Francisca Ricinski:
Als käme noch jemand – Lyrische Prosa und Erzählcollagen; POP-Verlag,
Ludwigsburg, 2013; ISBN 978-3-86356-074-4; 168 Seiten; € D [15,50], € A [15,90]
Würde mich jemand fragen, welches Buch ich ihm/ihr für den
Urlaub empfehlen würde, wäre dieses Buch nicht dabei. Würde mich aber jemand
nach einer zum nachdenken provozierenden Lektüre fragen, so hätte ich Als käme noch jemand im Angebot ...,
aber nicht als Preisnachlassartikel gedacht, sondern als Hirnschmalzanreger.
Also das ist keine literarische Massenware, was Francisca Ricinski hier für den Leser aufbereitet hat.
Das sind persönliche Empfindungen, die zu Vergleichen mit
der eigenen Empfindsamkeit führen können und dadurch Ablehnung oder
Befürwortung hervorrufen. So etwa der Umgang mit dem Alter. Wehe, wenn man alt
wird! Die Wenigsten bleiben besonnen „jenseits der Runzeln“, und wer schafft es
schon, ruhig und gelassen über das Ende des Alters zu philosophieren?
Lyrik ist fast immer schwierig. Erst dann lyrische Prosa.
Und gar Erzählcollagen, wie die Autorin sie ankündigt. Da hängen Zusammenhänge
nicht mehr zusammen. Sätze fließen, ja, stürzen wie ein Bergbach, der immer
neue Klippen zu überwinden hat. Und der Leser, der gutgesinnte, müht sich oft
ab wie die Forelle. Der gleichgültige oder gar verärgerte blättert weiter. Und
das kann sich durchaus lohnen. Überhaupt wenn man noch nicht jedweder
Selbstironie abhold ist und nachvollziehen kann, dass auch ein „zahnloses
Nachtgrinsen“ das Begehren – das sexuelle meine ich – nicht ausschließt.
„Geschichten, die sich selbst schreiben“, sind ... ja, man
muss es wohl sagen: brutal. Franciska
Ricinski klammert sie nicht aus, bei allen poetischen, oft auch ins
Surreale führenden Gedankenspielen dieses Buches. Und sie sind von
schockierender (aber unvermeidlicher) Körperlichkeit geprägt: „alternde
Brüste“, „wie oft du die Einlagen am Tag wechselst“, „Schluckauf- und
Furztöne“, „Alzheimer-Kranke“, „deine Zähne [...], wo du sie hinlegst“ u.s.w.
Danach spürt man sogar dann noch eine Erleichterung, wenn man auf Texte stößt,
aus denen man sich nur mit Mühe etwas zusammenreimen kann.
Die Form dieser lyrischen Prosa und Erzählcollagen ist kurz.
Da kommt es dann durchaus vor, dass man auch auf eine Poesie des Altwerdens in
einer anrührenden Epik trifft und es bereut, dass Kurzprosa eben kurz ist. Sie
hat in diesem Fall Nur eine Taste und
zwei Knöpfe und kommt in der Form eines die Kinderfantasie anregenden
Radios daher. Meine Gedanken flogen beim Lesen sofort zurück in mein banater
Dorf irgendwann in den 1960er Jahren und
an die alte Frau in der Nachbarschaft, die nicht begreifen konnte, dass die Menschen
auf dem Fernsehbildschirm nicht auch dort oben auf der Fernsehantenne
herumspringen. Schließlich hatte man ihr doch gesagt, dass das Geschehen in
diesem Kasten durch die Antenne komme.
So wirkt Literatur. Oder so kann Literatur wirken, auch wenn
sie sehr ichbezogen und teilweise sogar experimentell daherkommt. (Ich dachte
doch, Texte ohne Interpunktion würden längst der Vergangenheit angehören.) Auf
jeden Fall ist man immer neugierig, so „als käme noch jemand“. 79-mal kann man
diese Neugierde befriedigen. Dann hat man 165 Seiten (inklusive Nachwort und
Kurzkritiken – natürlich nur positive) hinter sich und ist zumindest um die
Erkenntnis reicher, dass man mit seinen Altersschrullen und sogar –ängsten
nicht alleine dasteht.
Wer diese Art meditativer, fabulierender und
philosophierender Literatur mag, ist bei Francisca
Ricinskis Kurzprosa gut aufgehoben. Ich bleibe ein Fan der erzählenden
Literatur, was dann auch in diesem Buch zu dem Bleistiftvermerk unter der
Erzählung Buchstaben wie Ameisen
führte: „Und dann kommt sie doch noch, die lineare Geschichte, eine
Heimkehrergeschichte.“ So wie ich sie eben liebe.
Anton Potche
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