Montag, 5. August 2019

Labsal für die Seele

Lutz Rathenow: Fortsetzung folgt – Prosa zum Tage (mit Illustrationen von Frank von der Leeuw); Verlag Landpresse, Weilerswist, 2004; ISBN 3-935221-28-2; Seiten 140 (Paperbeck); Euro 14,--.

Lutz Rathenow (*1952) ist Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi Unterlagen. Und das seit 2011. Zuvor war er Dichter und Schriftsteller. Sein letztes Buch stammt aus dem Jahr 2010. Ob er noch schreibt oder wieder schreiben wird, entzieht sich meiner Kenntnis. In seiner 2004 erschienenen Kurzprosasammlung heißt es im Text Schreiben: „Dabei schreibe ich kurz und nicht romanhaft üppig. Dennoch: verzichten lernen. Aber wie? Mir fällt zu viel ein. Zu schnell ist der Stift in der Hand und notiert, und ein Blatt liegt vor mir, das weiter bearbeitet werden will.“

Klar. Schreiben ist eine Sucht. Unheilbar? Weil so gut wie alle Texte dieser Prosa zum Tage mit einer Pointe – nicht immer leicht zu erkennen – enden, gibt es auch darauf eine Antwort im Stile Rathenow: „So sammle ich Einfälle, wie sich Einfälle verhindern lassen. Wäre das nicht Stoff für einen Ratgeber: Weniger schreiben – aber wie? Und schon wird der Griff zum Stift fester und er hinterlässt Farbstoffe auf dem Papier.“

Bis zu diesem Originalton Rathenow gibt es 25 Kurzprosatexte zu lesen, die sich noch mit der DDR, aber auch mit gesamtdeutschen Befindlichkeiten befassen. Mit einer Oppositionellenbiografie in der DDR fehlt es Rathenow natürlich nicht an Vergleichen. Dass dabei auch Gesamtdeutschland manchmal spitz, dann wieder mit Nachsicht in der Beurteilung seinen Lack abbekommt, macht die Lektüre dieser Kurzprosa umso spannender.

Aber auch vor bissigem Sarkasmus schreckt Lutz Rathenow nicht zurück. In Alles muss raus! Heißt es: „Nordkorea zum Beispiel braucht für die nächste Hungersnot dringend preisgünstige Särge oder sargähnliche Behältnisse. Was steht bei uns nicht alles rum an Gerümpel oder Pappkartons, das sich zum Ökosarg umbasteln ließe“!

Auch der Literaturbetrieb wird nicht ausgespart. Schließlich ist man ja Teil von ihm. So manche von Rathenow dazu niedergeschriebene Sätze können als Zitat auch ganz allein stehen. Nur eins von vielen Beispielen: „Vermutete Intellektualität eines Schreibenden und verführerische Trivialität des Amüsierbetriebes ergeben eine phantasieanregende und verkaufsfördernde Kombination.“

Und dann wurde der Autor mir plötzlich auch rein menschlich sehr sympathisch, wo er doch in seiner Rückblende Über Ostalgie und Nostalgie. Vom Alltag der DDR nach der DDR über seinen Dialekt schreibt: „In Wien lobte schon 1990 ein Rundfunkredakteur meinen Thüringer Dialekt. Der klinge vor allem nicht schwäbisch oder gar kölsch und auch nicht arrogant norddeutsch – das alles würden die Österreicher nur ungern hören. Aber meiner klinge wie der aus irgendeinem Banat, den könne man getrost senden.“

Mit diesem Labsal für die Seele kann ein Banater Schwabe dieses Buch zur Seite legen, um es vielleicht ab und an wieder hervorzunehmen und sich den ein oder anderen Text zu Gemüte zu führen. Man kann sich dabei erinnern, vergleichen, akzeptieren, ablehnen, nachdenken und nicht zuletzt auch unterhalten.

Ungeklärt ist bis heute, ob Lutz Rathenow wieder zur Feder greifen wird. Stoff genug dürfte sein aktueller politischer Job ihm auf jeden Fall liefern.

Anton Potche

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