Montag, 10. April 2017

Zwei Bläserphilharmonien in concert


Zum Glück sendet BR-Klassik täglich um 11:55 Uhr einen Terminkalender mit Hinweisen auf an diesem Tag stattfindende „Konzerte, Ballettabende, Musicals, Opernaufführungen, Kinder- und Jugendkonzerte, Recitals und dergleichen mehr“, wie es auf der BR-Homepage zu diesem „täglichen Klassikplaner“ heißt. Und zum Glück lief am Samstag kurz vor Mittag in meinem Radio eine BR-Klassik-Sendung ab. Sonst hätte ich von dem Stelldichein der zwei Bläserphilharmonien in Ingolstadt erst nachträglich in einer eventuellen Konzertbesprechung aus der Zeitung erfahren. Der Moderator von BR-Klassik kündigte in erwähntem „Klassikplaner“ nämlich auch das Gemeinschaftskonzert des Stadtorchesters Ravensburg und der Audi Bläserphilharmonie auf der Festsaalbühne des Stadttheaters Ingolstadt an. Etwas verwundert über die, gelinde gesagt, lasche Werbung der Ingolstädter für dieses „Frühjahrskonzert“ begann ich, die sich an jedem Wochenende in meinem Postkasten anstauenden Veranstaltungsblätter zu studieren, und fand tatsächlich irgendwo einen kleingedruckten Hinweis auf dieses Konzert.

Der Saal war dann am Abend (19 Uhr) zwar nicht ausverkauft, aber trotz dieser verbesserungsbedürftigen Werbung gut besucht. Und die Gekommenen hatten nichts zu bereuen. Das Konzert war ein Gemeinschaftsprojekt der zwei Klangkörper und beinhaltete zwei Konzerte: am 2. April im Konzerthaus Ravensburg und eben am 8. April im Festsaal Ingolstadt.

Stadtorchester Ravensburg
Fotos: Anton Potche
Die Gäste hatten in der Donaustadt den Vortritt und präsentierten sich erstmals als ein voluminöses Bläserensemble mit reichlicher Perkussionsunterstützung und einem Kontrabass, der sich in letzter Zeit einen festen Platz in den sinfonischen Blasorchestern errungen hat. Die Ouvertüre The Cowboys von John Williams (*1932) offenbarte dann auch sofort, dass die Ravensburger mit einer so großen Bühne nicht vertraut sind. Die Temposchwankungen zwischen Links und Rechts waren einige Takte spürbar, wurden aber von dem erfahrenen Dirigenten und Träger des Titels „Städtischer Musikdirektor“, Harald Hepner, schnell aufgefangen und in eine gemeinsame Rhythmik gelenkt. Als Organisationsform ist das Stadtorchesters Ravensburg ein Verein und seine 1. Vorsitzende, Myriam Gompper (Klarinette), die zwischen den Stücken moderierte, wies auf die wichtige Anpassungsfähigkeit eines so großen Orchesters (ca. 70 Musiker) hin: „Unser Konzertsaal zu Hause ist viel kleiner als hier dieser moderne Saal.“

Und wie schnell und gut sich das Orchester den neuen Raumbedingungen anpasste, zeigte auch das nächste Stück: Ein Amerikaner in Paris von George Gershwin (1898 – 1937). Dieser Klassiker eignet sich sehr gut dazu, um Höchststufe-Orchester ihre Qualität unter Beweis stellen zu lassen; auch wenn das längst zum Ohrwurm gewordenen Hauptmotiv dem Solotrompeter schon mal die Röte ins Gesicht treibt. Das ist Arbeit, harte Arbeit, aber letztendlich auch gute Arbeit. Dazu gehört natürlich das Dirigat. Metrisch sehr präzise, besonders mit der rechten Hand, steuert Harald Hepner das sinfonische Orchester durch alle Unwegbarkeiten der Partitur. „Du, die sind gut“, flüsterte mir ein bekannter Sitznachbar zu – übrigens ein Audi-Musiker.

Recht hat er. Das war auch in dem folgenden Drei-Sätze-Werk East Coast Pictures von Nigel Hess (*1953) zu spüren. Wunderschöne Harmonieübergaben und –weiterleitungen von Holz zu Blech und zurück suggerieren dem Zuhörer eine vom Lärm verschonte Natur. In diesen in sich ruhenden Harmonien fühlt sich eine Trompetenballade sichtlich wohl. Wer sich dem Träumen hingegeben hat, wird aber dann spätesten nach dem zweiten (einige klatschten immer zwischen den Sätzen) Satz in das wirkliche Leben zurückgenommen. Aber nicht zu seinem Bedauern, denn das Orchester musizierte im dritten Satz mit viel Spielfreude und -witz. Sehr angenehm. Leider waren schon wieder 45 Minuten dahin und das Programm der Gäste aus Ravensburg zu Ende. Lange anhaltender Applaus. Und eine Zugabe gehört sich nun mal: Conga Del Fuego Nuevo von Arturo Marquez (*1950).

Audi Bläserphilharmonie
Nach der Pause präsentierten die Bläserphilharmoniker von Audi sich gewohnt sicher und qualitativ gut agierend auf heimischer Bühne. Was sie spielten war für die meisten der Konzertbesucher wahrscheinlich nicht neu. Aber weil Livemusik immer auch ein neues Hörerlebnis bedeutet, war der Auftritt der Audi Bläserphilharmonie auch dieses Mal ein Genusserlebnis.

Mit Alfred Reeds (1921 – 2005) The Hounds of Spring stand gleich ein Klassiker der sinfonischen Blasmusikliteratur auf dem Programm der Ingolstädter. Christian Lombardi zeigte sich an diesem Abend (auch das wie gehabt) nicht nur als sicher agierender Dirigent, sondern auch als das Publikum schnell für sich und sein Orchester einnehmender Moderator.

Im Programmheft für dieses Konzert wird der Komponist des zweiten Stückes, Bert Appermont (*1973), wie folgt zitiert: „Ich hoffe, dass die Nachwelt sagen wird, dass ich Musik geschaffen habe, die etwas ausdrückt und die jemanden bewegt. Für mich hat Musik die unerklärliche Möglichkeit, das Herz der Menschen zu erreichen und das Unaussprechliche auszusprechen.“ Dazu gehört leider nicht nur ausgelassene Freude sondern auch bedrückende Trauer. So eine Gefühlswallung vermittelt die Orchestersuite Saga Candida. Da ist dieser Trauermarsch mit dem Hauptmotiv für die Posaunen – sechs an der Zahl und mit Dämpfer. Kann Trauer schön sein? Hier kommt man wirklich auf diese verrückte Gegensätzlichkeit zwischen Subjekt und Adjektiv. Wie auch immer, zumindest mir ging das unter die Haut.

Beim dritten Programmpunkt ließ Christian Lombardi in seiner Anmoderation das Motiv des folgenden Stückes am Xylophon anklingen. Viele Zuhörer werden es erkannt haben, denn es ging ein zustimmendes Raunen durch den Saal: Harry Potter. Zum zweiten Mal erklang an diesem Abend ein Werk von John Williams: Harry Potter (Symphonic Suite – Der Stern der Weisen). Filmmusik. Das ist eine Kunstart, die sich oft wegen der Bilder, die sie untermalt, nicht im Bewusstsein und schon gar nicht in der Erinnerung der Menschen festsetzt. Sie gelangt erst bei ihrer konzertanten Aufführung voll zur Geltung. Der stürmische Applaus war auch bei diesem Konzert eine Bestätigung dieser Tatsache.

Natürlich ließ Christian Lombardi die Besucher nicht ohne Zugaben nach Hause gehen. Und er machte bei dieser Gelegenheit gleich Werbung in eigener Sache und dirigierte „zum Reinhören“ schon mal zwei Stücke, die beim nächsten Open Air im Rahmen der Audi Sommerkonzerte zur Aufführung gelangen. Freunde der Rock- und Popmusik können sich schon vorfreuen. Diese zwei Gattungen werden das Konzertprogramm der Audi Bläserphilharmonie für den Klenzepark (21. Juli 2017) bestimmen.
Anton Potche

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