Mittwoch, 19. Juni 2019

Poetry-Slam-Zitate

Austragungsort des Poetenwettstreits: Donaubühne im Klenzepark zu Ingolstadt
Zeit: 15. Juni 2019; 19:30 Uhr
Moderation: Kevin Reichelt
Zuschauer: ca. 1500 (laut Veranstalter)
Anzahl der Poeten: 8
Anzahl der Juroren: 5
Die Reihenfolge der Auftritte wird per Los festgelegt.
Notenvergabe: Die jeweils kleinste (1) und größte Note (10) werden gestrichen, die Summe der restlichen drei ergibt die Bewertungsnote des Poeten. (Bei mehreren gleichen Höchst- oder Niedrigstnoten wird nur jeweils eine gestrichen.)
Austragungsmodus: zwei Runden mit je vier Konkurrenten. Dazwischen eine Pause. Die bestnotierten Poeten (unabhängig von der Runde) bestreiten anschließend ein Poeten-Duell. Der Sieger wird von der Zustimmungslautstärke des Publikums erkoren.
Eintritt frei

Kevin Reichelt
Von Organisator und Moderator Kevin Reichelt erklärte Spielregeln des Poetenwettstreits: „Regel Nr. 1 – selbst verfasste Texte; Regel Nr. 2 – unser Zeitlimit, das sind 5 Minuten 30, und nach 5 Minuten 30, die , die schon mal da waren, wissen, was dann passiert, dann komm ich und mach ein bisschen Schmarrn und dann hat der Slamer oder die Slamerin so ungefähr noch 30 Sekunden Zeit, um den Text zu beenden, eher 15, aber wir sind heute bisschen faier und es ist auch okay, wenn‘s noch ‘ne halbe Minute dauert; Regel Nr. 3 – keine Requisiten, keine Kostüme, keine Instrumente, das Einzige, was hier zählt ist der Text, das Textblatt darf mitgenommen werden und eben der Poet, die Poetin selbst, alles andere ist verboten; Regel 4 – die sag‘ ich mittlerweile dazu, es ist zwar auf dieser Bühne eigentlich textmäßig alles erlaubt, aber wenn es um Fremdenfeindlichkeit oder Menschenhass oder Rassismus oder Sexismus geht, dann werden wir da einhacken und wer dann kommt mit das ist Meinungsfreiheit, dem sag ich dann einfach nur, dass Menschenfeindlichkeit oder Fremdenfeindlichkeit keine eigene Meinung ist, sondern einfach Scheiße ist. Und Regel Nr. 5 – die müsst Ihr beachten, und die heißt nämlich respected power, wenn hier jemand redet, sei es Poet, Poetin oder Moderator, so ungerne Ihr mich auch möcht, ist mir egal, dann ist bitte, bitte Ruhe.“

Dann liest Kevin Reichelt zum Einstieg noch einen selbst verfassten Text mit, wie zum Schluss bekundet, autobiographischem Hintergrund – schließlich ist man ja Slampoet mit Leib und Seele -, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt: […] "Das Leben ist nicht fair, das Leben ist nicht … fuck … Im Wohnzimmer sitzt er jahrelang zwischen den Stühlen. Irgendwann muss er mit ansehen, wie die Geschwister rausgeschmissen werden. Er ist dreizehn, und er muss bleiben. Hingezogen zum Vater wie jeder Junge, weil er sich Anerkennung erhofft, und zugewandt zur Mutter, weil er sich Liebe und Vertrauen wünscht. An beiden Fronten kämpft er vergebens. Als kleines Kind greift man eben nach Mamas und Papas Hand, doch Papas Hand ballt sich zur Faust und Mama schützt ihr Gesicht und als der Junge seine Hand ausstreckt, ist da … nichts. Mutter bleibt, Vater schlägt, irgendwann trinken beide. Eines Nachts geht der Vater auf ihn los, mit dem Küchenmesser in der Hand, grundlos. Die Mutter sitzt daneben, regungslos, es passiert nichts." […]
Peter Parkster

Peter Parkster (Ingolstadt), fränkischer Meister 2014: "Dieser Text spielt in meiner WG. Es wird schon langsam dunkel, als Thomas mit Jacke und Stiefel in die WG kommt. >Wir müssen was tun, Leute<, sagt er aufgeregt, >die Lage ist ernst<. Sofort sind Michael, Tobi und ich in Allarmstimmung und jeder geht in Gedanken die schlimmstmögliche Situation durch, die er sich vorstellen kann. Michael vermutet, seine katholische Freundin hat seine Fetischmagazine gefunden, Tobi erwartet, dass gleich ein Antidrogenkommando der Polizei die Bude stürmt und das Kokain findet, von dem er nicht einmal uns erzählt hat, und ich stelle mich auf das Schlimmste ein, das ich mir vorstellen kann, dass niemand mehr zu uns […] kommen will. Sofort entwerfe ich im Kopf Strategien, wie man einen Besucherschwund vermeiden könnte, und obwohl ich lange und angestrengt nachdenke, schafft es auf meine Liste nur ein Punkt: Kuchen." […]

Für diesen Vortrag gab‘s von der Jury 25,5 Punkte. „Applaus für Peter, nicht für die Wertung“. (Originalton Reichelt).

Korbinian Schmid
Korbinian Schmid (München): "Ich sitze in meiner Wohnung und beschließe, ab sofort keine eigene Meinung mehr zu haben. Viel zu viele Menschen haben heutzutage eine Meinung … und meistens ist es auch noch die falsche. Drum tu ich jetzt gar nichts mehr … außer sitzen. Um zu sitzen braucht man keine Meinung. Das sieht man am Bundestag. Da werden Menschen bezahlt, um zu sitzen und keine fundierte Meinung zu haben." […]

Für diesen Vortrag gab‘s von der Jury 23,5 Punkte. „Applaus für Korbinian, nicht für die Wertung“.

Barbara Gerlach
Barbara Gerlach (Nürnberg): "Ich habe einen Fehler begangen, ich war beim  Friseur. Nun gut, das allein ist jetzt noch nicht so tragisch, aber ich habe es nicht lassen können, mir dort einige Frauenmagazine durchzublättern. Dabei stieß ich auf ein Quiz mit dem Titel Sind sie gut im Bett - Welches Tier entspricht ihrem Sextrieb? Da genau diese Frage mich schon immer beschäftigte, arbeitete ich das Quiz geflissentlich durch und zählte die Punkte zusammen. Mein Ergebnis lautete wie folgt: Das Tier, das Ihnen am meisten entspricht, ist der Panda. Pandas haben fast kein Sex. Sie essen lieber. Wenn sie nicht schlafen, hocken sie fast die ganze Zeit auf ihrem Hinterteil und stopfen laut schmatzend Blätter in sich hinein. Der Panda ist zwar echt scheiße, aber für die selbstbewusste Frau ab … 90 ist der Sextrieb des Pandas vollkommen ausreichend. Dieses Ergebnis war für mich so ein Schock, dass mir fast meine Notfall-Familien-Pitza aus der Hand gefallen wäre. Scheiße, dachte ich, wenn ich daran nicht arbeite, verlässt mich mein Freund doch hundert prozentig. Wer will schon mit einem doofen, ständig fressenden, sexuell desintressierten, Bambus mampfenden, langweiligen Möchtegernbären zusammen sein?" […]

Für diesen Vortrag gab‘s von der Jury 23,5 Punkte. Applaus für Barbara, nicht für die Wertung."

Philipp Potthast
Philipp Potthast (München), Bayerischer Meister 2019: "Ich bin Philipp und wenn ich nicht gerade auf Poetry-Slam-Bühnen stehe, dann studiere ich Jura. Und was soll ich sagen zu Jura, das ist jetzt nicht unbedingt der allersympathischste, coolste Studiengang, sag ich mal. Also es ist so, wenn mich Elektrotechniker in der Mensa sehen, dann sagen sie: >du Opfer<. Das ist der Coolnesgrad, den mal als Jurastudent hat, und das hat einen Grund zum Teil, und  zwar versuchen Jurastudenten, immer die ganze Zeit so megastrukturiert rüberzukommen, so als wären sie megaorganisiert. Also es ist so, ich habe Kommilitonen, die schicken in WhatsApp-Gruppen, die wir haben, wirklich morgens um 8 regelmäßig ein Selfie von sich in der menschenleeren Bütt und schreiben so drunter: Erster. Das ist so der Style bei uns. Und bei mir ist es so: Ich bin leider nicht so strukturiert und deswegen setzt mich das ganze sehr unter Druck, tatsächlich, dass alle so nach außen tragen, wie strukturiert sie sind. Und deswegen hab ich, um damit umzugehen, einen Text geschrieben, in dem ich mich in jemand, der ein so strukturiertes, organisiertes Leben führt, hineinversetze. Und der Text geht folgendermaßen: „Egal wohin ich mich bewege / wo ich steh, wo ich sitz, / seh‘n mich die Leute an / mit Widerwille und Eckel im Blick. / Und wenn mich einer von denen / aus nächster Nähe erwischt, / dann sagt er, geh mir aus dem Weg, / du dummes Penisgesicht. / Doch ist okay, dass die mich schmähen, / ich versteh‘, wie das ist, / denn ich hab das, was sie nicht haben, / mein Leben im Griff / denn ich bin ordentlich und pünktlich, / immer sorgsam und vernünftig, / lese meine Mails regelmäßig, / aufmerksam und gründlich. / Ich bin einfach der Shit. / Wenn ich einkaufe, dann nehm‘ ich, / statt ‘ne Tüte dort zu kaufen von daheim eine mit. / Ich versäume keine Frist. / Hab noch nie geraucht, / doch stets ‘ne Packung Streichhölzer dabei, / falls wer sein Feuerzeug vergisst." […] (Vorgetragen im Rapper-Stil.)

Für diesen Vortrag gab‘s von der Jury 28,5 Punkte. „Applaus für Philipp, nicht für die Wertung."

Pause mit längerem Stromausfall!

Dominik Neumayr
Dominik Neumayr (Ingolstadt): "Man kennt das ja, man wacht morgens nebeneinander auf und während man noch schlaftrunken kaum aus den Augen sieht, hört man neben sich eine verführerische Stimme fragen: Möchten wir noch gemeinsam frühstücken oder brunchen? Auf solch eine verlockende Frage kann es natürlich nur eine Antwort geben: >Nein, will ich nicht, ich hasse nämlich Frühstücken und Brunch, Brunch hasse ich erst recht. Was soll denn das überhaupt sein? Ein weniger Kompromiss. Sag mir noch einmal das Brunche und ich beiß‘ dir deinen Finger.< Meistens bin ich für diese Hasstirade morgens zu müde und es kommt nur ein >Prr, ne<. Grundsätzlich ist mir der Sinn eines Frühstücks ja bekannt. Nicht bekannt ist mir jedoch, warum man gemeinsam frühstücken sollte oder noch schlimmer, warum man sich dafür extra treffen sollte in einem dieser ekelhaften Hipster-Cafés." […]

Für diesen Vortrag gab‘s von der Jury 22,5 Punkte. „Applaus für Dominik, nicht für die Wertung."

Bumillo
Bumillo (München), Stand-Up-Comedian, Kabarettist, Bayerischer Vizemeister 2014, Deutscher Teammeister 2009: "Hei, ich hab was Krasses entdeckt im Supermarkt, es gibt jetz neies Wasser, ich woaß net, ob des schon jemand von eich trunken hat, es gibt jetz Smartwater, weil man kennt des, man trinkt Leitungswasser, es is super gegen den Durscht, aber es is so bisschen dumm. Leitungswasser is so dumm, des is nicht der Lifestyle, den wir ham meechten 2019, und drum gibt’s jetz Smartwater und des hat n‘en fantastischen Slogen vorne auf der Flaschen und zwar: Inspired by clouds. >Von Wolken inspiriert.< Un ich han mer denkt, was hoaßt des, ja?, Wasser inspired by clouds, is des aus der Dachrinne gefischt, hei, >Wasser inspired by clouds< is wie >Milch inspired by cows<, oder, wenn Vater und Sohn denselben Vornahmen haben, >Klaus inspired by Klaus<, und das allercoolste is, Smartwater gibt’s in Still und mit Sprudel, also sparkling, und damit jeder checkt, he, was bedeutet das eigentlich, sparkling, steht hinten auf der Flasche die Bonuszeile: Eleveted by tiny bubbles. Ingolstadt, ohne Scheiß! Eleveted by tiny bubbles! Und ich hab mich vuil mit Sprache beschäftigt in meim Leben, ja?, und Eleveted by tiny bubbles is die coolste, ästhetischste und poetischste Formulierung für‘n >Furz in der Badewanne ever<." […]

Für diesen Vortrag gab‘s von der Jury 29,0 Punkte. „Applaus für Bumillo, nicht für die Wertung."

Eberhard Kleinschmidt
Eberhard Kleinschmidt (Braunschweig), nach eigenem Bekunden „fast 80 Jahre alt“: "Der Text, den ich jetzt vortrage, ist überschrieben: Der Nacktmann. Leute, ich sag‘s euch heute, / in diesen Tagen bin ich nackt. / Ist das beknackt? / Bei dieser Hitze ich schwitze, / der Schweiß bis zum Steiß er läuft, / und da sich häuft. / Der Nacktmann sagt’s und wagt’s, / zieht sich ganz aus, / macht sich nichts draus. / In diesen Tagen bin ich einfach nackt. / Ist das vertrackt, oder gar verkackt? / Ich ziehe mich jetzt nicht mehr an, / ich mag nicht mehr, ist zu viel dran, zu warm." […]

Für diesen Vortrag gab‘s von der Jury 23,0 Punkte. „Applaus für Eberhard, nicht für die Wertung."

Felix Kaden
Felix Kaden (Erlangen): "Wenn Moses mich fragen würde, Mopois, wie komm ich auf Moses, wenn Mopois mich fragen würde, hätt ich die blaue Pille genommen, aber mich fragt ja nichts, also hab ich an Odans Ausschlafen geschrieben: Lass mich liegen, lass mich flusen, lass mich durch die Lacken krusen, lass mich flusen, nochmals nusen. Nur noch einmal snusen. Geh mir weg mit deinem Kaffee, lass mich schlechtgelaunt sein, ich zieh mir noch eine rein, eine Feinstelei von reinen, verfeinerten Schlafsandpartikeln, welche mir zwischen Wimpern und Augenlidern kleben, vom Sandmann mein Propheten. […] Ich träume luzide, bin der King des Hypothalamus, bleibe gern liegen, selbst wenn ich mal Pipi muß." […]

Für diesen Vortrag gab‘s von der Jury 27,0 Punkte. „Applaus für Felix, nicht für die Wertung."

Finale: Philipp Potthast und Bumillo treten gegeneinander an mit jeweils anderem Text.  

Philipp Potthast hat laut Applausbarometer – wie immer subjektiv - den finalen Poetenwettstreit mit Bumillo für sich entschieden.

Fotos: Berns Toni
Es gab ein Gruppenfoto und der Poetry Slam am Donauufer war beendet. Eine tolle Geschichte für ein gemischtes Publikum: pointierte Texte, verdiente Sieger und keine Verlierer. Das nennt man einen schönen Sommerabend an der Donau in Ingolstadt.

(Die obigen Zitate habe ich nach Gehör niedergeschrieben, also könnte sich schon die eine oder andere Abweichung vom Originaltext eingeschlichen haben. Dafür geht an die Poeten mein bedauerndes Pardon!)

 Anton Potche

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