Mittwoch, 7. Oktober 2015

Horst Teltschik hielt in Ingolstadt die Rede zur Deutschen Einheit

Die Vereinigung der zwei Deutschen Staaten, BRD und DDR, hat zwei Seiten: eine emotionale und eine sachliche. Die emotionale Vereinigung fand im Herbst 1989 mit den diversen Flüchtlingsbewegungen aus der DDR Richtung Bundesrepublik Deutschland statt und endete mit dem Fall der Mauer am 9. November. Dieser Teil der deutschen Geschichte hat für die Erlebnisgeneration, besonders jene aus der Deutschen Demokratischen Republik, auch heute noch einen mit jeweils starken autobiographischen Bezugspunkten bestückten Charakter. Aber auch so mancher Bundesbürger mit Migrationshintergrund, unter ihnen bereits ausgesiedelte Rumäniendeutsche, verfolgte damals mit besonderer Anteilnahme die Ereignisse.

Das Jahr 1990 war dann geprägt von den politischen Aktivitäten beiderseits des eingerissenen Eisernen Vorhangs. Sachlichkeit war gefragt und vor allem ein unbändiger Wille zur Deutschen Einheit. In Bonn regierte das Kabinett um Helmut Kohl, in Ostberlin stritten Demokratiebewegungen und Wendehälse um den richtigen Weg, Mitterrand in Paris war sehr skeptisch, Bush sen. in Washington sympathisierte mit der Idee eines vereinten Deutschland, Frau Thatcher in London war sowieso dagegen und in Moskau hatte ein mutiger und weltoffener Gorbatschow die Fäden noch fest in der Hand.

Am Ende des diplomatischen Ringens um den besten Weg, nicht nur für das deutsche Volk, sondern für ganz Europa, stand die Deutsche Einheit. Der 3. Oktober 1990 war der erste neue Nationalfeiertag der beiden vereinten Staaten. 25 Jahre haben die Geschichte bereichert und die klare Erkenntnis gebracht, dass die Sachlichkeit der Emotionalität, damals greifbare Euphorie, längst den Rang abgelaufen hat. Was geblieben ist, sind die zahlreichen Feierlichkeiten landauf, landab und für an Politik und Geschichte interessierte Menschen viele Reden sowie ein breites Medienecho.

Horst Teltschik in Ingolstadt
Foto: Anton Potche
Die Stadt Ingolstadt veranstaltet seit 1997 die Reden zur Einheit Deutschlands. Prominente Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft legen ein, zwei Tage vor  dem 3. Oktober jeweils ihre Sicht auf die damaligen Ereignisse und ihre Folgen dar. Der Mann, der 1990 die Deutschen zur politischen Einheit geführt hatte, Dr. Helmut Kohl, sprach 2007 in Ingolstadt. Heuer folgte ihm einer seiner engsten Mitarbeiter jener geschichtsträchtigen Monate: Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik, damals außen- und sicherheitspolitischer Berater im Bundeskanzleramt. Das war eigentlich schon Grund genug, an diesem Vorabend des 25. Jahrestages der Deutschen Einheit auf Einblicke in den engsten Machtzirkel um Kohl zu spekulieren. Und wahrlich, wer sich am 2. Oktober in den Rudolf-Koller-Saal in der Ingolstädter Volkshochschule begab, hatte sich nicht verspekuliert.

Horst Teltschik benötigt kein Redemanuskript. Er hat so viel erlebt, war bei so vielen entscheidenden Treffen auf höchster Ebene dabei, dass ihm der Erzählstoff schier nie auszugehen scheint. Ja, er erzählte einfach, was er so alles erlebt hat, wer zu seinen  - dabei benutzte er fast immer das Personalpronomen „wir“ – Gesprächspartnern zählte, welche politischen Konstellationen vorherrschten und was schließlich gut und auch was weniger gut funktionierte. Dass eine solche Rede mit Anekdoten gespickt sein kann, wird wohl kaum verwundern. Auch Horst Teltschik sparte nicht damit. Diese Einwürfe – manchmal auch kleine Seitenhiebe, aber nie unter die Gürtellinie – waren jedoch immer in den Kontext der jeweiligen weltpolitischen Situation eingebettet.

So zum Beispiel seine Ausführungen zu einer der vor Spannung nur so knisternden Phase des Kalten Krieges. Es waren die Jahre 1982 (Beginn von Kohls Kanzlerschaft) bis 1985 (Gorbatschows Regierungsantritt). In Moskau regierte 1982 noch ein gesundheitlich schon stark angeschlagener Breschnew, „der Fragen von Helmut Kohl nur beantworten konnte, wenn sein Außenminister Gromyko ihm auf dem Zettel die Antwort zuschob“. Sein Nachfolger Andropow machte auf eine deutsche Regierungsdelegation im Kreml auch nicht den gesündesten Eindruck. Horst Teltschik schilderte dem gespannt lauschenden Publikum in Ingolstadt seine damaligen Eindrücke und Erlebnisse: „Wir haben einen sehr kranken Generalsekretär erlebt ..., der auch acht Monate später tot war. Sie können sich vorstellen, dass die Gefühle gemischt sind nach einem solchen Gespräch. Wir sind zur Beerdigung gefahren, um einmal zu sehen, ob er wirklich tot war – nein, nein wir sind immer zu den Beerdigungen gefahren, weil am nächsten Tag konnte man den Nachfolger sprechen. Und sein Nachfolger Tschernjenko war noch kränker. Den haben sie einmal im Fernsehen vorgeführt in der Sowjetunion, untergehackt von zwei Leuten, um dem sowjetischen Volk zu zeigen: Unser Generalsekretär lebt noch, er lebt noch. Tage später war er tot. Wir waren wieder bei der Beerdigung. Er war tatsächlich tot. Am nächsten Tag trafen wir Gorbatschow.“ Um dem Anflug von Heiterkeit im Publikum den Wind aus den Segeln zu nehmen, folgte gleich die politische Brisanz dieser Abläufe im Kreml: „Wir haben in der Folge drei todkranke Generalsekretäre erlebt. Nicht sehr beruhigend. Das waren die Vertreter der Weltmacht Sowjetunion zu einem Zeitpunkt, wo sie uns mit dem 3. Weltkrieg drohten.“

Das Bundeskanzleramt in Bonn versuchte in jenen Jahren, als es um Mittelstreckenraketen und SDI-Programme ging und eine nach heutigen Kenntnissen von Stasi und KGB unterwanderte Friedensbewegung in der Bundesrepublik hunderttausende Demonstranten auf die Straße brachte, die Regierungen des Warschauer Paktes zu einer Entspannungspolitik zu bewegen. Kohl hatte alle Regierungschefs jenseits des Eisernen Vorhangs eingeladen. Aber nur einer war gekommen, und der hieß Ceauşescu. Mit ihm wurde aber weniger über Weltpolitik als vielmehr „unter strengster Geheimhaltung über das Kopfgeld für Rumäniendeutsche“ gesprochen.  Originalton Teltschik: „Jedes Jahr mussten wir verhandeln, wie viel wir für jeden Rumäniendeutschen bezahlen mussten, damit er in den Westen kommen konnte. 3 Milliarden haben wir in den Jahren an Rumänien bezahlt, um Menschen freizukaufen ... Brutaler Menschenhandel ... Ich bringe diese Beispiele, um deutlich zu machen, in welcher Welt wir gelebt haben damals.“

Das sind nur einige der vielen Aspekte deutscher und europäischer Politik, die die unmittelbare Vorzeit der Deutschen Einheit geprägt haben. Horst Teltschik hatte noch viele von ihnen parat. Und er verstand es in brillanter Weise, sein Publikum zu fesseln und ihm die Bedeutung dieses Tages vor Augen zu führen. Viele von den Anwesenden wird er mit seiner Botschaft erreicht haben. Doch leider viele auch nicht. Denn gerade hier, in der bayerischen Stadt an der Donau, war für den tags darauf folgenden Nationalfeiertag Deutschlands ein vom Stadtrat abgesegneter „Verkaufsoffener Feiertag“ in der Innenstadt vorgesehen, also Arbeitstag für viele Verkäufer und Verkäuferinnen. Und das verpasste meinem Feiertagsgefühl einen bitteren Beigeschmack, denn es erinnerte mich an die letzten Lichtjahre des Ceauşescu-Regimes, wo es da hieß: sărbătorim prin muncă – wir feiern durch Arbeit. So sieht anno 2015 in deutschen Landen eine falsch verstandene Sachlichkeit aus.

Anton Potche

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