Wladimir Kaminer:
Mein Leben im Schrebergarten; (Mit Zeichnungen von Vitali Konstantinov);
Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2007; ISBN 978-3-442-54270-3; Taschenbuch,
224 Seiten; € 7,95 (D), € 8,20 (A)
Mein Leben im
Schrebergarten ist eines dieser Kaminer-Bücher. Echt verschroben und
trotzdem sehr lebensnah. Du liest oft einen ganz normalen Satz, der auch in
einem ernsten, meditativen Text Platz hätte, und beginnst vor dich
hinzukichern. Man hat bei ihm, Kaminer,
einen Text vor sich, der stilistisch eingeordnet „der Romanform in manchem
überlegen ist“, wie in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mal zu lesen war.
Wie wahr! Kaminers
Leben im Schrebergarten beginnt in der Parzelle 118 mit der Ankündigung: „Die Russen kommen“. Frau Pflaume
war die bisherige Besitzerin und nach dem Tod ihres Mannes ergab sich die
Gelegenheit für die Familie Kaminer,
Schrebergartenbesitzer oder –pächter (das geht nicht so genau aus dem Text
hervor) zu werden. Der erste Eindruck des Gartens war überwältigend: „Auf einer
relativ kleinen Fläche von zweihundertvierzehn Quadratmetern hatten hier zwei
Menschen versucht, das Paradies im Maßstab 1:1.000.000 auf Erden zu errichten,
und das mit Erfolg.“
Schrebergarten heißt aber mehr als Grillen. Seine Pflege
kann nämlich Unerträgliche Schmerzen im
ganzen Körper hervorrufen. Kaminers
lakonische Ironie bleibt nicht nur an den anderen Schrebergärtlern hängen,
sondern richtet sich oft gegen die eigenen Schrullen, die oft auch im Reich der
Fantasie reüssieren: „Ich nahm mir vor, irgendwo im Internet dieses
Kleingartenschwachsinngesetz zu finden, es zu studieren, zur nächsten
Vollversammlung zu gehen und ein Gesetz vorzuschlagen, wonach jeder in seinem
Garten pflanzen darf, was er will, wann er will und wo er will.“ Also so ist
das?
Zwischendurch gibt es dann sogar einen kulturhistorischen
Ausflug in die Schrebergartenentstehungsgeschichte, der in Notizen zum Schrebergartenroman mündet und sogar die poetischen Hirnzellen
des Autors aktiviert. Das Gedicht Ode an
eine Hummel und eine Raupe oder Schnecke wird wohl in Zukunft in keiner
deutschen Poesieblumenlese fehlen. Also da bin ich mir ganz sicher. Wie auch
der Rhabarber aus keinem anständigen Schrebergarten fehlen darf. So
auch in der Schrebergartenkolonie „Glückliche Hütten“, die vor der Wende in
„Glückliche Hütten I“ und „Glückliche Hütten II“ aufgeteilt war. Und das aus
dem einfachen Grund, weil sie von der Berliner Mauer getrennt waren, was dazu
geführt hatte – wie Frau Beere den neuen Nachbarn erzählte -, dass „die Bewohner
der >Glücklichen Hütten I< damals keine Leitern im Garten besitzen
durften, die höher waren als ein Meter zwanzig, und wegen der Fluchtgefahr auch
nicht zu tief graben durften“.
Der Sinn des Lebens.
Ja, worin mag der wohl liegen? Kaminer
als Leser philosophischer Schriften. „Garten-Philosophie“ nennt er das. Und die
führte schnell zu der erleuchtenden Erkenntnis: „Erst nachdem ich ein paar
Titel aus dem Regal geholt hatte, wurde mir klar, dass es hier um eine andere
Sphäre menschlichen Schaffens ging.“
Philosophie kann auch Folgen haben. Das Alter Ego Kaminers – wer könnte hier schon
Fiktion und Realität auseinanderhalten - berauschte sich an Henry Thoreaus Leben in den Wäldern und zog um in den Schrebergarten. So einfach
geht das.
Mein Leben im Schrebergarten
heißt nicht nur das Buch, sondern auch ein Kapitel, und man sollte es lesen, um
eine Antwort auf die spannende Frage zu bekommen, wer es wohl länger in der
freien Natur, falls man einen Schrebergarten unmittelbar an einer Bahnlinie
überhaupt dazu zählen kann, ausgehalten hat. Was ein Hummelrap ist, sollte man sich ebenfalls nicht entgehen lassen.
Seine Entstehungsgeschichte und er selber, der Rap, sind hier in diesem Werk
verewigt.
Günther Grass ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Aber nicht
weil sein Namensvetter ohne h im Vornamen Nobelpreisträger, sondern er Mitglied
in der „Glücklichen Hütte“ war. Er stammte „wie die meisten Ur-Berliner
eigentlich aus Görlitz und gab sich gern nach außen als Arschloch, war aber in
seinem Inneren ein netter, hilfsbereiter, sentimentaler und etwas verklemmter
Frührentner mit einer komplizierten Biographie und einem gebrochenen Herzen“.
Trotz solcher sympathischer Nachbarn hieß es auch mal, den
geliebten Schrebergarten zu verlassen. Der Weg aus der Berliner Schrebergartenidylle
führte die Kaminers auf eine
„volkstümliche Erkundungsreise zu [des Autors?] Schwiegermutter, die auf der
nördlichen Seite der gewaltigen kaukasischen Gebirgskette in einem großen
Schrebergarten wohnt“. Kaminer wird
hier zum echten Anthroposophen. Lustig. Auch wenn’s oder gerade weil es an eine
Welt so weit entfernt von unseren deutschen Alltagsvorstellungen erinnert. Auf
eine Frage nach eventuellen Geschenken für die lieben Verwandten traf die
Antwort aus dem „kaukasischen Garten“ schneller als erwartet in Berlin ein:
„Georgij Ivanowitsch wünschte sich einen neuen Motor für seinen Betonmischer
und Munition für zwei deutsche Maschinengewehre“.
Der Autor serviert dem Leser auch noch andere
gegensätzliche, aber immer mit einer Brise Humor gesalzene Erlebnisse aus dem
heimischen Schrebergarten, wie auch aus Moskau und von Ibiza. Nein, es fehlt
wahrlich nicht an Kontrasten in diesem Buch. Wohin mit den vielen Äpfeln? Das
ist wahrscheinlich eine schrebergartenspezifische Frage. Ihr werden in diesem
Buch eineinhalb Kapitel gewidmet. Und
sogar der Tod kommt zu seinem Recht. Lulu ist
tot. Das Meerschweinchen. Aber auch die vielen Fruchtfliegen. Der Herbst
geht zur neige. Der Winter steht vor der Tür. Und die „alljährliche
Vollversammlung der Kleingartenkolonie – ein Spiegel unserer Gesellschaft“
beendet wieder mal ein Schrebergärtner/innen-Jahr.
Als Fazit dieser Buchbesprechung soll Herr Krauses Blick in
die Zukunft (aus dem Kapitel Deutschland
aus Porzellan) wiedergegeben werden: „ Die kulturelle Rückständigkeit lässt
sich durch den Fortschritt nicht bekämpfen. Selbst wenn morgen fremde Planeten
erobert und besiedelt werden müssen, hätte man spätestens in einem Jahr den
ersten Schützenverein auf dem Mars und irgendwelche traditionsbewussten Bayern
oder Niedersachsen, die mit Holzgewehren und Schnapsflaschen von Krater zu
Krater marschieren.“ Und natürlich Schrebergärten anlegen!
Zu diesem, Schluss wird jeder kommen, der dieses Buch des Wladimir Kaminer, Mein Leben im Schrebergarten, liest. Das meint hier einer, der nie
einen Schrebergarten hatte und auch keinen haben wird.
Anton Potche
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