Freitag, 26. Juli 2019

Von der Wartburg auf den Grünen Hügel

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg


Uff, ist das heiß. 40° C melden die Agenturen. Auf unserer Terrasse ist es nicht so schlimm, nur 38°. Trotzdem ist es drinnen angenehmer, mit herabgelassenen Rollos, kühlen Getränken und … Was gibt denn der Fernseher so her? Gleich zwei Fußballspiele, eines ab 17 Uhr und eines ab 19. Das hieße vier Stunden schauen, was die Jungs und Mädels mit dem runden Leder machen. Das kann kurz- aber auch sehr langweilig sein. Dann dringt die Stimme der Moderatorin von BR Klassik an mein Ohr. Ab 16 Uhr gibt es einen Livestream zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele. Tannhäuser. Ende der Vorstellung 22 Uhr. Das wäre doch mal ein sinnvoller Hitzezeitvertreib. Und wahrlich: ein Genuss.

An Inszenierungen von geschichtlichen Themen in zeitgenössischer Fassung haben wir uns ja längst gewöhnt – mit mehr oder weniger Gewinn. Was Tobias Kratzer, ein 39-jähriger Opern- und Schauspielregisseur, an diesem Nachmittag ins Bayreuther Festspielhaus zaubert, ist schon recht unterhaltsam und vor allem sehr kurzweilig, etwa so, wie wenn in einem Fußballspiel die Tore im 15 Minutentakt fallen würden.

Die Ouvertüre zu dieser Wagner-Oper untermahlt herrliche Luftbilder von der Wartburg und dem Thüringer Wald, die dann den Blick auf einen alten Citroën-Mikrobus (ich könnte mich in der Marke auch irren) freigeben, in dem sich ein ziemlich lustiges Quartett gefunden zu haben scheint. Da wäre erst mal ein liebestoller Clown, der sich alsbald als Tannhäuser höchst persönlich entpuppt, dann Venus (Elena Zhidkova) in Fleisch und Blut und mit einer ansprechenden Taille sowie mit ziemlich rabiaten Manieren – fährt die doch wahrlich einen Polizisten über den Haufen -, dann ein immer mitfühlender oft erstaunter Liliputaner, der doch sehr dem kleinen Oskar Matzerath aus der Blechtrommel von Günter Grass ähnelt – seine Trommel hat er stets dabei – und nicht zuletzt eine meistens gut gelaunte, schwarze Dragqueen (ein Mann, der sich in künstlerischer oder humoristischer Absicht äußerlich in eine Frau verwandelt) mit dem Namen Le Gateau Chocolat (L.G.C. spielt sich selber). Alles in allem eine echte Sponti-Truppe. Und die fahren dann letztendlich aus dem Film heraus und direkt vor das Bayreuther Festspielhaus. Dort trifft Tannhäuser (Stephen Gould) auf seine Sängerkollegen (oder Konkurrenten), aber auch auf Elisabeth, die ihn innig, aber anders als Venus liebt. Damit ist der Konfliktstoff vorgegeben. Und man ist als Zuschauer am Bildschirm hervorragend bedient, zumal alle (natürlich gesungenen) Dialoge und Monologe sowie die Chortexte mit Untertiteln versehen sind.

Tannhäuser und ein junger Hirt
Im zweiten Akt sind wir nicht in der „edlen Halle“ der Wartburg, wie Richard Wagner sich das wohl vorgestellt hat, sondern im Innern des Festspielhauses, das der Komponist für seine Opern bauen ließ. Wir wohnen dem berühmten Sängerstreit bei. „Auf, liebe Sänger. Greifet in die Saiten!“, ruft Landgraf Hermann (Stephen Milling) die Sänger zum Künstlerstreit auf. Doch der eskaliert zu einer handfesten Rauferei, dessen Ursache in den Liebeswerbungen Tannhäusers und Wolfram von Eschenbachs (Markus Eiche) um Elisabeth (Lise Davidsen), die Nichte des Landgrafen, liegt. „Mein Oheim! Mein gütiger Vater!“, nennt sie ihn. Während dieser Streit unter dem Licht des großen Deckenleuchters ausgetragen wird – wobei, wie sich bald herausstellen wird, Tannhäusers Liebesstandhaftigkeit zu wünschen übrig lässt -, streichen durch die Unterwelt des Festspielhauses die zwei Gesellen Oskar und Le Gateau Chocolat. Ihre Entdeckungen sind höchst interessant und bieten Einblick in die diversen Tätigkeiten hinter und unter der Bühne, ohne die auf der Bühne so manches schief laufen würde. Diese schwarzweißen Einblendungen gehen so weit, dass man zum Schluss des zweiten Aktes sogar die Festspielleiterin Katharina Wagner sieht, wie sie die Polizei ruft und Tannhäuser verhaften lässt. Der war zuvor im Sängerstreit nun wirklich aus der Rolle und der Zeit gefallen und hat den doch noch etwas prüden Genossen aus dem Mittelalter eine ziemlich moderne Version der freien Liebe mit der aufgetauchten Venus vorgespielt. Und das im Angesicht der vor Liebe zu ihm schmachtenden Elisabeth. Herrliche Zeitsprünge, wunderbare Arien und ein musikalisches Motiv, das seit Jahren vom Balkon des Festspielhauses erklingt, wenn die honorigen Gäste in den Festspielsaal, ihre „edle Halle“ (mit rustikalen Holzstühlen und ohne Klimaanlage), zum Start der Aufführungen gebeten werden, prägen diesen Akt.

Der dritte Akt ist der Hammer. Eine verwüstete Landschaft oder nur ein verlassener Schrottplatz. Auf jeden Fall steht der ramponierte Kleinbus auch da. Ein trostloses Bild offenbart sich dem Zuschauer. (Bühne und Kostüm: Rainer Sellmaier.) Der im zweiten Akt nach Rom aufgebrochene Pilgerstrom, Tannhäuser ist dabei, kehrt zurück. Ziemlich verwahrlost. Es muss ihnen nicht gut gegangen sein in der Heiligen Stadt. Aber auch Elisabeth scheint schon bessere Tage gehabt zu haben. Sie treibt sich mit dem kleinwüchsigen Oskar (Manni Laudenbach) auf dem trostlosen Gelände herum, weiter umworben von Wolfram. Elisabeth wird Tannhäuser in der Pilgergruppe gewahr, aber er nimmt keine Notiz von ihr und zieht weiter. Elisabeth kann nicht anders, sie muss ihn lieben, Tannhäuser; und beginnt ihre ergreifende Arie voller Todessehnsucht. Doch vor dem Tod triumphiert noch einmal das Leben, wenn auch ohne Glücksgefühle. Wolfram schlüpft in Tannhäusers Clownmantel und stülpt sich dessen Perücke über den Kopf. Der geklonte Sponti-Tannhäuser und Elisabeth lieben sich in dem verwüsteten Bus. Sex in der Oper. Man ist schon geneigt, an eine Wende des Schicksals zu glauben. Aber nein. Der leiblichen Hingabe folgt der Selbstmord Elisabeths, gefolgt von der Rückkehr des verwahrlosten Tannhäuser. Er ist auf der Suche nach dem „Weg zum Venusberg“ und sich seines bedauernswerten Zustandes bewusst: „Zurück von mir! Die Stätte, wo ich raste ist verflucht!“, singt er. Und das Laster – oder die wahre, nicht steuerbare Liebe? – ist auch wieder da: Venus. Irgendwie kann man Tannhäuser nicht zürnen und muss seine Reue akzeptieren, wenn er mit seiner phänomenalen Stimme bittet: „Heilige Elisabeth, bitte für mich! […] Hoch über aller Welt ist Gott und sein Erbarmen ist kein Spott.“

Fotos: Anton Potche
Diese Inszenierung spielt, meistens erfolgreich, mit allen Theater- und Operngenres vom Drama bis zum Lustspiel. Wer lineare, leicht nachvollziehbare Handlungsabläufe liebt, ist mit diesem Tannhäuser gut bedient. Aber dazu gehört auch die Musik. Die erfährt in den Kritiken stets ihre eigene Bewertung und das jeweils gesondert für Dirigent, Orchester, Chor und vor allem die Sänger. Diese Kritiken fallen dann in der Regel genauso unterschiedlich aus wie die der Inszenierung selber. Auf dem TV-Sender WELT „verneigt“ sich ein Rezensent vor Stephen Gould, Elena Zhidkova, Markus Eiche und Lise Davidsen, während er Le Gateau Chocolat und Manni Laudenbach „für die Pause“ dankt. Also wenn der gute Mann, Peter Huth heißt er, damit vielleicht die zwei Statisten negativ bewerten will, so kann ich nur dagegen halten, dass ich selten so gut, ja, fast schon genial gespielte Statistenrollen gesehen habe. Die zwei allegorischen Gestalten haben weder eine Sing- noch Sprechrolle zu bewältigen. Sie sind nur da, fast immer, beobachtend, begleitend und mit Gestik und Mimik kommentierend und dabei sogar ganze Epochen unserer deutschen Geschichte in die Narration dieser Operninszenierung zaubernd. Aber vielleicht habe ich den Rezensenten nur schlecht verstanden. Es wäre mir recht. Gut verstanden habe ich allerdings einen Tag danach die meistens wenig schmeichelhaften Worte für den Dirigenten Valery Gergiev. Nur ein Beispiel von vielen: "Im Orchestergraben debütierte Valery Gergiev, ein ausgewiesener Wagner-Kenner, der gestern aus dem Orchester allerdings nicht die Brillanz herauslocken konnte, die man von ihm kennt. Über längere Strecken klang das Ensemble zu undifferenziert. Erst im 3. Akt gab es wirklich berührende Momente." (NDR-Kultur, Besprechung von Sabine Lange.)

Anton Potche

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