Montag, 18. November 2019

Ein gutes Fundament

Jugendblaskapellen im Wettstreit

Zehn Jugendblaskapellen haben sich in der Ingolstädter Saturn-Arena zum Wettstreit getroffen. Eingeladen hat der Musikbund von Ober- und Niederbayern, Mitgliedsverband des Bayerischen Blasmusikverbandes, der laut eigenen Angaben „121.000 aktive Musiker, davon 48.000 unter 18 Jahren, vertritt“. Organisiert hat die Mammutveranstaltung (von 9:30 bis 17:30 Uhr) die Handwerkskammer für München und Oberbayern. Zu einem seriösen Wettbewerb, nicht nur in der Musik, gehört natürlich eine kompetente Jury. Der Jugendblaskapellenwettbewerb 2019 wurde von folgenden Juroren begleitet: Mia Aselmeyer (Hornistin Münchner Philharmoniker), Michaela Klahr (Landesjugendleiterin des Bayerischen Blasmusikverbandes), Franz Kellerer (Verbandsdirigent im Musikbund von Ober- und Niederbayern), Manuel Epli (Juror, Dirigierdozent) und Franz-Xaver Peteranderl (Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern). Die im Wettstreit angetretenen Kapellen waren in zwei Altersgruppen eingeteilt: AG I (Durchschnittsalter bis 16 Jahre) und AG II (bis 21). In der AG II waren nur zwei Kapellen angetreten. Man kann das durchaus auch damit begründen, dass viele Kinder ein Blasmusikinstrument erlernen, sich aber in der Pubertät anderen Musikrichtungen zuwenden oder ganz aufs Musizieren verzichten. Eigentlich schade, denn dieser Blasmusiksonntag hat vor allem eins gezeigt: Die Bläserausbildung liegt in Bayern (und ich nehme an, in ganz Deutschland) auf qualitativ hohem Niveau. Damit ist das Fundament für einen imponierenden Blasmusiküberbau eigentlich gelegt, ja mehr noch, für eine Bläserkultur, um die uns die Welt beneidet. Und trotzdem hätte ich mir mehr AG II-Kapellen gewünscht.

Es ging schon vielsagend los. Die Jugendkapelle Schwindegg begann ihr Programm (jeweils vier Stücke) mit einer Melodie aus dem Musical Das Phantom der Oper von Sir Andrew Lloyd Webber. Obwohl Alfons Braunhuber keinen großen Orchesterapparat dirigierte, gelang es ihm, einen ansprechenden Klang in die große Eishalle aus Ingolstadt zu zaubern. Er konnte sich dabei besonders auf eine wie ein Uhrwerk agierende Rhythmusgruppe verlassen. Das Applausbarometer zeigte nach dem letzten Stück die Zahl 84 an.

Die Johannesbläser Vilshofen sind ein größeres Blasorchester. Sie konnten mit ihrem Volumen ganz hervorragend zeigen, wohin der Geschmack der Jugend geht: Pop, Rock, aber auch Medleys mit verschiedenen Schlagern und Oldies. Ohrwürmer, die ältere Semester schwärmen lassen, beinhaltet zum Beispiel Kurt Gäbles Potpourri Spirit of 96. Regina Jungwirth dirigiert dieses Orchester mit großer Sicherheit und ohne ausschweifende Gesten. Eine angenehme Erscheinung: Orchester & Dirigentin.

Dann war sie da, die echte bayerische Trachtenkapelle, wie man sie weltweit kennt und millionenfach fotografiert und filmt: die Jugendkapelle Riegsee-Staffelsee. Und was spielt sie? Zünftige bayerische Blasmusik? Weit gefehlt. Auch hier werden Beach-Boys-Hits zum Besten gegeben. Dirigiert werden die Madels und Buben in Tracht von Maximilian Bach. Trend ist eben Trend. Dagegen kommt keiner an. Musikalisch war das, was die Kapelle bot aber eine „tolle Leistung“, wie einer der Juroren zusammenfasste.

Natürlich wollen die Zuschauer auch wissen, mit wem sie es auf der Bühne zu tun haben. Und dazu dient nicht nur ein Programmaushang. Der Moderator spielt hier eine wichtige Rolle. Und wenn der sogar vom Bayerischen Rundfunk kommt, ist es natürlich noch um eine Spur besser. Thomas Ohrner ist diesbezüglich eine Institution. Er hat sich um die richtige Kommunikation zwischen Publikum und Bühne sowie zwischen Jury und Orchester verdient gemacht. Kurze Interviews mit den Dirigenten und Bitten um ebenso kurze Stellungnahmen der Juroren zu den gespielten Stücken (natürlich ohne Bewertungen) lockerten die Wettbewerbsspannung doch erheblich auf und halfen die Orchesterwechsel zu überbrücken. Das ging auch der Dirigentin der Jugendkapelle Gelting – Poing nicht anders. Nach den Informationen zu ihrem Programm dirigierte Christine Westermair sehr souverän und animierte das Publikum zum Mitmachen. Die Polka Ho-Ruck-Bumm von Erwin Zsaitsits bestärkte mich in meiner Auffassung, dass die Repertoiregestaltung in Richtung moderner Musik übertrieben ist. (Übrigens schon seit Jahren.) Diese böhmisch angefärbte Polka ließ das Publikum sofort mitgehen, ganz ohne jedwede Animation. 

Als fünfte Kapelle betrat das Jugendblasorchester Fürstenfeldbruck das Podium. Und es war nicht die einzige Formation an diesem langen Blasmusiktag, die ohne Moderation von außen klarkam. Zwei Teenager moderierten gekonnt und trugen wohl so auch dazu bei, dass man bei der Jury von einer „guten Performance“ sprach. Angetan war man übrigens auch von der „Vollbeschäftigung“ der sieben Schlagzeuger. Bei einem Party-Dance-Mix ist das auch gar nicht verwunderlich. Eine Jurorin sprach nach dem Auftritt der Fürstenfeldbrucker Jugendmusikanten sogar von einem „Gesamtkunstwerk“. Paul Roh leitet dieses Bläserensemble.

Das numerisch größte Ensemble war die Stadtjugendkapelle Dachau. Ihr Eintritt in die Halle schien kein Ende zu nehmen. Und da wahren wirklich viele dabei, die kaum in die F-Jugend, wie es in der Fußballsprache heißt, passen würden. Es war auf der Bühne ein wahres Gewusel, bis da alle ihren Platz gefunden hatten. Wie Dirigent Michael Meyer mit diesem lebhaften Haufen zurecht kommt, bleibt sein Geheimnis. Auf jeden Fall wäre so mancher Fußballtrainer im Kinder- und Jugendbereich über so viel Disziplin auf dem Platz, hier Podest, hoch erfreut. Immerhin spielte dieses Riesenensemble Viva la Vida, Rolling in the Deep und Probierʼs mal mit Gemütlichkeit. Und wie! Und der Dirigent zeigte mit dem letzten Stück in seinem Programm, wo der Weg für diese musikfreudigen Teenys mal hinführen könnte. Er ließ zwei jugendliche Saxophonisten aus der Stadtkapelle Improvisationen zu Havanna spielen. Gänsehaut pur! Glückwunsch! (Applausbarometer: 104 - die höchste erreichte Zahl).

Auch die Jugendkapelle Grassau-Marquartstein-Reit im Winkl präsentierte einen Solisten. Mia Aselmeyer aus der Jury wirdʼs gefreut haben, denn der junge Mann spielte auf dem Horn. Dass hier mehrere Nachbargemeinden mit ihren Musikschulen zusammenarbeiten, sagt schon der Name der Kapelle. Eigentlich handelt es sich um die Musikschule Grassau mit Zweigstellen in Bernau am Chiemsee, Marquartstein, Reit im Winkl, Schleching, Staudach-Egerndach und Unterwössen. Und dort wird erfolgreich gearbeitet, wie man nach ihrem Auftritt feststellen darf. Ein Jurymitglied hob die „Strahlkraft an der Posaune“ hervor.

Wieder war sie da, die bayerische Seele. Heimat! Sie klingt aus Holz, Blech und Kehlen. Schön gespielt und schön gesungen: „Mein schönes Bayerland, dir bleib ich ewig treu.“ Erlaubt hat sich diesen Gefühlsausbruch die Jugendkapelle Schöngeising. Natürlich wurde auf den Rängen sofort mitgesungen und rhythmisch geklatscht. Auch die anderen Stücke haben auf eine seriöse Grundausbildung der hier musizierenden Jugendlichen hingedeutet. Das tiefe Blech klang sehr ausgewogen in den begleitenden Harmonien. Und weich, sehr weich. Schön! Diese Kapelle präsentierte sich auch mit einem Moderator aus ihrer Mitte.

Die Jugendblaskapelle der Marktkapelle Obernzell ist erst drei Jahre alt. Kaum zu glauben. Ihre Musik klingt sehr reif, ausgeglichen in allen Registern. Dazu kommt eine Moderation, in der sich zwei Jungs mit der Dirigentin, ja, fast zanken. Dieser lustige Generationenstreit in Sachen Musik ist auch ein kleiner, lustiger Familienzwist, sind Dirigentin und Mutter der Buben doch in einer Person verkörpert. Ein guter Einfall, war diese Moderation in drei auf jeden Fall. Andrea Pleyer heißt die couragierte, dirigierende Mutter.

Als letzte, trat die Jugendkapelle Eichstätt in den Ring. (Die Reihenfolge war ausgelost.) Dirigiert wird die zahlenmäßig große Kapelle von Sebastian Golder. Und der darf sich über außergewöhnlich talentierte und (wahrscheinlich) auch fleißige Einzelkönner freuen. Das bewies ein Posaunist mit einem berückend schönen Ton und einer virtuosen Technik. Der Konzertwalzer, den er spielte, zauberte zu fortgeschrittener Stunde noch einmal eine Mäuschenstille in die große Eishockeyhalle in Ingolstadt. Die Jury bescheinigte dem Orchester aus Eichstätt eine hervorragende Konzentration, obwohl die jungen MusikerInnen den ganzen Tag auf ihren Auftritt warten mussten.

Fotos: Anton Potche
Dann war es vollbracht, die Spannung abgefallen, und die Preise konnten vergeben werden. Natürlich ging keiner leer aus, denn laut dem Motto dieses Wettbewerbs hatten alle das „Spielen wie die Meister“ hervorragend beherzigt. Die Tabellenplätze werden für die Vereinsgeschichten überleben und die Juryentscheidungen in die zukünftige Arbeit der Dirigenten einfließen. Für den neutralen Zuschauer bleibt das Schlusswort Thomas Ohrners gültig: „Alle haben heute gewonnen!“ Und das Fundament für die deutsche Blasmusikpyramide ist stabil. Da kann man ruhig immer neue Steine bis hinauf zur Spitze einbauen.
Anton Potche

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen