Montag, 21. Januar 2019

Um ein Schrebergartenbuch amüsant zu finden, muss man keinen Schrebergarten haben

Wladimir Kaminer: Mein Leben im Schrebergarten; (Mit Zeichnungen von Vitali Konstantinov); Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2007; ISBN 978-3-442-54270-3; Taschenbuch, 224 Seiten; € 7,95 (D), € 8,20 (A)

Nun hat man ja schon von ihm gehört: Wladimir Kaminer, ein in Berlin mit Frau und zwei Kindern lebender Russe, der deutsche Bücher schreibt und damit die (zumindest zeitgenössische) deutsche Literatur bereichert. Und das vor allem mit seinem hinterfotzigen, aber den Anvisierten immer mit spürbarer Sympathie zugeneigten Humor.

Mein Leben im Schrebergarten ist eines dieser Kaminer-Bücher. Echt verschroben und trotzdem sehr lebensnah. Du liest oft einen ganz normalen Satz, der auch in einem ernsten, meditativen Text Platz hätte, und beginnst vor dich hinzukichern. Man hat bei ihm, Kaminer, einen Text vor sich, der stilistisch eingeordnet „der Romanform in manchem überlegen ist“, wie in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mal zu lesen war.

Wie wahr! Kaminers Leben im Schrebergarten  beginnt in der Parzelle 118 mit der Ankündigung: „Die Russen kommen“. Frau Pflaume war die bisherige Besitzerin und nach dem Tod ihres Mannes ergab sich die Gelegenheit für die Familie Kaminer, Schrebergartenbesitzer oder –pächter (das geht nicht so genau aus dem Text hervor) zu werden. Der erste Eindruck des Gartens war überwältigend: „Auf einer relativ kleinen Fläche von zweihundertvierzehn Quadratmetern hatten hier zwei Menschen versucht, das Paradies im Maßstab 1:1.000.000 auf Erden zu errichten, und das mit Erfolg.“

Schrebergarten heißt aber mehr als Grillen. Seine Pflege kann nämlich Unerträgliche Schmerzen im ganzen Körper hervorrufen. Kaminers lakonische Ironie bleibt nicht nur an den anderen Schrebergärtlern hängen, sondern richtet sich oft gegen die eigenen Schrullen, die oft auch im Reich der Fantasie reüssieren: „Ich nahm mir vor, irgendwo im Internet dieses Kleingartenschwachsinngesetz zu finden, es zu studieren, zur nächsten Vollversammlung zu gehen und ein Gesetz vorzuschlagen, wonach jeder in seinem Garten pflanzen darf, was er will, wann er will und wo er will.“ Also so ist das?

Zwischendurch gibt es dann sogar einen kulturhistorischen Ausflug in die Schrebergartenentstehungsgeschichte, der in Notizen zum Schrebergartenroman mündet und sogar die poetischen Hirnzellen des Autors aktiviert. Das Gedicht Ode an eine Hummel und eine Raupe oder Schnecke wird wohl in Zukunft in keiner deutschen Poesieblumenlese fehlen. Also da bin ich mir ganz sicher. Wie auch der Rhabarber aus keinem   anständigen Schrebergarten fehlen darf. So auch in der Schrebergartenkolonie „Glückliche Hütten“, die vor der Wende in „Glückliche Hütten I“ und „Glückliche Hütten II“ aufgeteilt war. Und das aus dem einfachen Grund, weil sie von der Berliner Mauer getrennt waren, was dazu geführt hatte – wie Frau Beere den neuen Nachbarn erzählte -, dass „die Bewohner der >Glücklichen Hütten I< damals keine Leitern im Garten besitzen durften, die höher waren als ein Meter zwanzig, und wegen der Fluchtgefahr auch nicht zu tief graben durften“.

Der Sinn des Lebens. Ja, worin mag der wohl liegen? Kaminer als Leser philosophischer Schriften. „Garten-Philosophie“ nennt er das. Und die führte schnell zu der erleuchtenden Erkenntnis: „Erst nachdem ich ein paar Titel aus dem Regal geholt hatte, wurde mir klar, dass es hier um eine andere Sphäre menschlichen Schaffens ging.“

Philosophie kann auch Folgen haben. Das Alter Ego Kaminers – wer könnte hier schon Fiktion und Realität auseinanderhalten - berauschte sich an Henry Thoreaus Leben in den Wäldern und zog um in den Schrebergarten. So einfach geht das.

Mein Leben im Schrebergarten heißt nicht nur das Buch, sondern auch ein Kapitel, und man sollte es lesen, um eine Antwort auf die spannende Frage zu bekommen, wer es wohl länger in der freien Natur, falls man einen Schrebergarten unmittelbar an einer Bahnlinie überhaupt dazu zählen kann, ausgehalten hat. Was ein Hummelrap ist, sollte man sich ebenfalls nicht entgehen lassen. Seine Entstehungsgeschichte und er selber, der Rap, sind hier in diesem Werk verewigt.

Günther Grass ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Aber nicht weil sein Namensvetter ohne h im Vornamen Nobelpreisträger, sondern er Mitglied in der „Glücklichen Hütte“ war. Er stammte „wie die meisten Ur-Berliner eigentlich aus Görlitz und gab sich gern nach außen als Arschloch, war aber in seinem Inneren ein netter, hilfsbereiter, sentimentaler und etwas verklemmter Frührentner mit einer komplizierten Biographie und einem gebrochenen Herzen“.

Trotz solcher sympathischer Nachbarn hieß es auch mal, den geliebten Schrebergarten zu verlassen. Der Weg aus der Berliner Schrebergartenidylle führte die Kaminers auf eine „volkstümliche Erkundungsreise zu [des Autors?] Schwiegermutter, die auf der nördlichen Seite der gewaltigen kaukasischen Gebirgskette in einem großen Schrebergarten wohnt“. Kaminer wird hier zum echten Anthroposophen. Lustig. Auch wenn’s oder gerade weil es an eine Welt so weit entfernt von unseren deutschen Alltagsvorstellungen erinnert. Auf eine Frage nach eventuellen Geschenken für die lieben Verwandten traf die Antwort aus dem „kaukasischen Garten“ schneller als erwartet in Berlin ein: „Georgij Ivanowitsch wünschte sich einen neuen Motor für seinen Betonmischer und Munition für zwei deutsche Maschinengewehre“.

Der Autor serviert dem Leser auch noch andere gegensätzliche, aber immer mit einer Brise Humor gesalzene Erlebnisse aus dem heimischen Schrebergarten, wie auch aus Moskau und von Ibiza. Nein, es fehlt wahrlich nicht an Kontrasten in diesem Buch. Wohin mit den vielen Äpfeln? Das ist wahrscheinlich eine schrebergartenspezifische Frage. Ihr werden in diesem Buch eineinhalb Kapitel gewidmet.  Und sogar der Tod kommt zu seinem Recht. Lulu ist tot. Das Meerschweinchen. Aber auch die vielen Fruchtfliegen. Der Herbst geht zur neige. Der Winter steht vor der Tür. Und die „alljährliche Vollversammlung der Kleingartenkolonie – ein Spiegel unserer Gesellschaft“ beendet wieder mal ein Schrebergärtner/innen-Jahr.

Als Fazit dieser Buchbesprechung soll Herr Krauses Blick in die Zukunft (aus dem Kapitel Deutschland aus Porzellan) wiedergegeben werden: „ Die kulturelle Rückständigkeit lässt sich durch den Fortschritt nicht bekämpfen. Selbst wenn morgen fremde Planeten erobert und besiedelt werden müssen, hätte man spätestens in einem Jahr den ersten Schützenverein auf dem Mars und irgendwelche traditionsbewussten Bayern oder Niedersachsen, die mit Holzgewehren und Schnapsflaschen von Krater zu Krater marschieren.“ Und natürlich Schrebergärten anlegen!

Zu diesem, Schluss wird jeder kommen, der dieses Buch des Wladimir Kaminer, Mein Leben im Schrebergarten, liest. Das meint hier einer, der nie einen Schrebergarten hatte und auch keinen haben wird.

Anton Potche

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