Weihnachten mit Karl
May? Geht das? Ja, warum denn nicht? An die Sterne –»Süße kleine Himmelsaugen«, »Auf Golgatha
ans Kreuz geschlagen« (Osterkantate), Ave Maria – Es will das Licht des Tages
scheiden, Ave Maria der Gondolieri am Traghetto della Salute, »Ich will dich
auf den Händen tragen« (Nottourne), Nun gehst du hin in Frieden, Vergiß mich
nicht, »Zieht im Herbst die Lerche fort« (Serenade), »Siehe, ich verkündige
euch große Freude« (Weihnachtskantate). Das
alles sind Kompositionen von Karl May,
dem geistigen Schöpfer von Winnetou und Old Shatterhand. Was musikalisch
möglich ist sollte auch filmisch möglich sein. „Weihnachten mit Winnetou – Der
Dreiteiler mit Wotan Wilke Möhring
und Nix Xhelilaj spaltet an den
Feiertagen die Fernsehnation“, verkündete vor Weihnachten ein Fernsehmagazin
auf seiner Titelseite.
Mir war sofort klar, auf welche
Seite ich mich schlagen werde. Die RTL-Produktionen Winnetou – Eine neue Welt, Winnetou
– Das Geheimnis vom Silbersee und Winnetou
– Der letzte Kampf waren für mich ein Muss, trotz nervenzehrender Werbung.
(Normal schaue ich kein Privatfernsehen.) Die Begründung liegt auf der Hand:
Ich war, seit ich lesen kann, Karl-May-Fan. Ja, viel mehr, Karl May und seine Bücher bedeuten für mich bis heute Heimat, eine
vor vielen Jahren freiwillig aufgegebene Heimat. Das hieße aber, das Banat in
Beziehung zum Wilden Westen zu stellen. Dieser Vergleich fiel mir in den
zurückliegenden Weihnachtstagen ein, weil ich schon einmal öffentlich mit ihm
hausieren gegangen war.
Und das kam so: Das Stadttheater
Ingolstadt stellt seine Spielzeiten jeweils unter ein Motto. Die Saison 2011 /
2012 trug die Überschrift Fremde Heimat.
Intendant Knut Weber schrieb damals
im Spielzeitheft: „Der >Erste Abend< am 8. Oktober im Stadttheater ist ein
>Heimatabend<, eine Fantasie aller Ensemblemitglieder und vieler der in
Ingolstadt beheimateten Menschen: Ein Abend über die Sehnsucht nach Heimat und
über die Gewissheit, sie zu haben, über Heimweh und Lust auf Neues, über
Abschied und Ankommen.“ Einherging auch ein Aufruf an die Bevölkerung von Stadt
und Umland, sich mit Gegenständen, die ihnen Heimat oder Fremde Heimat
bedeuten, an dieser Spielzeit zu beteiligen. In Glasvitrinen waren diese
Beiträge der Bevölkerung zu diesem Thema dann im Foyer des Theaters ausgestellt.
In diesem „temporären Heimatmuseum“ (Formulierung des Theaters) waren auch zwei
Bücher von Karl May mit folgendem
Begleittext zu sehen:
Fotos: Anton Potche |
Mit
Karl May aus der alten in die neue Heimat
In meinem
Bücherschrank in der Banater Gemeinde Jahrmarkt standen in den 1970er und
1980er Jahren viele deutsche Bücher aus dem Bukarester Kriterion-Verlag. Auch
die zwei Bände Old Surehand –
Reiseerzählungen von Karl May waren dabei. Sie sind 1970 erschienen und kosteten
zusammen 23,50 Lei (ca. 5,50 €).
Es war aber
nicht das einzige Karl-May-Buch, das auf dem Jahrmarkter Büchermarkt gehandelt
wurde – unter der Hand, natürlich. Ob vor oder hinter dem Eisernen Vorhang, die
Sehnsucht nach der Ferne war die gleiche. Karl May hat sie befriedigt. Seine
Bücher passierten immer wieder auch die tödlich gut behütete rumänische
Staatsgrenze von West nach Ost, in den 1980er Jahren verbunden mit steigendem
Risiko, war dem Diktator die Freiheitssehnsucht seiner Bürger doch mehr und
mehr verhasst.
So mancher Zeitgenosse
hat aber gerade in jenen Jahren diese Grenze in entgegengesetzter Richtung,
also von Ost nach West, bei Nacht und Nebel überwunden: schleichend, laufend,
kletternd, kriechend, eingenäht in Schafspelze inmitten einer Schafherde, über
die Donau rudernd und, und … Der eine oder andere hätte sein Leben bei diesen
abenteuerlichen Fluchtversuchen mit einem Karl-May-Helden an seiner Seite nicht
lassen müssen.
Mein Old
Surehand hat diese blutigste grenze Europas in einer Holzkiste, in friedlicher
Eintracht mit Wäschestücken und Haushaltsartikeln, unbeschadet auf dem Postweg
überwunden. Es war zwischen Weihnachten und Neujahr im Jahre des Herrn 1984.
Bücher kommen
und gehen, machen sich auch in meinem Bücherschrank den beschränkten Platz
streitig, aber Old Surehand, dieser aus dem alten Banat, wird bestimmt erst mit
dem Untergang meines Geistes eventuellen Existenznöten ausgesetzt sein. Bis
dahin sichert meine Erinnerung an die Sehnsüchte der alten Heimat sein Dasein.
Anton Potche
Dieser Winnetou (Nik
Xhelilaj) und sein Blutsbruder Old Shatterhand (Wotan Wilke Möhring) von RTL waren leider nicht die gleichen
Karl-May-Helden meiner Kindheit. Die kamen aber zum Glück eine Woche später auf
den Bildschirm beim BR: die große Wildwestsaga in drei Teilen mit Pierre Brice als Winnetou und Lex Barker als Old Shatterhand und zwei
Teile mit Stewart Granger in der
Rolle Old Surehands.
Natürlich drängt sich auch mir nach dem Sehen der acht Filme ein Vergleich
auf. Und der kann, wie Kunstbeurteilungen das nun mal so an sich haben, nur
subjektiv ausfallen, ganz abgesehen von meinen Erinnerungsbeziehungen zu diesem
Stoff. Habe ich die
Karl-May-Filmklassiker der sechziger Jahre als eine Symphonie, gespielt von
einem großen Symphonieorchester, empfunden, so kam mir der RTL-Dreiteiler wie
eine Orchestrierung der gleichen Symphonie für eine Bläserphilharmonie vor. Gut
orchestriert, gut interpretiert, aber dem Original dann doch nur bedingt
ebenbürtig.
Anton Potche
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