Jugendblaskapellen im
Wettstreit
Zehn Jugendblaskapellen haben
sich in der Ingolstädter Saturn-Arena zum Wettstreit getroffen.
Eingeladen hat der Musikbund von Ober- und Niederbayern,
Mitgliedsverband des Bayerischen Blasmusikverbandes, der laut eigenen
Angaben „121.000 aktive Musiker, davon 48.000 unter 18 Jahren,
vertritt“. Organisiert hat die Mammutveranstaltung (von 9:30 bis
17:30 Uhr) die Handwerkskammer für München und Oberbayern. Zu einem
seriösen Wettbewerb, nicht nur in der Musik, gehört natürlich eine
kompetente Jury. Der Jugendblaskapellenwettbewerb 2019 wurde
von folgenden Juroren begleitet: Mia
Aselmeyer (Hornistin
Münchner Philharmoniker), Michaela
Klahr
(Landesjugendleiterin des Bayerischen Blasmusikverbandes), Franz
Kellerer
(Verbandsdirigent im Musikbund von Ober- und Niederbayern), Manuel
Epli (Juror,
Dirigierdozent) und Franz-Xaver
Peteranderl (Präsident
der Handwerkskammer für
München und Oberbayern). Die im Wettstreit angetretenen Kapellen
waren in zwei Altersgruppen eingeteilt: AG I (Durchschnittsalter bis
16 Jahre) und AG II (bis 21). In
der AG II waren nur zwei Kapellen angetreten. Man kann das durchaus
auch damit begründen, dass viele Kinder ein Blasmusikinstrument
erlernen, sich aber in der Pubertät anderen Musikrichtungen zuwenden
oder ganz aufs
Musizieren verzichten.
Eigentlich schade, denn dieser Blasmusiksonntag hat vor allem eins
gezeigt: Die Bläserausbildung liegt in Bayern (und ich nehme an, in
ganz Deutschland) auf qualitativ hohem Niveau. Damit ist das
Fundament für einen imponierenden Blasmusiküberbau eigentlich
gelegt, ja
mehr noch, für eine Bläserkultur, um die uns die Welt beneidet. Und
trotzdem hätte ich mir mehr AG II-Kapellen gewünscht.
Es
ging schon vielsagend los. Die Jugendkapelle Schwindegg
begann ihr Programm (jeweils vier Stücke) mit einer Melodie aus dem
Musical Das Phantom der Oper
von Sir
Andrew Lloyd Webber.
Obwohl Alfons Braunhuber
keinen großen Orchesterapparat dirigierte,
gelang es ihm, einen ansprechenden Klang in die große Eishalle aus
Ingolstadt zu zaubern. Er konnte sich dabei besonders auf eine wie
ein Uhrwerk agierende Rhythmusgruppe verlassen. Das
Applausbarometer zeigte nach dem letzten Stück die Zahl 84 an.
Die
Johannesbläser Vilshofen
sind ein größeres Blasorchester. Sie konnten mit ihrem Volumen ganz
hervorragend zeigen, wohin der Geschmack der Jugend geht: Pop, Rock,
aber auch Medleys mit
verschiedenen Schlagern und
Oldies. Ohrwürmer, die ältere Semester schwärmen lassen,
beinhaltet zum Beispiel Kurt
Gäbles Potpourri Spirit
of 96. Regina
Jungwirth dirigiert
dieses Orchester mit großer Sicherheit und ohne ausschweifende
Gesten. Eine angenehme Erscheinung: Orchester & Dirigentin.
Dann
war sie da, die echte bayerische Trachtenkapelle, wie man sie
weltweit kennt und millionenfach fotografiert und filmt: die
Jugendkapelle Riegsee-Staffelsee.
Und was spielt sie? Zünftige bayerische Blasmusik? Weit gefehlt.
Auch hier werden Beach-Boys-Hits
zum Besten gegeben. Dirigiert
werden die Madels und Buben in Tracht von Maximilian
Bach. Trend
ist eben Trend. Dagegen kommt keiner an. Musikalisch war das, was die
Kapelle bot aber eine „tolle Leistung“, wie einer der Juroren
zusammenfasste.
Natürlich
wollen die Zuschauer auch wissen, mit wem sie es auf der Bühne zu
tun haben. Und dazu dient nicht nur ein Programmaushang. Der
Moderator spielt
hier eine wichtige Rolle.
Und wenn der sogar
vom Bayerischen
Rundfunk kommt, ist es natürlich noch um eine Spur besser. Thomas
Ohrner
ist diesbezüglich eine Institution. Er hat sich um die richtige
Kommunikation zwischen Publikum und Bühne sowie zwischen Jury und
Orchester verdient gemacht. Kurze Interviews mit den Dirigenten und
Bitten um ebenso kurze Stellungnahmen der Juroren zu den gespielten
Stücken (natürlich ohne Bewertungen) lockerten die
Wettbewerbsspannung doch erheblich auf und halfen die
Orchesterwechsel zu überbrücken. Das ging auch der Dirigentin der
Jugendkapelle
Gelting – Poing
nicht anders. Nach
den Informationen zu ihrem Programm dirigierte Christine
Westermair
sehr souverän und animierte das Publikum zum Mitmachen. Die Polka
Ho-Ruck-Bumm
von Erwin
Zsaitsits bestärkte
mich in meiner Auffassung, dass die Repertoiregestaltung in Richtung
moderner Musik übertrieben ist. (Übrigens schon seit Jahren.) Diese
böhmisch angefärbte Polka ließ das Publikum sofort mitgehen, ganz
ohne jedwede Animation.
Als
fünfte Kapelle betrat das
Jugendblasorchester Fürstenfeldbruck
das Podium.
Und es war nicht die einzige Formation
an diesem langen Blasmusiktag, die ohne Moderation von außen
klarkam. Zwei Teenager moderierten gekonnt und trugen wohl so auch
dazu bei, dass man bei der Jury von einer „guten Performance“
sprach. Angetan war man
übrigens auch von der „Vollbeschäftigung“ der sieben
Schlagzeuger. Bei einem Party-Dance-Mix ist
das auch gar nicht verwunderlich. Eine Jurorin sprach nach dem
Auftritt der Fürstenfeldbrucker
Jugendmusikanten sogar von einem „Gesamtkunstwerk“. Paul
Roh leitet dieses
Bläserensemble.
Das
numerisch größte Ensemble
war die Stadtjugendkapelle
Dachau.
Ihr Eintritt in die Halle
schien kein Ende zu nehmen. Und da wahren wirklich viele dabei, die
kaum in die F-Jugend, wie es in der Fußballsprache heißt, passen
würden. Es war auf der Bühne ein wahres Gewusel, bis da alle ihren
Platz gefunden
hatten. Wie Dirigent Michael
Meyer
mit diesem lebhaften Haufen zurecht kommt, bleibt sein Geheimnis. Auf
jeden Fall wäre so mancher Fußballtrainer im Kinder- und
Jugendbereich über so viel Disziplin auf dem Platz, hier Podest,
hoch erfreut. Immerhin
spielte dieses Riesenensemble Viva
la Vida, Rolling in
the Deep und Probierʼs
mal mit Gemütlichkeit. Und wie!
Und der Dirigent zeigte mit
dem letzten Stück in seinem Programm, wo der Weg für diese
musikfreudigen Teenys mal hinführen könnte. Er ließ zwei
jugendliche Saxophonisten aus der Stadtkapelle Improvisationen zu
Havanna spielen.
Gänsehaut pur! Glückwunsch! (Applausbarometer: 104 - die höchste erreichte Zahl).
Auch
die Jugendkapelle
Grassau-Marquartstein-Reit im Winkl
präsentierte einen Solisten. Mia
Aselmeyer aus
der Jury wirdʼs
gefreut haben, denn der junge Mann spielte auf dem Horn. Dass hier
mehrere Nachbargemeinden mit ihren Musikschulen zusammenarbeiten,
sagt schon der Name der Kapelle. Eigentlich
handelt es sich um die Musikschule Grassau mit Zweigstellen in Bernau
am Chiemsee, Marquartstein, Reit im Winkl, Schleching,
Staudach-Egerndach und Unterwössen. Und
dort
wird
erfolgreich gearbeitet,
wie man nach ihrem Auftritt feststellen darf. Ein
Jurymitglied hob die „Strahlkraft an der Posaune“ hervor.
Wieder
war sie da, die bayerische Seele. Heimat! Sie klingt aus Holz, Blech
und Kehlen. Schön gespielt und schön gesungen: „Mein schönes
Bayerland, dir bleib ich ewig treu.“ Erlaubt hat sich diesen
Gefühlsausbruch die
Jugendkapelle Schöngeising.
Natürlich wurde auf den Rängen sofort mitgesungen und rhythmisch
geklatscht. Auch die anderen
Stücke haben auf eine seriöse Grundausbildung der hier
musizierenden Jugendlichen hingedeutet. Das tiefe Blech klang sehr
ausgewogen in den begleitenden Harmonien. Und weich, sehr weich.
Schön! Diese Kapelle präsentierte sich auch mit einem Moderator aus
ihrer Mitte.
Die
Jugendblaskapelle der Marktkapelle Obernzell
ist erst drei Jahre alt. Kaum zu glauben. Ihre Musik klingt sehr
reif, ausgeglichen in allen Registern.
Dazu kommt eine Moderation, in der sich zwei Jungs mit der
Dirigentin, ja, fast zanken. Dieser lustige Generationenstreit
in Sachen
Musik
ist auch ein kleiner, lustiger Familienzwist,
sind Dirigentin und Mutter der Buben doch in einer Person
verkörpert. Ein guter Einfall, war diese Moderation in drei auf
jeden Fall. Andrea Pleyer
heißt die couragierte, dirigierende Mutter.
Als
letzte, trat die Jugendkapelle
Eichstätt
in den Ring. (Die Reihenfolge war ausgelost.) Dirigiert
wird die zahlenmäßig große Kapelle von Sebastian
Golder. Und
der darf sich über außergewöhnlich talentierte und
(wahrscheinlich) auch fleißige Einzelkönner freuen. Das bewies ein
Posaunist mit einem berückend schönen Ton und einer virtuosen
Technik. Der Konzertwalzer, den er spielte, zauberte zu
fortgeschrittener Stunde noch einmal eine Mäuschenstille in die
große Eishockeyhalle in Ingolstadt. Die Jury bescheinigte dem
Orchester aus Eichstätt eine hervorragende Konzentration, obwohl die
jungen MusikerInnen den ganzen Tag auf ihren Auftritt warten mussten.
Fotos: Anton Potche |
Dann
war es vollbracht, die Spannung abgefallen, und die Preise konnten
vergeben werden. Natürlich ging keiner leer aus, denn laut dem Motto
dieses Wettbewerbs hatten alle das „Spielen wie die Meister“
hervorragend beherzigt. Die Tabellenplätze werden für die
Vereinsgeschichten überleben und die Juryentscheidungen in die
zukünftige
Arbeit der Dirigenten einfließen. Für den neutralen Zuschauer
bleibt das Schlusswort Thomas
Ohrners
gültig:
„Alle
haben heute gewonnen!“ Und
das Fundament für die deutsche Blasmusikpyramide ist stabil. Da kann
man ruhig immer neue Steine bis hinauf zur Spitze einbauen.
Anton
Potche
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