Die Vereinigung der zwei Deutschen Staaten, BRD und DDR, hat
zwei Seiten: eine emotionale und eine sachliche. Die emotionale Vereinigung
fand im Herbst 1989 mit den diversen Flüchtlingsbewegungen aus der DDR Richtung
Bundesrepublik Deutschland statt und endete mit dem Fall der Mauer am 9.
November. Dieser Teil der deutschen Geschichte hat für die Erlebnisgeneration,
besonders jene aus der Deutschen Demokratischen Republik, auch heute noch einen
mit jeweils starken autobiographischen Bezugspunkten bestückten Charakter. Aber
auch so mancher Bundesbürger mit Migrationshintergrund, unter ihnen bereits ausgesiedelte
Rumäniendeutsche, verfolgte damals mit besonderer Anteilnahme die Ereignisse.
Das Jahr 1990 war dann geprägt von den politischen
Aktivitäten beiderseits des eingerissenen Eisernen Vorhangs. Sachlichkeit war
gefragt und vor allem ein unbändiger Wille zur Deutschen Einheit. In Bonn
regierte das Kabinett um Helmut Kohl,
in Ostberlin stritten Demokratiebewegungen und Wendehälse um den richtigen Weg,
Mitterrand in Paris war sehr
skeptisch, Bush sen. in Washington
sympathisierte mit der Idee eines vereinten Deutschland, Frau Thatcher in London war sowieso dagegen
und in Moskau hatte ein mutiger und weltoffener Gorbatschow die Fäden noch fest in der Hand.
Am Ende des diplomatischen Ringens um den besten Weg, nicht
nur für das deutsche Volk, sondern für ganz Europa, stand die Deutsche Einheit.
Der 3. Oktober 1990 war der erste neue Nationalfeiertag der beiden vereinten Staaten.
25 Jahre haben die Geschichte bereichert und die klare Erkenntnis gebracht,
dass die Sachlichkeit der Emotionalität, damals greifbare Euphorie, längst den
Rang abgelaufen hat. Was geblieben ist, sind die zahlreichen Feierlichkeiten
landauf, landab und für an Politik und Geschichte interessierte Menschen viele
Reden sowie ein breites Medienecho.
Horst Teltschik in Ingolstadt
Foto: Anton Potche
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Die Stadt Ingolstadt veranstaltet seit 1997 die Reden zur
Einheit Deutschlands. Prominente Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und
Wirtschaft legen ein, zwei Tage vor dem 3.
Oktober jeweils ihre Sicht auf die damaligen Ereignisse und ihre Folgen dar.
Der Mann, der 1990 die Deutschen zur politischen Einheit geführt hatte, Dr. Helmut Kohl, sprach 2007 in Ingolstadt.
Heuer folgte ihm einer seiner engsten Mitarbeiter jener geschichtsträchtigen
Monate: Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik,
damals außen- und sicherheitspolitischer Berater im Bundeskanzleramt. Das war
eigentlich schon Grund genug, an diesem Vorabend des 25. Jahrestages der
Deutschen Einheit auf Einblicke in den engsten Machtzirkel um Kohl zu
spekulieren. Und wahrlich, wer sich am 2. Oktober in den Rudolf-Koller-Saal in
der Ingolstädter Volkshochschule begab, hatte sich nicht verspekuliert.
Horst Teltschik benötigt
kein Redemanuskript. Er hat so viel erlebt, war bei so vielen entscheidenden
Treffen auf höchster Ebene dabei, dass ihm der Erzählstoff schier nie
auszugehen scheint. Ja, er erzählte einfach, was er so alles erlebt hat, wer zu
seinen - dabei benutzte er fast immer
das Personalpronomen „wir“ – Gesprächspartnern zählte, welche politischen
Konstellationen vorherrschten und was schließlich gut und auch was weniger gut
funktionierte. Dass eine solche Rede mit Anekdoten gespickt sein kann, wird
wohl kaum verwundern. Auch Horst
Teltschik sparte nicht damit. Diese Einwürfe – manchmal auch kleine
Seitenhiebe, aber nie unter die Gürtellinie – waren jedoch immer in den Kontext
der jeweiligen weltpolitischen Situation eingebettet.
So zum Beispiel seine Ausführungen zu einer der vor Spannung
nur so knisternden Phase des Kalten Krieges. Es waren die Jahre 1982 (Beginn
von Kohls Kanzlerschaft) bis 1985 (Gorbatschows Regierungsantritt). In
Moskau regierte 1982 noch ein gesundheitlich schon stark angeschlagener Breschnew, „der Fragen von Helmut Kohl nur beantworten konnte,
wenn sein Außenminister Gromyko ihm
auf dem Zettel die Antwort zuschob“. Sein Nachfolger Andropow machte auf eine deutsche Regierungsdelegation im Kreml
auch nicht den gesündesten Eindruck. Horst
Teltschik schilderte dem gespannt lauschenden Publikum in Ingolstadt seine
damaligen Eindrücke und Erlebnisse: „Wir haben einen sehr kranken
Generalsekretär erlebt ..., der auch acht Monate später tot war. Sie können
sich vorstellen, dass die Gefühle gemischt sind nach einem solchen Gespräch.
Wir sind zur Beerdigung gefahren, um einmal zu sehen, ob er wirklich tot war –
nein, nein wir sind immer zu den Beerdigungen gefahren, weil am nächsten Tag
konnte man den Nachfolger sprechen. Und sein Nachfolger Tschernjenko war noch kränker. Den haben sie einmal im Fernsehen
vorgeführt in der Sowjetunion, untergehackt von zwei Leuten, um dem sowjetischen
Volk zu zeigen: Unser Generalsekretär lebt noch, er lebt noch. Tage später war
er tot. Wir waren wieder bei der Beerdigung. Er war tatsächlich tot. Am
nächsten Tag trafen wir Gorbatschow.“
Um dem Anflug von Heiterkeit im Publikum den Wind aus den Segeln zu nehmen,
folgte gleich die politische Brisanz dieser Abläufe im Kreml: „Wir haben in der
Folge drei todkranke Generalsekretäre erlebt. Nicht sehr beruhigend. Das waren
die Vertreter der Weltmacht Sowjetunion zu einem Zeitpunkt, wo sie uns mit dem
3. Weltkrieg drohten.“
Das Bundeskanzleramt in Bonn versuchte in jenen Jahren, als es
um Mittelstreckenraketen und SDI-Programme ging und eine nach heutigen
Kenntnissen von Stasi und KGB unterwanderte Friedensbewegung in der
Bundesrepublik hunderttausende Demonstranten auf die Straße brachte, die
Regierungen des Warschauer Paktes zu einer Entspannungspolitik zu bewegen. Kohl hatte alle Regierungschefs
jenseits des Eisernen Vorhangs eingeladen. Aber nur einer war gekommen, und der
hieß Ceauşescu. Mit ihm wurde aber weniger über
Weltpolitik als vielmehr „unter strengster Geheimhaltung über das Kopfgeld für
Rumäniendeutsche“ gesprochen. Originalton Teltschik: „Jedes Jahr mussten wir verhandeln, wie viel wir für
jeden Rumäniendeutschen bezahlen mussten, damit er in den Westen kommen konnte.
3 Milliarden haben wir in den Jahren an Rumänien bezahlt, um Menschen
freizukaufen ... Brutaler Menschenhandel ... Ich bringe diese Beispiele, um
deutlich zu machen, in welcher Welt wir gelebt haben damals.“
Das sind nur einige der vielen Aspekte deutscher und
europäischer Politik, die die unmittelbare Vorzeit der Deutschen Einheit
geprägt haben. Horst Teltschik hatte
noch viele von ihnen parat. Und er verstand es in brillanter Weise, sein Publikum
zu fesseln und ihm die Bedeutung dieses Tages vor Augen zu führen. Viele von
den Anwesenden wird er mit seiner Botschaft erreicht haben. Doch leider viele
auch nicht. Denn gerade hier, in der bayerischen Stadt an der Donau, war für
den tags darauf folgenden Nationalfeiertag Deutschlands ein vom Stadtrat
abgesegneter „Verkaufsoffener Feiertag“ in der Innenstadt vorgesehen, also
Arbeitstag für viele Verkäufer und Verkäuferinnen. Und das verpasste meinem
Feiertagsgefühl einen bitteren Beigeschmack, denn es erinnerte mich an die
letzten Lichtjahre des Ceauşescu-Regimes, wo es da hieß: sărbătorim prin muncă
– wir feiern durch Arbeit. So sieht anno 2015 in deutschen Landen eine falsch
verstandene Sachlichkeit aus.
Anton Potche
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