Heinz Czechowski: Die
Pole der Erinnerung – Autobiographie – mit einem Nachwort von Sascha Kirchner;
Grupello Verlag, Düsseldorf, 2006; ISBN 3-89978-046-9; 282 Seiten, Hardcover; 22,90 EUR
Ich hatte den Namen nie oder nur flüchtig gehört: Heinz Czechowski. Und doch bestellte
ich eines Tages seine Autobiografie, den selbstreflektierten Lebenslauf eines 2009 verstorbenen Dichters aus Dresden. Ein guter Teil seiner Schaffensperiode deckt sich also
mit der DDR-Zeit. So eine Überlappung ist für mich eigentlich immer ein Grund
neugierig zu sein. Bis zum Erwerb eines Buches ist es ab da allerdings noch ein
gutes Stück des Weges. Die Strecke bewältigte ich, als ich in einem meiner
Ordner eine Artikelserie aus der NEUEN BANATER ZEITUNG / Temeswar aus dem Jahre
1978 durchblätterte. Darin wird die 70-jährige Geschichte der damals im
deutschgeprägten Dorf Jahrmarkt im rumänischen Banat aktiven Loris-Blaskapelle
erzählt. In einer Fortsetzungsfolge las ich, dass im Jahre 1970 der
DDR-Schriftsteller Heinz Czechowski
in Jahrmarkt einem Konzert dieser Blaskapelle beiwohnte und dem Kapellmeister Mathias Loris eines seiner Gedichtbände
überreichte. Ob und wie der 70-jährige Autobiograf (er schrieb seine Autobiographie im
Jahre 2005) sich an diese Episode seines wahrlich abenteuerlichen Lebens
erinnerte, wollte ich – als geborener Jahrmarkter, der schon darum nicht alle
Konzerte dieses Blasorchesters besuchte, weil er in einer konkurrierenden
Kapelle spielte – wissen.
Also habe ich gelesen …, um bis zur letzten Seite keine
einzige Erwähnung dieses Dorfereignisses zu finden. Für meine Enttäuschung
wurde ich aber anderweitig reichlich entschädigt: Ich las in knapp drei Tagen –
für einen wie mich, der nicht zu den Schnellüberfliegern gehört, eine
erhebliche Leistung – eine Autobiografie, die nichts mit einem chronologischen
Lebenslauf zu tun hat, sondern von mir eher als eine in brillantem Deutsch
verfasste Abrechnung mit den eigenen Unzulänglichkeiten wahrgenommen wurde.
Natürlich gehören auch zu dieser Biografie Großereignisse
der deutschen Geschichte. Wie anders könnte es bei einem 1935 in Dresden
geborenen und dort pubertierenden Jungen sein: Drittes Reich, DDR und BRD. Heinz Czechowski hat auch das mittlere
Glied dieser deutschen Geschichtskette ohne öffentlichkeitswirksame Dissidentschaft
und trotzdem opponierend überlebt. Aber zu welchem Preis?
Die familiären Erschütterungen dieses Autors ermöglichen
auch Einblicke in die tiefen Abgründe der Literaturszene des deutschen
Vasallenstaates der großen Sowjetunion: Ehen, Scheidungen, Affären,
Nervenzusammenbrüche und natürlich Bespitzelungen noch und nöcher. Ein
unruhiges Leben, das eher Stoff für einen autobiografischen Roman als für eine genregetreue
Autobiografie liefert.
Und das wurde es dann auch: ein von fesselnder Subjektivität
kolorierter selbstbezogener Roman oder eine romanhafte Biografie, so als wäre
sie von einem veritablen Romancier und nicht von einem Dichter verfasst. Aber
ohne offenkundige Larmoyanz. Nur selten sind die Anderen schuld an den vielen
seelischen Beschädigungen. Meistens outet Czechowski
sich selber als Ursache allen Übels: „Ich hatte es nach meiner ersten
Scheidung eigentlich immer nur zu einer Lebensweise gebracht, die durch
Unstetigkeit und Improvisation gekennzeichnet war.“
Ich raste ungestüm durch die vielen tiefen und wenigen Höhen
dieses deutschen – zu Beginn ostdeutschen – Dichterlebens der Gegenwart, um
dann kurz vor Schluss doch noch den Atem anzuhalten. Viermal erwähnt Heinz Czechowski seinen „damaligen
Lektor Werner Söllner“ vom Ammann-Verlag als seinen „Freund“. Zusammen haben
sie an Czechowskis letztem bei
Ammann erschienenen Gedichtband Wüste
Mark Kolmen gearbeitet, ein Buch, zu dem der Dichter ein besonderes
Verhältnis zu haben scheint. Er erinnert sich: „Einige der Gedichte sind der
letzte Nachhall meiner sächsischen Existenz. Wenn es stimmt, daß Heimat das
ist, was man nicht hat, so habe ich
meine Heimat in einem doppelten Sinne verloren.“
Die Pole der
Erinnerung ist 2006 im Grupello Verlag erschienen. Im Dezember 2009 hat Werner Söllner, der Banater Schwabe,
von einer Münchner Bühne herab seine Spitzeltätigkeit für die Securitate publik
gemacht, was damals als ein durchaus ungewöhnliches Ereignis eingestuft wurde.
Heinz Czechowski († 21. Oktober) hat das öffentliche
Geständnis seines ebenfalls heimatlosen Freundes und Lektors nicht mehr mitbekommen. Erschüttert hätte es ihn nach so vielen
biografischen Erdbeben bestimmt nicht mehr.
Anton Potche
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