Montag, 3. September 2018

Zeuge und Mitgestalter einer aufregenden Zeit

Friedrich Christian Delius: Als die Bücher noch geholfen haben – Biografische Skizzen; Rowohlt Taschenbuch Verlag; Reinbek bei Hamburg, 2014; ISBN 978-3-499-26782-6; 336 Seiten; 9,99 €

Friedrich Christian Delius wurde „wenige Tage nach dem Ende der Schlacht von Stalingrad nicht weit vom Vatikan in das warme Frühlingslicht von Rom geboren“ und sagte als 10-Jähriger von sich, er wäre von Beruf Dichter. Korrekt. Denn es liegt ein literarisches Œvre von Delius vor, das jeden Zweifel an seinem Dichtersein zunichte macht. Und er ist noch mehr: Prosator und Autobiograf. Ja, er war noch mehr: Lektor, Verleger, politischer Aktivist und stets aktives Zahnrad – nicht Rädchen – im deutschen Literaturbetrieb, besonders als es derer noch zwei gab, in der BRD und in der DDR.

Das war eine aufregende Zeit, die 60er und 70er Jahre. Auch für einen wie F. Ch. Delius, der zwar aktiv am künstlerischen Leben teilnahm, aber seinem Naturell entsprechend die „Dialog-, Team- oder Kollektivkünste“ mied und dafür „die freiste, die extremindividuelle Disziplin“ vorzog, die Literatur. Das schützte aber auch ihn nicht vor Konflikten. Die Auseinandersetzungen, wahre linke Strömungskämpfe auf geistiger Ebene, im Klaus-Wagenbach-Verlag sind nicht wegzudenken aus der deutschen Literaturgeschichte. Ebenso die literarischen Kontakte über die Berliner Mauer hinweg mit all ihren Glücksmomenten und auch Enttäuschungen.

1973 gründeten „sieben Freunde der Kollektivverfassung“, die sich keine gemeinsame Zukunft mit Klaus Wagenbach mehr vorstellen konnten – der Verleger war ein Sympathisant der RAF -, einen neuen Verlag, den Rotbuch Verlag, von dem Mitbegründer F. Ch. Delius in seinen autobiografischen Skizzen sagt: „Trotz oder wegen der Lektoratsverfassung ist hier einer der wichtigen Verlage für osteuropäische Dissidenten (etwa Carmen Francesca Banciu, György Dalos, Miklós Haraszti, Adam Michnik, Christian Skrzyposzek, Richard Wagner) entstanden und der erste Verlag, der die Literatur der Migranten wie Aras Ören, Emine Özdamar und Feridun Zaimoglu ernst genommen hat.“

Das war mal wieder einer dieser Sätze, der mich bewog, in meinem Bücherregalnachzuschauen. Und wirklich, da stehen mehrere Rotbuch-Bücher. Stellvertretend seien nur zwei genannt: Herta Müller: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt (1986) – da lebte die Autorin noch in Rumänien – und Rolf Bossert: Auf der Milchstraße wieder kein Licht (1986) – da war der Dichter schon ca. sechs Monate tot.

Wie es zu dieser Situation überhaupt kommen konnte, erläutert F. Ch. Delius in einem extra Kapitel: Der Temeswarer Fisch und ein gewisses Glück. An diesem Tisch saß der bundesdeutsche Autor und Verleger im Frühjahr 1983, als er „noch nicht mal den Unterschied zwischen Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen“ kannte. Wie fruchtbar die damals geknüpften Kontakte waren, ist heute bekannt. Aus der Erinnerung gefallen oder vielleicht auch nie öffentlich bekannt gewesen ist ein Aspekt, auf den Delius hier hinweist: „Welche Schwierigkeiten, Erpressungen und Drohungen mit der Vorbereitung dieser Publikation verbunden waren, hätte sich niemand im Westen vorstellen können.“ (Der Autor bezieht sich auf Herta Müllers Niederungen im Rotbuch Verlag, 1984).

Das ist nur eine sehr interessante und auch folgenträchtige Episode aus dem bewegten Leben des deutschen Literaturschaffenden Friedrich Christian Delius. Und bestimmt auch nicht die wichtigste – ich denke an seine Erfahrungen aus der Gruppe 47 und die Prozesse mit Siemens und Horten -, aber eine, die einem Leser mit Banater Wurzeln durchaus verdeutlichen kann, dass auch die deutsche Regionalliteratur seiner Jugendjahre längst Teil der gesamtdeutschen Literatur, also des literarischen Schaffens im deutschen Sprachraum, geworden ist. Dass für eine solche Entwicklung Namen standen, zeigt schon das von Frank Pöhlmann diesen Skizzen angehängte Namensregister. Diese Namen bewogen mich eines Tages beim Schmökern in einer Buchhandlung dazu, dieses Buch überhaupt zu kaufen. Darum sollen sie hier auch erwähnt werden: Aharon Appelfeld, Carmen Francesca Banciu, Nicolae Ceaușescu, Paul Celan, Edgar Hilsenrath, Oskar Pastior, Dieter Schlesak, Paul Schuster, Richard Wagner, Ernest Wichner sowie die bereits oben erwähnten Herta Müller und Rolf Bossert.
Anton Potche

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen