Montag, 20. Januar 2020

Kunst aus Sand

Seit zehn Jahren gibt es auf der Ostseeinsel Rügen ein Sandfest, das seit 2012 im Ostseebad Binz beheimatet ist. Nun mag man schnell an einen überdimensionalen Kindersandspielplatz denken oder an Sandburgenbauen am langen und breiten Strand. Das gibt es dort oben im Nordostzipfel der Republik natürlich auch alles. Das Sandfest verkündet aber schon in seinem expliziten Namen mehr: Sandskulpturenfestival 2019. Und das Motto dieser Jubiläumsveranstaltung deutet auf Kunstwerke hin: „Das Fundament der Vielfalt ist die Einzigartigkeit.“ (Ernst Ferst).
Ein Aspekt der „Einzigartigkeit“ ist auch die kurze Lebensdauer dieser Kunstwerke. Ein gemaltes Bild kann Jahrhunderte überdauern und Werke der bildenden Kunst in Bronze, Stein, Eisen usw. sogar Jahrtausende. Die älteste Sandskulptur wurde im Freien gerade mal zwei Jahre alt. Sie stand in Kalifornien. Und in den Niederlanden hielt es ein Sandkunstwerk einmal 21 Monate bei Wind und Wetter aus. (Überdachte Skulpturen aus Sand haben eine längere Lebensdauer – sogar Jahrzehnte.) Man fragt sich dabei unwillkürlich, was das für Menschen sind, die sich einer körperlich so mühevollen und künstlerisch so anspruchsvollen Aufgabe hingeben, ohne einen Anspruch auf nachhaltigen und überprüfbaren Künstlerruhm zu erheben. Da scheinen altruistische Kunstbesessene am Werk zu sein.
Und die arbeiten nach strikten Regeln. Als Ingolstädter musste ich sofort ans Reinheitsgebot für Bier denken, als ich erfuhr, dass die Sandskulpturenkünstler keinerlei Bindemittel beim gestalten ihrer Arbeiten benutzen. Nur Wasser und Sand. Und auch nicht jeder Sand eignet sich zum „Compacten, Carven, Levellen oder Wacken“, wie die meist aus dem Amerikanischen stammenden Arbeitsschritte alle heißen. Einen dazu günstigen Sand findet man im Fluss Maas in Noord-Brabant (Holland) – dort hat man sich sogar auf die fachgerechte Zusammenmischung des Sandes für Sculpture Events spezialisiert – und aus Zirkow auf der Insel Rügen.
Die Sandbildhauer müssen sich ihre Grundform zum „Steinmetzen“ erst einmal erschaffen. Sie machen das mit Holzformen, die mich ans „Kotstoonmache“ im Banat meiner Großeltern und Eltern aber auch an Gießereikokillen erinnerten, Letztere aus meiner Lehrzeit anfangs der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Sie müssen mit erheblich körperlichem Einsatz „stampfen, bespritzen, stampfen, bespritzen“, und das so lange, bis der Sand die nötige Konsistenz zum Bearbeiten mit „Tools und Tooltjes“ bekommen hat. Was dabei herauskommt, kann schon wirklich beeindruckend sein. Zumindest auf mich wirkte es so in der Ausstellung in Binz. Außer der „höchsten Sandburg der Welt“ sind alle Skulpturen überdacht.
Die 46 Sandkunstwerke wurden von Frauen und Männern aus Russland, der Ukraine, Holland, Polen, Tschechien, Lettland, Littauen, Ungarn, Deutschland/Griechenland und den USA angefertigt. Die Themenvielfalt ihrer Werke ist ebenso groß wie die Anzahl ihrer Herkunftsländer. Sie haben sich inspiriert aus der Landschaft, der Geschichte, dem Film, der Politik, der Musik, der Natur (Insekten) und anderen Bereichen, die unser Leben tangieren. Hier hat sich im Laufe der Jahre eine Kunstszene gefunden, die Großes schaffen vermag und damit großen und kleinen Besuchern viel Freude bereiten kann. Dazu braucht es auch einer organisatorischen Struktur. Das Herz des Sandskulpturenfestivals in Binz ist seit Jahren die holländische Familie van den Dungen. In ihrer Firma Skulptura Projects laufen alle nötigen Fäden zusammen, um ein solches Gesamtkunstwerk auf die Beine zu stellen.
Die Ausstellung auf der Festwiese Binz (Proraer Chaussee 15) war zuerst bis zum 3. November 2019 geöffnet und wurde dann bis zum 5. Januar 2020 verlängert. Einen besseren Beweis für die Akzeptanz beim Publikum kann es für eine Ausstellung nicht geben. Termine für eine neue Ausstellung in diesem Jahr wurden in Binz noch nicht bekanntgegeben. Wer einen Weg dorthin hat und sich Sandskulpturen höchster Qualität ansehen will, kann aber immer mal über den folgenden Link bei den Veranstaltern vorbeischauen. (www.sandfest-ruegen.de )
Anton Potche

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