Fidelis Waldvogel wandert aus.
FotoQuelle: DAS ERSTE
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Ich
hatte mich am Abend des 27. Dezember für den
Dreistundenstreifen Der
Club der singenden Metzger
entschieden, ohne
es bereuen zu müssen. Der
Film spielt auch wie einige Szenen aus dem Adlon
in
den berühmt berüchtigten 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Doch
nicht in einer Berliner Kulturszene sondern im fernen Amerika. Die
Protagonisten des Films kommen aber aus Deutschland, genauer gesagt
aus dem Schwäbischen
und
aus Hamburg.
Sie sind auf der Suche nach einem besseren Leben. Eine integre
Metzgerfamilie und eine halbe (Vater und Tochter) Familie
Zirkusakteure begegnen sich in dieser Siedlergeschichte, die nichts
mehr mit den Einwandererschicksalen
der nach Westen strebenden Weißen
des 19. Jahrhunderts zu tun hat;
und
schon längst nichts mit wild
herumballernden Banditen und Kopfjägern sowie mit ihre
Jagdgründe verteidigenden Indianern. (Davon
gab es dann genug einen Tag später in einem Thementag auf 3sat.)
Einen
Sheriff gibt es aber, und dazu noch
einen
auf
tragische Weise liebeshungrigen.
Diese Geschichte hat viel
zu tun mit dem Aufbauwille von Millionen Aussiedlern – denn das
waren Fidelis Waldvogel mit seiner Frau Eva und die Zirkusartistin
Delphine mit ihrem dem Alkohol verfallenen Vater Robert -, die
einstmals
dieses deutsche Land in Richtung Amerika oder nach Südosteuropa
verließen, aber auch mit dem Überlebenswille
Millionen
Vertriebener
und anderer
Aussiedler, die Jahrzehnte später aus dem Osten in
dasselbe deutsche Land kamen. Besonders
die in den letzten Jahrzehnten
nach Deutschland gekommenen Aussiedler aus dem Osten und Südosten
Europas werden sich mit so mancher Szene in diesem Film
identifizieren können. Zum Beispiel mit dem Abschied Fidelisʼ,
als der Chor der Zurückbleibenden Muss
i denn, muss i denn zum Städtele hinaus
anstimmte. Als ich und viele andere aus meinem Banater Dorf gingen,
spielte die Blasmusik, und das war nicht weniger rührend. Nur die
angesteuerten
Ziele
waren doch unterschiedlich, und das gewaltig.
Die
Drehbuchautorinnen Doris
Dörrie
und Ruth
Stadler
haben sich auf den US-Bestseller The
Master Butchers Singing Club
gestützt. Der Roman von Louise
Erdrich
(*1954),
eine mit vielen Literaturpreisen
ausgezeichnete
amerikanische Schriftstellerin, ist 2003 erschienen. Eine deutsche
Fassung gibt
es
seit 10 Jahren auf dem Buchmarkt.
Die
Handlung des
Films ist
spannungsgeladen, voller Dramatik und dazwischen immer wieder
bestückt mit wahrlich poetischen Momenten, die
sich aus den Traditionen der Protagonisten speichern. Ich
denke dabei an die Choräle, die meistens ganz spontan von einem
Sänger angestimmt werden und dann zum vielstimmigen Lied anwachsen.
Das ist oft ergreifend, wenn es auch Kritiker gibt, die gerade hier
von Kitsch reden. Oder ich denke an den Tanz der alten Indianerin.
Eine Aufnahme aus der Vogelperspektive, die beweist, dass Ulrich
Edel etwas
von dichterischer Stimmung versteht. Ja, gute Filmkunst kann auch
lyrische Momente erzeugen. Das gelingt
meistens - wie auch hier - im Einklang mit guter Musik.
Der
Club der singenden Metzger ist
ein Film mit vielen ergreifenden Momenten. Es ist nur schade, dass er
nicht mit einem Happyend ausgeht. Aber vielleicht entgeht er gerade
darum dem Makel eines billigen Melodrams. Das hätten auch die meist
hervorragend agierenden Schauspieler nicht verdient. Nein, drei
Stunden Freizeit für diesen Film zu opfern, ist keine verlorene
Zeit.
Anton Potche
Club der singenden Metzger; D, 2019; Regie: Uli Edel, Buch: Doris
Dörrie & Ruth Stadler, Kamera: Hannes Hubach, Musik: Jonas Nay &
David Grabowski; Darsteller: Jonas Nay (Fidelis
Waldvogel), Aylin
Tezel (Delphine), Leonie Benesch (Eva),
Sylvester Groth (Robert) u.
a.; 180 Minuten.
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