Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg
Uff, ist das heiß. 40° C melden die Agenturen.
Auf unserer Terrasse ist es nicht so schlimm, nur 38°. Trotzdem ist es drinnen
angenehmer, mit herabgelassenen Rollos, kühlen Getränken und … Was gibt denn
der Fernseher so her? Gleich zwei Fußballspiele, eines ab 17 Uhr und eines ab
19. Das hieße vier Stunden schauen, was die Jungs und Mädels mit dem runden
Leder machen. Das kann kurz- aber auch sehr langweilig sein. Dann dringt die
Stimme der Moderatorin von BR Klassik an mein Ohr. Ab 16 Uhr gibt es einen Livestream
zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele. Tannhäuser.
Ende der Vorstellung 22 Uhr. Das wäre doch mal ein sinnvoller
Hitzezeitvertreib. Und wahrlich: ein Genuss.
An Inszenierungen von geschichtlichen Themen in
zeitgenössischer Fassung haben wir uns ja längst gewöhnt – mit mehr oder
weniger Gewinn. Was Tobias Kratzer,
ein 39-jähriger Opern- und Schauspielregisseur, an diesem Nachmittag ins
Bayreuther Festspielhaus zaubert, ist schon recht unterhaltsam und vor allem
sehr kurzweilig, etwa so, wie wenn in einem Fußballspiel die Tore im 15
Minutentakt fallen würden.
Die Ouvertüre zu dieser Wagner-Oper untermahlt
herrliche Luftbilder von der Wartburg und dem Thüringer Wald, die dann den
Blick auf einen alten Citroën-Mikrobus (ich könnte mich in der Marke auch
irren) freigeben, in dem sich ein ziemlich lustiges Quartett gefunden zu haben
scheint. Da wäre erst mal ein liebestoller Clown, der sich alsbald als
Tannhäuser höchst persönlich entpuppt, dann Venus (Elena Zhidkova) in Fleisch und Blut und mit einer ansprechenden Taille sowie
mit ziemlich rabiaten Manieren – fährt die doch wahrlich einen Polizisten über
den Haufen -, dann ein immer mitfühlender oft erstaunter Liliputaner, der doch
sehr dem kleinen Oskar Matzerath aus der Blechtrommel
von Günter Grass ähnelt – seine
Trommel hat er stets dabei – und nicht zuletzt eine meistens gut gelaunte,
schwarze Dragqueen (ein Mann, der sich in künstlerischer oder humoristischer
Absicht äußerlich in eine Frau verwandelt) mit dem Namen Le Gateau Chocolat (L.G.C.
spielt sich selber). Alles in allem eine echte Sponti-Truppe. Und die fahren
dann letztendlich aus dem Film heraus und direkt vor das Bayreuther
Festspielhaus. Dort trifft Tannhäuser (Stephen
Gould) auf seine Sängerkollegen (oder Konkurrenten), aber auch auf Elisabeth,
die ihn innig, aber anders als Venus liebt. Damit ist der Konfliktstoff
vorgegeben. Und man ist als Zuschauer am Bildschirm hervorragend bedient, zumal
alle (natürlich gesungenen) Dialoge und Monologe sowie die Chortexte mit
Untertiteln versehen sind.
Tannhäuser und ein junger Hirt |
Im zweiten Akt sind wir nicht in der „edlen
Halle“ der Wartburg, wie Richard Wagner
sich das wohl vorgestellt hat, sondern im Innern des Festspielhauses, das der
Komponist für seine Opern bauen ließ. Wir wohnen dem berühmten Sängerstreit
bei. „Auf, liebe Sänger. Greifet in die Saiten!“, ruft Landgraf Hermann (Stephen Milling) die Sänger zum
Künstlerstreit auf. Doch der eskaliert zu einer handfesten Rauferei, dessen Ursache
in den Liebeswerbungen Tannhäusers und Wolfram von Eschenbachs (Markus Eiche) um Elisabeth (Lise Davidsen), die Nichte des
Landgrafen, liegt. „Mein Oheim! Mein gütiger Vater!“, nennt sie ihn. Während
dieser Streit unter dem Licht des großen Deckenleuchters ausgetragen wird –
wobei, wie sich bald herausstellen wird, Tannhäusers Liebesstandhaftigkeit zu
wünschen übrig lässt -, streichen durch die Unterwelt des Festspielhauses die
zwei Gesellen Oskar und Le Gateau Chocolat. Ihre Entdeckungen sind höchst
interessant und bieten Einblick in die diversen Tätigkeiten hinter und unter
der Bühne, ohne die auf der Bühne so manches schief laufen würde. Diese
schwarzweißen Einblendungen gehen so weit, dass man zum Schluss des zweiten
Aktes sogar die Festspielleiterin Katharina
Wagner sieht, wie sie die Polizei ruft und Tannhäuser verhaften lässt. Der
war zuvor im Sängerstreit nun wirklich aus der Rolle und der Zeit gefallen und
hat den doch noch etwas prüden Genossen aus dem Mittelalter eine ziemlich
moderne Version der freien Liebe mit der aufgetauchten Venus vorgespielt. Und
das im Angesicht der vor Liebe zu ihm schmachtenden Elisabeth. Herrliche
Zeitsprünge, wunderbare Arien und ein musikalisches Motiv, das seit Jahren vom
Balkon des Festspielhauses erklingt, wenn die honorigen Gäste in den
Festspielsaal, ihre „edle Halle“ (mit rustikalen Holzstühlen und ohne Klimaanlage),
zum Start der Aufführungen gebeten werden, prägen diesen Akt.
Der dritte Akt ist der Hammer. Eine verwüstete
Landschaft oder nur ein verlassener Schrottplatz. Auf jeden Fall steht der
ramponierte Kleinbus auch da. Ein trostloses Bild offenbart sich dem Zuschauer.
(Bühne und Kostüm: Rainer Sellmaier.)
Der im zweiten Akt nach Rom aufgebrochene Pilgerstrom, Tannhäuser ist dabei,
kehrt zurück. Ziemlich verwahrlost. Es muss ihnen nicht gut gegangen sein in
der Heiligen Stadt. Aber auch Elisabeth scheint schon bessere Tage gehabt zu
haben. Sie treibt sich mit dem kleinwüchsigen Oskar (Manni Laudenbach) auf dem trostlosen Gelände herum, weiter umworben
von Wolfram. Elisabeth wird Tannhäuser in der Pilgergruppe gewahr, aber er
nimmt keine Notiz von ihr und zieht weiter. Elisabeth kann nicht anders, sie
muss ihn lieben, Tannhäuser; und beginnt ihre ergreifende Arie voller
Todessehnsucht. Doch vor dem Tod triumphiert noch einmal das Leben, wenn auch
ohne Glücksgefühle. Wolfram schlüpft in Tannhäusers Clownmantel und stülpt sich
dessen Perücke über den Kopf. Der geklonte Sponti-Tannhäuser und Elisabeth
lieben sich in dem verwüsteten Bus. Sex in der Oper. Man ist schon geneigt, an
eine Wende des Schicksals zu glauben. Aber nein. Der leiblichen Hingabe folgt
der Selbstmord Elisabeths, gefolgt von der Rückkehr des verwahrlosten
Tannhäuser. Er ist auf der Suche nach dem „Weg zum Venusberg“ und sich seines
bedauernswerten Zustandes bewusst: „Zurück von mir! Die Stätte, wo ich raste ist
verflucht!“, singt er. Und das Laster – oder die wahre, nicht steuerbare Liebe?
– ist auch wieder da: Venus. Irgendwie kann man Tannhäuser nicht zürnen und muss
seine Reue akzeptieren, wenn er mit seiner phänomenalen Stimme bittet: „Heilige
Elisabeth, bitte für mich! […] Hoch über aller Welt ist Gott und sein Erbarmen
ist kein Spott.“
Fotos: Anton Potche |
Diese Inszenierung spielt, meistens erfolgreich,
mit allen Theater- und Operngenres vom Drama bis zum Lustspiel. Wer lineare,
leicht nachvollziehbare Handlungsabläufe liebt, ist mit diesem Tannhäuser gut bedient. Aber dazu gehört
auch die Musik. Die erfährt in den Kritiken stets ihre eigene Bewertung und das
jeweils gesondert für Dirigent, Orchester, Chor und vor allem die Sänger. Diese
Kritiken fallen dann in der Regel genauso unterschiedlich aus wie die
der Inszenierung selber. Auf dem TV-Sender WELT „verneigt“ sich ein Rezensent vor Stephen
Gould, Elena Zhidkova,
Markus Eiche und Lise Davidsen, während er Le Gateau Chocolat und Manni Laudenbach „für die Pause“ dankt.
Also wenn der gute Mann, Peter Huth
heißt er, damit vielleicht die zwei Statisten negativ bewerten will, so kann ich nur
dagegen halten, dass ich selten so gut, ja, fast schon genial gespielte
Statistenrollen gesehen habe. Die zwei allegorischen Gestalten haben weder eine
Sing- noch Sprechrolle zu bewältigen. Sie sind nur da, fast immer, beobachtend, begleitend und mit Gestik und Mimik kommentierend und dabei sogar ganze Epochen unserer deutschen Geschichte in die Narration dieser Operninszenierung zaubernd. Aber vielleicht habe ich den Rezensenten nur schlecht verstanden. Es wäre mir recht. Gut verstanden habe ich allerdings einen Tag danach die meistens wenig schmeichelhaften Worte für den Dirigenten Valery Gergiev. Nur ein Beispiel von vielen: "Im Orchestergraben debütierte Valery Gergiev, ein ausgewiesener Wagner-Kenner, der gestern aus dem Orchester allerdings nicht die Brillanz herauslocken konnte, die man von ihm kennt. Über längere Strecken klang das Ensemble zu undifferenziert. Erst im 3. Akt gab es wirklich berührende Momente." (NDR-Kultur, Besprechung von Sabine Lange.)
Anton Potche
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