Jana Simon: Sei
dennoch unverzagt – Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf;
Ullstein Taschenbuch, Berlin, 2015; ISBN 978-3-548-37569-4; 281 Seiten; 9,99
EUR
1976 schrieb Christa
Wolf über Max Frischs Schreiben
in Ich-Form: „Doch sind fast alle Prosaarbeiten romanhaften Charakters
Ich-Geschichten. Im Tagebuch wird das Ich ein seltenes Wort.“ Im Gespräch kann
das durchaus anders sein, besonders im generationenübergreifenden Fragen und
Antworten. Das gilt auch für Christa
und Gerhard Wolf, das
Schriftstellerehepaar aus der DDR. Nachprüfen kann man das im Buch Sei dennoch unverzagt – Gespräche mit
meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf. Geführt und niedergeschrieben
hat diese Gespräche Jana Simon,
Journalistin – von 1998 bis 2004 beim TAGESSPIEGEL und jetzt bei der ZEIT – und
Enkelin des Ehepaares Wolf.
Die hier gesammelten Gespräche wurden nicht am Stück
geführt, sondern während sechs Besuchen der Enkelin bei Oma und Opa an zwei
verschiedenen Orten und innerhalb von 14 Jahren, immerhin eine Zeitspanne, in
der sowohl Großeltern als auch Enkelin sich anhand neuer Lebenserfahrungen
weiterentwickelt haben. Was alle Gespräche kennzeichnet, ist das von ihnen
ausgehende Gefühl der Aufrichtigkeit. Und das hat wohl etwas mit dem präsenten
„Ich“ sowohl der Christa als auch
des Gerhard Wolf zu tun. Beide
scheuen sich nicht, es zu benutzen. Sein Einsatz wird aber nicht zu
Rechtfertigungen oder gar Protzereien mit der eigenen schriftstellerischen
Leistung missbraucht.
Das erste mit einem Kassettenrecorder festgehaltene Gespräch
fand am 22. August 1998 in der Wohnung der Wolfs
in Berlin-Pankow statt. Man spürt sofort, dass hier zwischen den
Gesprächspartnern ein zutrauliches, vielleicht sogar inniges Verhältnis
herrschte. Die Familienverhältnisse beider Wolf-Eheleute vor ihrer Ehe kommen
auf den Tisch, sprich, der Krieg mit all seinen Verirrungen und Verwirrungen,
die sich für immer den Betroffenen eingeprägt haben. Wie etwa bei Christa Wolf: „Mein Vater war ein
Schrumpelgreis von 85 Pfund. Er aß alles, was die Bäuerin ihm gab, jeden Rest. Ich
habe das verstanden. Andererseits fand ich es schrecklich, wie mein Vater jeden
kleinen Bissen hinunterschlang. Meiner Mutter ging es, glaube ich, ähnlich.“
Kriegs-, Vertreibungs- und Heimkehrerschicksal in einem Verhaltensmuster. Ums
Verhalten ging es auch, als man auf das Leben in der DDR zu sprechen kam, wie zerrissen
dieses Land und mit ihm seine Intellektuellenkreise waren. Gerhard Wolf sagt es so einfach und darum so nachvollziehbar: „Und
mit den meisten, die aus der DDR weggegangen sind, ist es abrupt böse geworden.
Da ist gar nichts geblieben.“ Verdächtigungen, Anschuldigungen, Misstrauen.
Und es wird auch im zweiten Gespräch nicht unbedingt
schöner. Es wurde am 31. Juli 1999 im Ferienhaus der Wolfs im mecklenburgischen Woserin geführt und belegt, dass es schon
in den jungen Jahren des sozialistischen deutschen Staates nicht an Verirrungen
fehlte. Christa Wolf: „Stalin war im
März 1953 gestorben. Da habe ich noch getrauert. Ich dachte, das sei ein großer
Verlust für das Weltfriedenslager.“ 24 Jahre alt war sie damals mit dieser
Einstellung. Etwas gedämpfter kommt Gerhard
Wolfs Begeisterung für Stalin
und seine geistigen Ergüsse daher. Als nämlich dessen Arbeit Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft
erschien, tat Gerhard das als „einen
ziemlichen Blödsinn“ ab. Und auch Christa
fand das „einfach nicht so dolle“. So begann das Mit- und Nachdenken langsam
Früchte zu tragen, Früchte, die aber nie zu einer totalen Dissidentschaft oder
gar einem Verlust von Heimatgefühl führten. Bei aller kritischen Distanz zu
diesem System – schließlich und endlich habe ich ja in einem ähnlichen gelebt –
kann man ihnen das wohl kaum übelnehmen.
Woserin, 22. März 2008. Es sind knappe neun Jahre ins Land
gegangen. Die Großeltern sind fast 80 Jahre alt und die Enkelin steht im
schönen Schaffensalter von 35 Jahren. Das Verhältnis zwischen den drei
Protagonisten klingt nach wie vor vertraut. Die Gespräche bleiben unverkrampft
und vor allem zeitunabhängig. Es geht mal vor und dann wieder zurück, aus der
Familie in die Politik und deren Wahrnehmung: „Und drüben, im Westen, sahen wir
die Vertriebenenverbände, damit konnten wir uns überhaupt nicht
identifizieren“, meint Christa Wolf.
Hüben und drüben. Das blieb in den Köpfen der Erlebnisgeneration und wird es
bleiben. Für die Nachkommen hingegen wird daraus Geschichte. Gehen oder
Bleiben. Für die Wolfs ein
existenzielles Problem. Christa
bringt das so auf den Punkt: „Denn was sollte ich drüben schreiben? Sollte ich
vom Westen aus die Konflikte der DDR behandeln? Nein!“
Drei Tage später, am 25. März 2008, war Ostern. Die Gespräche
wurden fortgesetzt. In der gleichen Art und Weise. Natürlich gehörte das Ende
der DDR auch für die Wolfs zu den
aufregendsten Zeiten ihres an Ereignissen nie armen Lebens. Gerüchte und
Verschwörungstheorien sind immer Begleiterscheinungen großer sozialer und
politischer Umwälzungen. Christa Wolf
erzählte ihrer Enkelin: „In jener Zeit riefen andauernd Menschen bei uns an.
Einmal hatte ich einen Mann am Telefon, der meinte, er sei ein Nachbar von uns
aus der Pankower Crusemarkstraße. Seine Frau arbeite in einer Botschaft und
habe erfahren, dass in Schönefeld ein Flugzeug stehe, das gerade mit Akten
beladen werde, die nach Rumänien ausgeflogen werden sollten.“ Natürlich war
nichts an der Geschichte dran. Aber Christa
und Gerhard Wolf waren nun mal
Personen der Zeitgeschichte und gesuchte Adressaten für solche Geschichten. Der
Anrufer traute ihnen Beziehungen zum Chef des Auslandsnachrichtendienstes der
Stasi, Markus Wolf, zu – die es auch
gab – und hoffte wahrscheinlich, so die (eingebildete) Aktion unterbinden zu
können.
Am 18. Mai 2008 unterhielt sich Jana Simon mit Oma und Opa Wolf
in deren Wohnung in Berlin-Pankow. Ein Gespräch mit stark familiärer Prägung.
Aber ohne Ausflüge in das weitreichende Gesellschaftsleben ging es natürlich
nicht, denn das Ehepaar Wolf blieb
auch nach der Wende im Literaturbetrieb aktiv. Und etwas vom Medienzeitalter
bekamen sie auch noch mit. Wenn auch nur als Fragesteller: „Gibt es dazu
eigentlich eine Anleitung, wie man was macht“, fragte Gerhard Wolf seine Enkelin beim Anblick eines Handys.
Nach mehr als vier Jahren, am 18. Juli 2012, gab es in
Woserin das letzte der in diesem Buch aufgenommenen Gespräche. Doch nur
zwischen Opa und Enkelin. Oma Christa
Wolf war am 1. Dezember 2011 gestorben. Opa und Enkelin reden über Oma.
Eine bestimmt gute Trauertherapie. Vor allem auch dann, wenn sie nicht in
Larmoyanz versandet. Die zwei unterhielten sich wie über einen Menschen, der
durch sein literarisches Werk auch weiter in der Gegenwart verankert ist und es
wohl noch eine Weile auch in Zukunft bleiben wird.
Opa Gerhard
hingegen bleibt mit seinen Erinnerungen und den damit verbundenen Fragen über
Richtig und Falsch in einer Zeit voller Gegensätze. Eine Zeit, in der die
Wolfs, besonders Christa, Menschen
und Künstler waren, zu denen viele von Selbstzweifel geplagte Zeitgenossen
aufblickten. Ob sie sich in jenen Jahren, ja ihr ganzes Leben über in der DDR,
immer richtig verhalten haben, wird Opa Gerhard
sich in den ihm noch gegönnten Tagen bestimmt öfter fragen. Das hört man
aus dem Gespräch mit seiner Enkelin immer wieder heraus. Besonders wenn er von
seiner Frau erzählt: „Als sie 1987 den DDR-Nationalpreis verliehen bekam,
fragten wir uns, was wir machen sollten. Eigentlich hätten wir den Preis nicht
annehmen wollen. Wir sind nicht zum Empfang gegangen und haben das Geld an
Leute verteilt, die es brauchten.“
Wer diese Gespräche liest, wird die (leider viel zu oft
verhängnisvollen) Auswirkungen von Nationalsozialismus, Kommunismus und
Kapitalismus wahrnehmen. Und er wird bei einigermaßen bewahrter Objektivität
dankbar sein, in der dritten Ismus-Stufe (oder sogar nur in ihr) leben zu
dürfen.
Anton Potche
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