Montag, 9. April 2018

Erinnerungen und hinkende Vergleiche

Dieser Film hat mich an meine Jugend erinnert: Die Freibadclique. Und wie immer, wenn die Erinnerungen sich hinter meiner Stirn breitmachen, begannen auch diesmal die Vergleiche verrückt zu spielen. Auch ich verbrachte meine Jugendjahre in einer Diktatur. Auch wir hatten ein Freibad, wir nannten es Strand, im Dorf. Auch dort traf sich so manche Jugendclique. Auch dort plusterten sich die Jungs auf wie die Pfauen. Ich gehörte dazu, ist doch klar. Und bildete mir natürlich ein, dass aller Mädchen Augen nur auf mich gerichtet waren. Wie schön es doch sein kann, in der Vergangenheit zu schwelgen. Wäre da nicht, die Nüchternheit, die früher oder später einsetzt. Sie ließ auch bei mir nicht lange auf sich warten.
 Fotoquelle: http://www.daserste.de/

Friedemann Fromm hat diesen Film nach dem Roman gleichen Titels von Oliver Storz (1929 – 2011) verfilmt. Die ARD hat die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt und damit (mir zumindest) bewiesen, dass meine Fernseh- und Rundfunkgebühren nicht (immer) für die Katz sind. Nüchtern betrachtet, lässt der Film (Erstausstrahlung am 28. März 2018 in der ARD) eigentlich kaum Vergleiche mit meiner Jugend zu. Und das, obwohl die fünf Jungs aus der Freibadclique genauso Spitznamen trugen, wie die Buben aus meinem Dorf. Im Film sind es Onkel (Jonathan Berlin), Bubu (Andreas Warmbrunn), Zungenkuss (Joscha Eißen), Hosenmacher (Laurenz Lerch) oder Knuffke (Theo Trebs). In dem Dorf meiner Kindheit und Jugend hießen solche aus der Pubertät wachsende Jungs Tschango, Scharka, Tschisko, Batzo, Zatza, Schnürchen, Jamaika usw. Aber damit sind die Vergleiche auch schon fast erschöpft. Besonders was die Rahmenbedingungen anbelangt.

Kommunismus versus Nationalsozialismus. Kalter Krieg versus Weltkrieg. Hier nach weiteren Vergleichen zu suchen, wäre vermessen. Und doch drängen sie sich auf, wenn man bedenkt, dass erste Liebeserfahrungen da wie dort im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend waren. Aber danach wird es wirklich eng mit den Gemeinsamkeiten. Die Jungen in einer schwäbischen Kleinstadt – ihre Sprache verrät untrügerisch ihre Heimat – gehören zum letzten Aufgebot des Führers. Sie leben in ständiger Angst, doch noch zur Waffen-SS einberufen zu werden. Da fühlen sich erste Liebeserfahrungen bestimmt anders an als meine oder die meiner Altersgenossen hinter dem Eisernen Vorhang im Südosten Europas. Schwaben hin oder her, ob aus dem Ländle oder dem Banat.

Die Freibadclique aus dem Schwäbischen muss doch noch in den Krieg. Und trifft sich dezimiert nach dem Einmarsch der Amerikaner wieder im Freibad. Drei haben überlebt. Beschädigte Biografien. Und dann wieder der aufdringliche Vergleich. Nein, die Gegensätze können nicht größer sein und überwiegen. Auch in meinem Freibad, an meinem Strand, wurden die Cliquen von Mal zu Mal kleiner. Ihre Mitglieder überwanden den Eisernen Vorhang (oft unter Lebensgefahr), um dorthin zu gelangen, wo die schwäbelnden Jungs einst vom 10-m-Turm sprangen. Klingt nach einer Gemeinsamkeit. Ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass die einen zum sinnlosen Sterben getrieben wurden (der Film lässt hier keine Zweifel offen), während die anderen todesmutig die Westgrenze Rumäniens überwanden (was leider nicht immer gelang) oder sich aus der kommunistischen Diktatur freikauften. Freiwillig!

Die Freibadclique bleibt auch mit drei Mitgliedern nach dem Krieg bestehen. Doch die Nachkriegszeit in Deutschland ist nur bedingt ungefährlicher als die Kriegszeit. Auch sie wird von starken Gefühlen, Erotik und Freundschaft, geprägt und verlangt noch ein Opfer, wo doch die Waffen längst schweigen. Der Film beginnt mit dem Blick in ein intaktes Klassenzimmer eines Gymnasiums. Und er endet mit dem gleichen Blick am ersten Schultag nach dem Krieg. Ein Antonym von intakt wäre (in diesem Fall) wohl partiell. In einem partiellen Klassenzimmer bleiben viele Sitzhocker leer.

Auch die Cliquen an meinem Strand gibt es nicht mehr. Aber zwischen der Freibadclique und den Strandcliquen liegen heuer immerhin 73 Jahre und einige Mitglieder Letzterer treffen sich wahrlich noch ab und zu bei der einen oder anderen Jahrgangszusammenkunft.

Was Oliver Storz niedergeschrieben und Friedemann Fromm auf die Leinwand gebannt hat, ist klassische Antikriegsliteratur und -film. Zumindest eins von beiden sollte man sich nicht entgehen lassen. Es sind die Gefühle unserer Großväter und Großmütter und – wer hätte das gedacht – sogar teilweise unsere eigenen. Zumindest solange uns die Erinnerung noch nicht abhanden gekommen ist.

Die Freibadclique – Drehbuch & Regie: Friedemann Fromm, Musik: Annette Focks, Produktion: Marc Müller-kaldenberg, Darsteller: Jonathan Berlin, Theo Trebs, Andreas Warmbrunn, Laurenz Lerch, Joscha Eißen u. a. 

Anton Potche

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen