Karl
Kraus nennt Roda
Roda in der FACKEL Nr. 203 – wir sind in Wien im Jahre des Herrn 1906 –
den Vertreter des „Humors der Militärgrenze“. Ein Besuch des Journalisten und
Schriftstellers Kraus in einem
Wiener Cabaret sei nicht dem „Anekdotenschatz des Herrn Roda Roda“ zu verdanken,
ließ er die Leser seiner FACKEL wissen. Klingt nicht gerade schmeichelhaft für
den Simplicissimus-Autor vom Balkan.
An einer anderen Stelle in diesem Kraus-Text heißt
es: „Einigen wir uns dahin, daß wir bekennen: Wegen einer satirischen Notiz, in
der der künstlerischen Eitelkeit einer Sängerin nahegetreten wurde, ist ein
integrer Schriftsteller attackiert, bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen, kurzum
so behandelt worden, als ob er einen jener Eingriffe in das Privatleben von Frauen
verübt hätte, wie sie das ‚Neue Wiener Journal‘ hundertmal im Jahre verübt.“
Hier hat es Prügel gesetzt. Karl Kraus
war der Leidtragende, erfährt man beim Weiterlesen. Und er war sauer: „Leben
wir nicht in der besten aller gesetzlich geschützten Welten? Ich werde als
stummer Gast eines Lokals beschimpft und geprügelt, der Täter rühmt sich in
Erklärungen, die er an die Blätter abgibt, der Tat.“ Tja, so unangenehm kann
Schreiben mit spitzer Feder werden. Henry
hieß der Missetäter, der die Spitze der krausschen Feder unbrauchbar machen
wollte.
Es kam zum Prozess. Kraus widerfuhr Recht und Henry
hatte den Schaden und Spott. In der FACKEL Nr. 205 vom 11. Juni 1906 kann man
dazu lesen: „Es ist ein wahres Glück, daß es auch in England deutsche Blätter
gibt. Was hält man in England für das wichtigste Detail des Prozeßverfahrens?
Der LONDONER GENERALANZEIGER bringt die Sensationsmeldung: ‚Der Schriftsteller
Roda Roda schilderte die ganze Szene sehr dramatisch, nahm aber für keine Seite
Partei.‘ Das war wirklich nobel von Herrn Roda Roda. Er war Zeuge und nahm
trotzdem nicht Partei. Von einer feinsinnigen Pointe, die er bloß gegen einen
andern Zeugen anbrachte, hat kein einziges Blatt Gebrauch gemacht. Herr Roda
Roda wird dafür sorgen, daß sie nicht unter den Tisch fällt, und in den
nächsten Wochen wird sie in sämtlichen europäischen Witzblättern, Familienblättern,
Hotelanzeigern, Volkskalendern, Reisezeitungen und Postbücheln in Form von Anekdoten,
Novelletten, Skizzen, Gedichten, Dialogen, Aphorismen und Witzen enthalten sein
…“
Man muss wissen, dass Karl Kraus in seiner FACKEL keine Leserbriefe abgedruckt hat, sehr
wohl aber die Antworten, die er darauf hatte. Und die fielen oft sehr
ausführlich aus. So stellt sich heraus, dass der österreichische Journaille-Kritiker
keineswegs Nachsicht in seinem berufsbedingten Umgang mit Roda Roda
walten ließ. Bereits DIE FACKEL Nr. 27 vom 23. Juli des gleichen Jahres
beinhaltete die Antwort an den Leserbriefschreiber Humorist: „Der Deutschheit ganzer Jammer faßt mich an, wenn ich
ihre Witzblätter älteren Stils zur Hand nehme. Freilich, selbst der ‚Simplicissimus‘
ist — dank Herrn Roda Roda — auf dem Sprunge,
in die Läusesucht des deutschen Anekdotenhumors zu verfallen. Seine philiströse
Belletristik bietet längst den passenden Rahmen für solche Verwandlung.“ Uff, das ist doch echt böse. Aber ehrlich.
Im Heft 208 antwortet Karl Kraus dann dem Leserbriefschreiber Alkoholiker (alle Briefschreiber bleiben anonym), und wir erfahren,
dass „Herr Achille Vaucheret, genannt Henry, zu einer einmonatigen Arreststrafe
verurteilt“ wurde. In erster Instanz, wohlgemerkt. In zweiter wurde daraus nur
eine Geldstrafe von 600 Kronen. Und das obzwar es in der Urteilsbegründung der
ersten Instanz hieß, dass „durch die Aussagen der Zeugen Karl Kraus, Erich
Mühsam, Dr. Egon Friedell und Alexander Roda Roda erwiesen ist, daß der
Angeklagte Achille D’Ailly Vaucheret am 30. April im Casino de Paris in
Gegenwart der genannten Personen gegenüber Karl Kraus die in der Urteilssentenz
angeführten Beschimpfungen und Bedrohungen gebraucht und endlich denselben mit
Faustschlägen auf den Kopf und auf das Gesicht traktiert hat. Durch das
vorgelegte ärztliche Zeugnis und die Aussage des Zeugen Karl Kraus hat das
Gericht als erwiesen angenommen, daß diese tätlichen Mißhandlungen mit den im
Urteilstenor angegebenen sichtbaren Merkmalen und mit Folgen, nämlich mit einer
mindestens eintägigen Berufsunfähigkeit und mindestens zweitägigen Gesundheitsstörung,
verbunden waren.“ Karl Kraus nimmt
sich dann in gewohnt klarer Diktion des Wiener Appellsenats (zweite Instanz) an. Es ist wahrlich köstlich nachzulesen, wie er
mit den Herren Richter umspringt – und schwierig, sich für einen Satz aus
seiner Schimpftirade als Beleg zu entscheiden. Besonders fies fand der
Verprügelte es, dass die Strafe wegen angeblicher Trunkenheit des Täters – was übrigens gar
nicht stimmte – herabgesetzt wurde. Bei Karl
Kraus klingt das unter anderem dann so: „Als ich diese Richter sah, wußte
ich vor allem sofort: Hier wird dem Angeklagten Trunkenheit als wesentlich
mildernder Umstand zugebilligt! Ja, auf diesen Gesichtern lag volles
Verständnis für das wichtigste Argument der Verteidigung. Übrigens eine
ziemlich verbreitete Erscheinung unter österreichischen Richtern. […] Im
allgemeinen macht man die Erfahrung, daß die österreichische Justiz den
Geschlechtsverkehr für ein belastendes, Trunksucht für ein entlastendes Moment
ansieht.“
Als ich diese Geschichte von den Prügeln des Karl Kraus las, fiel mir der
Musikantenstreit in meinem Dorf ein. Da ging es auch ganz schön zur Sache. So
wie die Wiener Literaten und Kleinkunstbühnenaktivisten nicht nur in ihren
Literaturcafés saßen und sich friedlich austauschten, so standen die Musikanten
meines Dorfes nicht nur, andere Menschen unterhaltend, auf den Bühnen der
Dorfwirtshäuser (auch anderer Ortschaften), sondern prügelten sich schon
mal im wahrsten Sinne des Wortes mit Musikanten der Konkurrenzkapelle. Das war
immerhin auch noch ca. 60 Jahre nach Karl
Kraus so. Also blieb das kulturelle Zentrum der einstigen Monarchie für uns
„Grenzländer“ aus dem rumänischen Banat
über Zeit und Raum hinweg ein Vorbild. Wenn auch ohne unser Wissen, denn ich
bezweifle, dass es in meinem Dorf viele gab, die schon mal von Karl Kraus oder Roda Roda gehört hatten. Trotzdem bleibt der Wiener Vorfall ganz
klar ein Grund, stolz zu sein: Auch Musikanten in Jahrmarkt konnten, was
Literaten in Wien taten - nämlich raufen! Das Casino
de Paris ist wie die Gostat-Kantine in der Jahrmarkter Altgasse längst Geschichte.
Prügel gab es hier wie dort und die Opfer waren für ihre jeweiligen Gesellschaften,
die Wiener wie die Jahrmarkter, bekannte, beliebte, bewunderte und gehasste Persönlichkeiten: Karl Kraus im Zentrum der damals lebenden und Hans
Kaszner an der Peripherie der zu seiner Zeit schon verblichenen Monarchie.
Anton Potche
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