Freitag, 15. April 2016

danubia connection N° 2 - Ein gutes Festival lebt von der Steigerung - 3.Tag

Und das ist den Organisatoren mit dem dritten Tag des Veranstaltungsmarathons im Rahmen von danubia connection N° 2 gelungen. Sehr gehaltvolle Vorträge, szenische Lesungen und Diskussionen. Eröffnet wurde dieser Tag des rumänischen Theaters mit einem Vortrag des deutschen Diplomaten Klaus Christian Olasz, seines Zeichens Referatsleiter an der deutschen Botschaft in Bukarest. Sein Betätigungsfeld deckt die Bereiche Kultur, Bildung und Probleme der deutschen Minderheit in Rumänien ab. Der Mann kennt sich aus, das steht ganz außer Frage. Nach bester diplomatischer Gepflogenheit nahm er zwar keine Bewertung der Kultursituation Rumäniens vor – „Das steht mir nicht zu.“ -, zeichnete aber sehr anschaulich ein Gesamtbild der kulturellen Lage. Rumänien wird bekanntermaßen von einem technokratischen Übergangskabinett regiert, das nur bis zu den nächsten Wahlen im Herbst im Amt sein wird. Dementsprechend kurz- oder mittelfristig können auch die angegangenen Projekte in der Kulturpolitik nur sein. Kulturminister Vlad Alexandrescu hat trotzdem erklärt, er versuche Projekte auf den Weg zu bringen, die eine nachhaltige Komponente enthalten und so von seinem Nachfolger fortgesetzt oder erfolgreich beendet werden können. Ein Blick in die Theaterszene zeigt, dass die Intendanten in der Regel sehr lange im Amt sind, was natürlich nicht zu einem flexiblen und für neue Wege offenen Apparat führt. Die Theater in staatlicher Trägerschaft werden großzügig gefördert, was logischerweise zu einer gewissen Abhängigkeit führt und es den unabhängigen Theatermachern umso schwerer macht. Der Referent streifte auch kurz das Thema der deutschen Minderheit. Die Minderheitenpolitik Rumäniens sei einzigartig in Europa und durchaus nachahmenswert. Es gibt noch immer zwei deutsche Theater, in Temeswar/Timişoara und Hermannstadt/Sibiu, und mehrere deutsche Zeitungen. Die Interessen der laut Volkszählung von 2011 noch rund 37.000 Deutschen, die auch einen Abgeordneten im Parlament haben, werden vom Demokratischen Forum der Deutschen vertreten. Dieses Forum ist aber keine politische Partei, sondern eine reine Interessenvertretung. Klaus Christian Olasz hielt kein steifes Schulreferat, sondern erzählte frei und locker von seiner Arbeit, den positiven Seiten, aber auch von den Unwegbarkeiten, denen man im Kulturalltag Rumäniens so begegnet. Das war nach ca. 45 Minuten ein sehr guter Auftakt zum dritten Akt der rumänischen Theatertage in Ingolstadt. 

Irina Wolf & Elise Wilk
Foto: Anton Potche
Wenn Hotelzimmer erzählen könnten! Elise Wilk, die rumänisch schreibende, deutsche Theaterschriftstellerin aus Siebenbürgen, hat vier voneinander unabhängige Geschichten ins Zimmer 701 geschrieben (Deutsch: Daria Hainz). Drei dieser merkwürdigen, skurrilen, lächerlichen, aber zutiefst menschlichen Szenen wurden im weiteren Verlauf des Theatertages von Donald Berkenhoff, Dramaturg und stellvertretender Intendant am Stadttheater Ingolstadt, als szenische Lesung auf die Bühne gebracht. Ob als Stripper, Selbstmörderin, Fotograf, Braut mit schwulem Bräutigam usw., das erfahrene Ingolstädter Trio Ingrid Cannonier, Jan Gebauer und Ulrich Kielhorn brachte das Publikum immer wieder zum Lachen – auch wenn es manchmal gar nichts zu lachen gab. Ich allerdings hatte den (natürlich subjektiven) Eindruck, dass die drei erfahrenen Bühnendarsteller ihre Sache nicht ganz ernst nahmen. Wie das auf den jeweils einzelnen Zuschauer wirkte, war dann eine rein individuelle Rezeptionsangelegenheit. Im Publikumsgespräch – diesmal konnte man Daria Hainz eine wohlverdiente Pause gönnen - erzählte Elise Wilk über die Entstehungsgeschichte dieses Stückes und es stellte sich heraus, dass die Autorin auch hierzulande kein unbeschriebenes Blatt ist. Eine Zuschauerin zeigte sich begeistert von ihren Arbeiten, die sie bisher gelesen habe. 

von links: Daria Hainz,
Alexandra Badea, Irina Wolf

Foto: Anton Potche
Gleiches Haus aber ein anderer Saal – Theaterschuppen wäre nicht unangebracht. Die letzte szenische Lesung des Festivals war angesagt: Zersplittert von Alexandra Badea, deutsche Fassung Frank Weigand. Vier erschöpfte Gestalten lagen mehr als sie saßen auf ihren Stühlen, als die Zuschauer den Raum betraten. Zwei Manager (gespielt von Jörn Kolpe und Matthias Zajgier), eine Managerin (Sandra Schreiber) und eine chinesische Bandarbeiterin (Mara Amrita). Vier junge, gehetzte, Menschen. Opfer des unbedingten Profits und einer Rastlosigkeit, deren Folgen nicht nur die Protagonisten selbst, sondern auch ihr soziales und vor allem familiäres Umfeld zu spüren bekommt. Getriebene unserer bis in die letzten Winkel vernetzten Zeit. Für diese Inszenierung – es war tatsächlich viel Theaterspiel dabei, und das war sehr, sehr gut – zeichnete Boris Brandner. Die Autorin dieses zeitgenössischen Theaterdokuments lebt in Frankreich und schreibt „nur in Französisch“, wie sie nach der Lesung/Aufführung dem Publikum erzählte. Ihre Stücke werden zwar auch in Rumänien gespielt, müssen aber zu diesem Zweck in ihre Muttersprache übersetzt werden. Das ist eigentlich bei Elise Wilk nicht anders, nur heißt es bei ihr von der Landessprache in die Muttersprache und nicht von einer Fremdsprache in die Muttersprache. Wie auch immer, das Resultat dieses Sprachenzickzacks kann sich sehen lassen. Und sie, diese sprachgewandten Autorinnen, wandeln ja auf den Spuren großer Vorgänger: Cioran, Eliade, Ionescu u. a.

von links: Irina Wolf, Elise Wilk,
Ramona Olasz,
Klaus Christian Olasz

Foto: Anton Potche
Zum Ausklang des sehr abwechslungsreichen Theaterfestivals danubia connection N° 2 – Junge rumänische Autorinnen im Scheinwerferlicht trafen sich alle in Ingolstadt vorstellig gewordenen Protagonisten noch einmal zu einer Podiumsdiskussion. Und da ging es dann im wahrsten Sinne des Wortes lebhaft und für das Publikum spannend und lehrreich hin und her. Erörtert wurde vor allem die finanzielle, personelle und perspektivische Situation des unabhängigen, privaten Theaters in Rumänien. Ramona Olasz, die mit ihrem Mann Klaus Christian Olasz das Theaterlaboratorium Bukarest  (TLB) gegründet hat, war wahrlich nicht zum Beschönigen aufgelegt: „In Rumänien ist es wahnsinnig schwierig Theater zu machen.“ Das TLB haben sie in Bukarest gegründet, weil sie dort immerhin eine Gemeinschaft von „um die sieben-, achttausend“ Menschen vorfanden: meist Schüler, die Deutsch lernen, und kein deutsches Theaterangebot haben. Die Familie Olasz beschäftigt in ihrem TLB sieben Schauspieler. Einer wird sich jetzt aber verabschieden, weil „man vom Theater nicht wirklich leben kann“. Die kleine Bühne finanziert sich ohne jegliche Zuschüsse, während das staatliche „Nationaltheater jährlich 8 Millionen Euro nur Betriebskosten zur Verfügung hat“. Und doch zahlt TLB seine Schauspieler besser als die staatlichen Theater. Das liegt auch daran, „dass sie einfach mehr spielen“. Trotzdem ist es schwierig, in Bukarest gute deutschsprechende Schauspieler und besonders geeignete Spielstätten zu finden . Es gibt in der rumänischen Hauptstadt auch Versuche, in kleinem Rahmen Boulevardkomödien zu spielen. Wenn diese aber „anecken“, verschwinden sie schnell von der Bühne.

Gianina Cărbunariu konnte von diesen Schwierigkeiten ein eigenes Lied singen, hatte sie doch selber zehn Jahre lang eine eigene Theatertruppe in Bukarest. Nach ihrer Auffassung gibt es aber einen klaren Unterschied zwischen unabhängigem (independent) und komerziellem (comercial) Theater. Die Wirklichkeit widerspiegelt diesen Unterschied aber nicht, dort vermischen sich die zwei Arten. Es wurde schnell klar, dass die engagierte Autorin und Regisseurin einen klaren Strich zwischen ernstem und nur der Unterhaltung dienendem Theater zieht - wie beim oft bemühten Unterschied zwischen E- und U-Musik. Dabei beklagte sie, dass sich immer mehr Gruppen als seriös ausgeben, aber nur ökonomische Interessen verfolgen. Trotzdem will sie in naher Zukunft erneut einen Start mit einem unabhängigen Theaterprojekt wagen. Angebote von sogenannten Staatstheatern hat sie schon gleich nach ihrem Studium abgelehnt. „Ich war keine Arbeitslose, sondern habe die Unabhängigkeit gewählt.“ Koproduktionen mit ausländischen Produzenten gewährleisten ihr eine gewisse, auch finanzielle, Unabhängigkeit und Sicherheit. Abschließend hielt auch sie fest, dass „es sehr schwierig ist, in diesem System [A.d.V.: dem rumänischen] Theater zu machen“.

von links: Ioana Păun,
Alexandra Badea
, Daria Hainz,
Gianina Cărbunariu
, Irina Wolf 

Foto: Anton Potche
Die Regisseurin Ioana Păun, angesprochen auf die Eröffnungsvorstellung des Festivals, Domestic Products, erzählte, dass dieses Stück eigentlich als Höhrspiel angedacht war und sich erst während der Arbeit zum Schauspiel entwickelt hat. Es gibt einen rumänischen Theaterfond, aus dem Theaterstücke angekauft werden. Wenn dieser aber erschöpft ist, haben eingereichte Projekte eben Pech gehabt. So erging es auch diesem Stück. Es gibt eigentlich keinen Produzenten, der es in seinem Repertoire hat, so dass es dem Zufall überlassen ist, wann es in Rumänien mal auf eine Bühne kommt. Heuer ist es allerdings so, dass überraschend viele Projekte gefördert werden sollen, so dass sich viele Künstler zurzeit um diesen Topf versammelt haben. Es stellt sich dabei allerdings auch die Frage „wie viel projektbezogene Fastfood-Kunst“ dabei herausschaut. Man weiß noch nicht, wie diese eingetretene Förderfreundlichkeit des Kulturministeriums sich auf die alternative unabhängige Kulturszene auswirken wird.

Klaus Christian Olasz 
als Konsul in Temeswar
(2009 - 2013)

Fotoquelle: Opina Timişoarei
Klaus Christian Olasz unterstrich im Wesentlichen das Gesagte und fügte hinzu, dass es für Diplomaten immer „ein schwieriger Lernprozess sei“, die Gegebenheiten eines Landes zu erfassen. Dazu „braucht man schätzungsweise immer die Hälfte der Zeit, die man in einem Land verbringt.“ Und man macht dann natürlich seine Erfahrungen, die in diesem Fall den Ausführungen der jungen rumänischen Protagonisten auf dem Podium inhaltlich durchaus entgegenkommen. Als Beispiel führte er an, dass die deutsche Botschaft in Rumänien das Deutsche Staatstheater in Temeswar jahrelang finanziell unterstützt hat, um dann bei einer Prüfung festzustellen, dass dieses Haus von kommunaler Seite finanziell so gut gepolstert ist, dass es auf die Förderung seitens der Botschaft gar nicht angewiesen war und auch heute nicht ist. Die Deutsche Botschaft bemüht sich daher, „nur freie Gruppen zu unterstützen“. Dass so etwas dann in der Praxis nicht immer reibungsfrei abläuft, liegt in der Natur der Sache. Denn als „sogenannter Diplomat“ ist man eher von „Intendanten und Generaldirektoren der üppig finanzierten staatlichen Institutionen umschmeichelt“ als von Künstlern aus dem freien Sektor.

Nach so viel Kulturpolitik kam die Moderatorin Irina Wolf dann doch noch auf reine Theateraspekte zu sprechen. Und erntete sofort energischen Widerspruch. Sie meinte nämlich, dass zu ihrer Rechten drei Autorinnen & Regisseurinnen säßen und zu ihrer Linken eine „klassische Dramatikerin“. Und das könnte vielleicht auch das Verhältnis dieser neuen Tendenz, als Regisseur seine Stücke selber zu schreiben, widerspiegeln. Angesprochen war als „klassische Dramatikerin“ Elise Wilk. Die wollte aber von diesem Verhältnis nichts wissen. Sie war der Meinung, dass „es genug Leute gibt, die für das Theater nur schreiben, ohne ihre Texte zu inszenieren“. Man könne von einer Halb-Halb-Situation sprechen, aber keineswegs von einem Trend, denn das Phänomen sei nicht neu, auch ältere Kollegen würden schreiben und inszenieren. Daraus entwickelte sich ein lebhaftes Hin und Her, das wie bei solchen Podiumsdiskussionen üblich kein Licht ins Dunkel brachte. Elise Wilk plädierte für ein besseres Einbeziehen des Autors in die Inszenierungsarbeit. „Das kann nur gut sein.“

Alexandra Badea ist natürlich die richtige Ansprechpartnerin, wenn es um das französische Theater geht. Irina Wolf wollte von ihr aber wissen, wie man in Frankreich das rumänische Theater sieht. Und da gab es dann überraschende Antworten. Man kennt es nämlich gar nicht. In Frankreich werden nur einzelne Personen der rumänischen Theaterszene wahrgenommen: Schauspieler, Regisseure oder auch Autoren. Was Alexandra Badea dann weiter zum Besten gab, war nicht nur anekdotenhaft, sondern hatte auch eine Dosis schwarzen Humors. Vor etwa zehn Jahren fuhren französische „scouts“ nach Rumänien, um Ausschau nach Talenten zu halten. Dort wendeten sie sich aber ans Kulturministerium in dem Irrglauben, ein ähnliches System wie in Frankreich vorzufinden. Man zeigte diesen „Kulturscouts“ dann aber „ziemlich verstaubte Stücke“, so dass sie nicht wiederkehrten. Auf das rumänische Theater wurde man erst wieder aufmerksam, als Texte der jungen Autorengeneration in Frankreich zu zirkulieren begannen. In Frankreich ist der rumänische Film viel präsenter als das Theater. 

Man kann den darauffolgenden Einwurf von Ramona Olasz als essenziellen Schlussmonolog werten. Sie als Theaterproduzentin muss letztendlich einen Bezug zum Publikum haben, und den in der „zersplitterten“ Szene herzustellen, ist sehr schwer. Das Publikum in Rumänien kann nicht zu einer Entität heranwachsen, es fühlt sich nicht an eine Theaterinstitution gebunden. Man weiß von rumänischen Künstlern, „die im Ausland ein größeres Publikum als zu Hause haben".

Als sich eine Stunde angeregter Podiumsdiskussion dem Ende näherte, es fehlten wirklich nur wenige Minuten, meldete sich Gastgeber Knut Weber noch einmal zu Wort. Er erwiderte den von Irina Wolf im Namen der Gäste ausgesprochenen Dank und bekundete, dass er „viel gelernt [habe] über die Autorinnen- und die Theaterszene.“ Für ihn waren das spannende Tage, und er meinte, dass sich doch viele der diskutierten Probleme denen in Deutschland ähneln, „gerade was so das Verhältnis von freier Szene und etabliertem Theater betrifft“, um dann mit einem Ratschlag für die Gäste aus Rumänien aufzuwarten: „Ich glaube, dass Rumänien jetzt vielleicht die Schritte nachholen muss, für die in Deutschland länger Zeit war. [...] Es gibt in Deutschland die Bundeskulturstiftung und die könnte möglicherweise auch für Rumänien eine interessante Institution sein, weil sie mit relativ viel Geld die etablierte Szene mit der freien Szene verbindet.“ Und dann zum Schluss gab es noch einen kleinen Hoffnungsschimmer (keine Zusage) als Zuckerl vom Intendanten. Er hält es nämlich für durchaus möglich, dass in Zukunft das eine oder andere Stück der anwesenden und anderer junger rumänischer Autoren und Autorinnen Eingang ins Repertoire des Ingolstädter Stadttheaters finden könnte.

Dann war aber wirklich Schluss ... mit dem Reden. Es begann die letzte Szene des dritten Akts. Und die war der Musik vorbehalten: Balkanmusik, Klezmer, irische, russische und südamerikanische Weisen gespielt von der Vier-Mann-Band Gitanes Blondes.

Was diesem Festival fehlte, war das Publikum. Dessen Zahl stand alle drei Tage im umgekehrten Verhältnis zur Quantität und Qualität der Darbietungen. Schade! 
Anton Potche

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