausstellung.

Da tut es gut, wenn man beim Verlassen der Ausstellungsräume im Schlosshof einem neuen Event mit Schützen, Fahnen, Blaskapelle (sogar aus Österreich) und einem kühlen Maß Bier Abstand zu diesem Schurken – leider nur einer von vielen – gewinnen kann. Der Heilsbringer wird in dieser Ausstellung ohne jedwede nationalistische Selbstbeweihräucherung – man stand immerhin acht Jahre an seiner Seite – entzaubert. Eine rundum gelungene Ausstellung. Man sollte sie sich nicht entgehen lassen. Bis zum 31. Oktober 2015 ist noch Zeit dazu. Über WWW.HDBG.DE erfährt man Einzelheiten zu den Öffnungszeiten und dem Rahmenprogramm.
Anton Potche


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