Lutz Rathenow (*1952) ist
Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi Unterlagen. Und das seit 2011.
Zuvor war er Dichter und Schriftsteller. Sein letztes Buch stammt aus dem Jahr
2010. Ob er noch schreibt oder wieder schreiben wird, entzieht sich meiner
Kenntnis. In seiner 2004 erschienenen Kurzprosasammlung heißt es im Text Schreiben: „Dabei schreibe ich kurz und
nicht romanhaft üppig. Dennoch: verzichten lernen. Aber wie? Mir fällt zu viel
ein. Zu schnell ist der Stift in der Hand und notiert, und ein Blatt liegt vor
mir, das weiter bearbeitet werden will.“
Bis zu diesem Originalton Rathenow gibt es 25 Kurzprosatexte zu
lesen, die sich noch mit der DDR, aber auch mit gesamtdeutschen
Befindlichkeiten befassen. Mit einer Oppositionellenbiografie in der DDR fehlt
es Rathenow natürlich nicht an
Vergleichen. Dass dabei auch Gesamtdeutschland manchmal spitz, dann wieder mit
Nachsicht in der Beurteilung seinen Lack abbekommt, macht die Lektüre dieser
Kurzprosa umso spannender.
Aber auch vor bissigem Sarkasmus schreckt Lutz Rathenow nicht zurück. In Alles
muss raus! Heißt es: „Nordkorea zum Beispiel braucht für die nächste
Hungersnot dringend preisgünstige Särge oder sargähnliche Behältnisse. Was
steht bei uns nicht alles rum an Gerümpel oder Pappkartons, das sich zum
Ökosarg umbasteln ließe“!
Auch der Literaturbetrieb wird nicht ausgespart. Schließlich ist
man ja Teil von ihm. So manche von Rathenow
dazu niedergeschriebene Sätze können als Zitat auch ganz allein stehen. Nur
eins von vielen Beispielen: „Vermutete Intellektualität eines Schreibenden und
verführerische Trivialität des Amüsierbetriebes ergeben eine phantasieanregende
und verkaufsfördernde Kombination.“
Und dann wurde der Autor mir plötzlich auch rein menschlich sehr
sympathisch, wo er doch in seiner Rückblende Über Ostalgie und Nostalgie. Vom Alltag der DDR nach der DDR über
seinen Dialekt schreibt: „In Wien lobte schon 1990 ein Rundfunkredakteur meinen
Thüringer Dialekt. Der klinge vor allem nicht schwäbisch oder gar kölsch und
auch nicht arrogant norddeutsch – das alles würden die Österreicher nur ungern
hören. Aber meiner klinge wie der aus irgendeinem Banat, den könne man getrost
senden.“
Mit diesem Labsal für die Seele kann ein Banater Schwabe dieses
Buch zur Seite legen, um es vielleicht ab und an wieder hervorzunehmen und sich
den ein oder anderen Text zu Gemüte zu führen. Man kann sich dabei erinnern,
vergleichen, akzeptieren, ablehnen, nachdenken und nicht zuletzt auch
unterhalten.
Ungeklärt ist bis heute, ob Lutz
Rathenow wieder zur Feder greifen wird. Stoff genug dürfte sein aktueller
politischer Job ihm auf jeden Fall liefern.
Anton Potche
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