Der zweite Ingolstädter Tag der Junge[n] rumänische Autorinnen im Scheinwerferlicht begann unter
außergewöhnlichen Schutzmaßnahmen. Eine Hundertschaft von Bereitschaftspolizisten
hatte das Kleine Haus am Brückenkopf umstellt. Alle Zufahrtswege waren mit
Polizeiautos abgeriegelt. Schwer bewaffnete Polizisten, Schauspieler und
Zuschauer benutzten gemeinsam die Toilette im Theaterprovisorium an der Donau. (Nichts
hält länger als ein Provisorium, sagt der Volksmund.) Dass es unter diesen äußeren Umständen für den drinnen
im kleinen Saal den Akten der Securitate entstiegenen Mugur Călinescu keine
Chance zum Entkommen gab, wäre eindeutig gewesen, wenn ... ja wenn die
Polizisten wegen ihm angerückt wären.
Dem war aber nicht so. Die waren vor Ort, um dafür zu
sorgen, dass rechts und links der Donau versammelte Demonstranten (Der
III. Weg) und Gegendemonstranten vom lokalen Bündnis Ingolstadt
ist bunt sich nicht zufällig in die Quere kamen. Das sollte aber den
Gymnasiasten Mugur Călinescu nicht aufatmen lassen, denn um ihn kümmerten sich
auf der Bühne des Kleinen Hauses sehr intensiv Kollegen, Lehrer, Parteibonzen,
Securitateoffiziere und nicht zuletzt seine geschiedenen Eltern. Sie alle
machen mit ihrer Fürsorge das Theaterstück Schrift
in Großbuchstaben (aus der Anthologie Machtspiele.
Neue Theaterstücke aus Rumänien, Verlag Theater der Zeit, Berlin, 2015),
verfasst von Gianina Cărbunariu und
ins Deutsche übersetzt von Daria Hainz, aus.
Fotos: Anton Potche |
Eine gelungene szenische Lesung war das, was der Ingolstädter Schauspieler Sascha Römisch im an diesem Nachmittag (16:00 Uhr) rundum abgesicherten Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt inszeniert hatte. Zuerst waren die Losungen da, dann kamen die Ankläger und als die Losungen verschwanden, stand der Angeklagte da - schutzlos den Häschern der Securitate ausgeliefert. Auch eine Lesung (mit viel Spiel) benötigt gute Darsteller, wenn sie gut sein soll. Diese hier war gut, dank Victoria Voss, Olaf Danner, Peter Greif, Benjamin Kneser (als Mugur Călinescu), Ralf Lichtenberg und Marc Schöttner.
von links: Daria Hainz, Gianina Cărbunariu, Irina Wolf |
Nach der szenischen Lesung stellte sich die auch international bekannte
Autorin und Regisseurin Gianina
Cărbunariu den Fragen des Publikums. Ihre Übersetzerin Daria Hainz stand ihr dabei hilfreich zur Seite. Schnell
entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, die von Neugierde, aber auch von Selbsterlebtem
seitens des Publikums geprägt war. Die Fragenden hatten es mit einer sehr
charmanten, aufgeschlossenen, gut informierten und auch schlagfertigen Gesprächspartnerin
zu tun. Dass die Securitate sogar unter den minderjährigen Schulkindern Spitzel
rekrutierte, traute ich persönlich diesem Geheimdienst zwar zu, dass die
Ausmaße aber so aberrant hoch waren, hätte ich mir dann doch nicht vorgestellt.
Gianina Cărbunariu erwähnte einen
Fall von 120 zu Spitzeltätigkeiten rekrutierten Jugendlichen in einem Gymnasium
mit nur einigen Hundert Schülern. Sie Securitate sei nicht tot, erzählte sie
weiter. Die Geheimdienstmitarbeiter von damals hätten nach 1990 eine Weile
innegehalten, um dann im neuen SRI (Serviciul Român de Securitate – Rumänischer
Geheimdienst) wieder aktiv zu werden. Als Sucherin in den Akten gesteht die
Autorin sich selbst einen voyeuristischen Ansatz zu, der einfach entsteht, wenn
man sich in diese Geschichten vertieft. Man stellt aber auch fest, dass sich in
den Dossiers Realität und Fiktion sehr nahe kommen. Besonders die
Denunziationen stammen oft aus dem Reich der Fantasie. Als Beispiel führte sie
einen sehr fleißigen Denunzianten an, der jede Geste seines Opfers
kommentierte, und auf dessen schriftliche Eingabe der die Akte begutachtende
Securitateoffizier den Vermerk notierte: „Die Interpretation nehmen wir vor.“
Das wiederum hat einen Zuschauer zu der Frage veranlasst, ob im heutigen
Rumänien angesichts der vielen verhafteten Politiker überhaupt noch zwischen
Denunziation und Zivilcourage unterschieden wird. Die konkrete Antwort blieb
aus. Gianina Cărbunariu beschränkte sich auf den Unterschied zwischen
Denunziation (rum.: turnătorie) und Zivilcourage. Es ist aber nach ihrer
Überzeugung sicher so, dass sowohl die gewesenen Securitatemitarbeiter als auch
deren Nachfolger bestimmt wussten und wissen, dass sie sich des
Denunziantentums und nicht der Zivilcourage bedienten und wohl auch heute noch
bedienen. „Es gibt eben Dinge, die sind legal, aber nicht moralisch. Wie eben
das Beispiel Panama zeigt.“ Als ein sich bekennender Siebenbürger Sachse die 1977
geborene Autorin fragte, ob sein Landsmann Klaus
Johannis „da unter den Rumänen eine Zukunft habe“, bekam er die
schlagfertige Antwort: „Er hat vor allem eine Vergangenheit.“ So war diesem eigentlich todernsten ersten Teil des Theaternachmittags vom 9. April noch ein
heiterer Ausklang beschert.
Auch der zweite Teil wurde von einem Theaterstück Gianina Cărbunarius ausgefüllt. Die szenische Lesung des Stückes Spargel (gleiche Anthologie) wurde von Mona Sabaschus in Szene gesetzt. Die in
einem Supermarkt beim Warten auf erhoffte Preissenkungen kurz vor Ladenschluss ins Gespräch gekommenen Georg, Rentner, und Dani, rumänischer
Leiharbeiter, wurden von Jan Gebauer
und Béla Milan Uhrlau gespielt. Im
Programmheft kann man zu diesem Stück lesen: „Die Autorin nimmt die westliche
Konsumgesellschaft ins Visier und widmet sich gleichzeitig mit einer frechen
Portion schwarzem Humors den aktuellen Themen Migration und Toleranz.“
Auch diesem Stück folgte ein Publikumsgespräch, womit der
verlängerte Theaternachmittag mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen aber noch lange
nicht zu Ende war. Die Bühne wurde nämlich von der Band Toulouse Lautrec besetzt,
die zu einem Buffet und vielleicht auch Tanz aufspielte (ich war schon nach dem
ersten Theaterstück gegangen, war doch weit und breit keine Blasmusik in Sicht),
um so den Festivalcharakter von danubia
connection N° 2 auch voll und ganz zu gewährleisten.
Anton Potche
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