Montag, 14. Oktober 2019

Musikalische Superlative

Im Programmheft der Benefiz-Konzert-Tournee des Polizeiorchesters Bayern steht in der künstlerischen Vita des Dirigenten Prof. Johann Mösenbichler, Generalmusikdirektor der Bayerischen Polizei, auch folgender Satz: „Sein Arbeitsschwerpunkt  liegt im Bereich der konzertanten Blasmusik.“ Das spürte man fürwahr beim Konzert dieses Orchesters in Ingolstadt: bis ins letzte Detail ausziselierte Musikstücke, aber nie einer rhythmischen oder gesamtinterpretativen Starre anheimfallend, sondern immer spürbar flexibel und ab und an sogar gefühlbetont, doch ohne jeglichen Kitsch. Dazu kommt ein Programm, das auf eine vom Auditorium leicht nachvollziehbare Steigerung ausgelegt ist.

Schon der Eingangsmarsch ließ aufhorchen, wo man ja nicht wusste, was auf einen zukommt, gastierte dieses Orchester doch zum ersten Mal in der Donaustadt. Der Ceremonial March des Belgiers Jan Van der Roost (*1956) ist hervorragend dazu geeignet, ein ausgewogenes Klangerlebnis zu gewährleisten. Das 1984 komponierte Stück startet mit einem Paukeneinsatz  und entwickelt sich schnell zu einer nicht zu verleugnenden Hommage an Sir Edward Elgar (1857 – 1934), den Autor der inoffiziellen Hymne des Königreichs England, wie auch Peter Seufert (Klarinette & Moderation) in seiner kurzen und informativen Moderation andeutete.

Das zweite Stück stellte schon die Vielseitigkeit und Schwarmvirtuosität dieses Bläserensembles unter Beweis. Wer nicht hinsah, bemerkte kaum, dass hier keine Streicher am Werk sind. Filigran in allen Lagen und absolut auf der Höhe der eingeforderten Bläsertechnik erklang die dargebotene Ouvertüre zur Oper Wilhelm Tell von Gioacchino Antonio Rossini (1792 - 1868). Das war schon ein Gänsehautgefühl, als diese Tutti-Bläsersätze in sehr ausgewogener Lautstärke und in rasendem Tempo über die Köpfe – und wohl durch so manches Herz – des Auditoriums flogen. Damals war es Rossinis letzte Oper (Uraufführung 1829 in Paris) und die Zeit des „schönen Gesangs“, und hier im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt war es instrumentaler Belcanto in Reinkultur.

Dann war im Programmheft der Solotrompeter Martin Ehlich angekündigt. Es musste aber leider bei der Ankündigung bleiben, denn seinen Auftritt vereitelte ihm ein Motorradunfall. Für ein Profiorchester ist das aber nicht unbedingt ein Beinbruch. Der Trompeter Peter Millich verließ sein Pult an der Trompete, stellte sich neben den Dirigenten und ließ das Publikum seine zum Teil atemberaubenden Silberfäden von Hart Pease Danks (1834 – 1903) bewundern. Das am folgenden Tag in Bayern (bisher nur in Bayern und auch das zum ersten Mal) Großelterntag war, dürfte ein reiner Zufall gewesen sein. Dass Silberfäden aber mit den ergrauten Haaren einer Oma oder eines Opas zu tun haben könnten, ist nicht ausgeschlossen. Wie heißt es doch so schön bei Vico Torriani (1920 - 1998): „Silberfäden zart durchziehen / meiner Mutter weiches Haar, / Silberfäden heute zieren / ihr das Haupt so wunderbar.“

Jacques Press (1903 - 1985) ist ein in Georgien geborener Komponist, der zwar die meiste Zeit seines Lebens in den USA verbrachte, aber mit dem Virus der südosteuropäischen und asiatischen Musik infiziert war. Sein Weg in die USA führte über Paris und Istanbul. Das war auch im Hochzeitstanz aus der symphonischen Suite Hasseneh  erkennbar, besonders als das Xylophon stellenweise die Melodieführung übernahm. In der Heimatstadt des Georgischen Kammerorchesters war das schon ein interessanter bläsermusikalischer Einwurf. Das hat hervorragend in die Musikzeitgeschichte der Stadt an der Donau gepasst.

Die von Prof. Mösenbichler angestrebte Steigerung im Programm funktionierte. Garant dafür war ein Werk in fünf Sätzen von W. Francis McBeth (1933 - 2012), ein amerikanischer Komponist und Dirigent. Of Sailors and Whales ist eine Programm-Suite mit betitelten Sätzen und einem Sprecher (Peter Seufert). Musikalisch erzählt wird die Geschichte von Moby-Dick, hier unterteilt in die Musikkapitel Ishmael, Queequeg, Father Mapple, Ahab und Der weiße Wal. Dieses Werk zeigt, was man mit einem Blasorchester alles anstellen kann – im positivsten Sinn dieses Wortes. Von der Sehnsucht nach den endlosen Weiten der See bis zum Existenzkampf des Menschen gegen die Natur ist alles in eine musikalische Narration gebettet, die nicht zuletzt dank des hervorragend agierenden Sprechers vom Publikum in einer eingesetzten Mäuschenstille (kein Husten, kein Räuspern) regelrecht aufgesaugt wurde.  Plötzlich erklingt ein Choral, in einwandfreiem A-cappella-Gesang  von den 45 Musikerinnen und Musikern (die nur nach Qualität und nicht nach Quote im Orchester sitzen, wie der Dirigent später in einem Gespräch mit der BR-Moderatorin Regina Wallner präzisierte) vorgetragen. Sakrale Stimmung. Gänsehaut im Festsaal.

Pause.

Der zweite Teil beginnt zünftig. Marschmusik in bester tschechisch-altösterreichischer Tradition. Habsburg  scheint nie untergegangen zu sein. Und wer könnte diese Nostalgie besser vermitteln, als der Österreicher Johann Mösenbichler. Unsere Helden nannte Julius Fučík (1903 – 1943) sein Opus 289. Straff, aber voller sich gegenseitig ablösender Motive klingt dieser Marsch. Da war noch Zuversicht vorhanden. Der 1. Weltkrieg war erst in seinem zweiten Jahr, als der tschechische Kapellmeister diesen Marsch schrieb. Da gab es noch Helden.

Im folgenden Stück konnte ein Euphonist seine Spielkunst unter Beweis stellen. Tobias Epp spielte mit dem Schönklanginstrument For a Flower von Hermann Pallhuber (*1967). Ein schönes Stück, mit kantilenenhaft getragenen Passagen, aber auch virtuosen Rauf- und Runterläufen. Besonders an diesen Stellen könnte man vielleicht noch ein wenig schrauben. Zumindest ich hatte das Gefühl, dass das Stück in diesen Allegro-Tempi etwas überinstrumentiert ist. Das kann an einer anderen Stelle des Saals aber schon wieder ganz anders geklungen haben. Ein eher meditatives Euphonium hat nun mal nicht die Strahlkraft einer jubelnden Trompete.

Leonard Bernsteins (1918 -1990) Musik ist seit Langem fester Bestandteil der symphonischen Blasmusikliteratur. Denken wir nur an Candide, eine Musicalouvertüre, die sich längst verselbstständigt hat. Das Polizeiorchester Bayern hatte an diesem Abend die Ouvertüre zum Musical Wonderful Town im Gepäck. Das Stück ist so alt wie ich, klingt aber bedeutend frischer, gefiel es meiner Frau, auf dem Heimweg zu scherzen. Wo sie Recht hat, hat sie recht. Bernsteins Musik scheint nicht altern zu können. Ich habe das auch an vier jungen Menschen, die vor uns saßen (wahrscheinlich Studenten) gemerkt. Sie blickten sich gegenseitig an: Diese Melodie kennen wir doch. Natürlich, Bernstein lebt durch seine Musik. Und die ist nun mal unsterblich. Dazu tragen auch so einwandfreie Aufführungen wie die an diesem Konzertabend bei.

Fotos: Anton Potche
Als letztes Stück erklang dann das Sternstundenlied von Thilo Wolf (*1967). Wer kennt das nicht. Jeder, der schon mal die Sendung des BR „Sternstunden – Wir helfen Kindern“ gesehen hat, wurde auch mit dieser Erkennungsmelodie konfrontiert, mehr oder weniger bewusst. Was folgte war mehr als höflicher Applaus. Begeisterung und Standing Ovations.

Dafür gab es noch zwei Zugaben und eine Zuzugabe für das zahlreiche Publikum [The Catalyst von Manfred Hechenblaickner (*1971) – 1. Flügelhornist in diesem Orchester und Vielen Dank für die Blumen von Udo Jürgens (1934-2014)], auf dessen Dank auch in Scheinen man hoffte, denn der Eintritt zu dieser sehr gelungenen und hochwertigen Konzertveranstaltung war frei. Die nach dem Konzert eingesammelten Spenden kommen in Gänze (ohne Verwaltungskosten) den „Sternstunden – Wir helfen Kindern“ des Bayerischen Rundfunks zugute.

Ingolstadt kann sich über einen Mangel an konzertanter Blasmusik wahrlich nicht beklagen. Für den 25. Oktober hat die Audi Bläserphilharmonie ein Benefizkonzert im Festsaal des Stadttheaters angekündigt und am 26. November spielt das Musikkorps der Bundeswehr am selben Ort für einen guten Zweck.

Anton Potche

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