Seit
zehn Jahren gibt es auf der Ostseeinsel Rügen ein Sandfest, das seit
2012 im Ostseebad Binz beheimatet ist. Nun mag man schnell an einen
überdimensionalen Kindersandspielplatz denken oder an
Sandburgenbauen am langen und breiten Strand. Das gibt es dort oben
im Nordostzipfel der Republik natürlich auch alles. Das Sandfest
verkündet aber schon in seinem expliziten Namen mehr:
Sandskulpturenfestival 2019. Und das Motto dieser
Jubiläumsveranstaltung deutet auf Kunstwerke hin: „Das Fundament
der Vielfalt ist die Einzigartigkeit.“ (Ernst Ferst).
Ein
Aspekt der „Einzigartigkeit“ ist auch die kurze Lebensdauer
dieser Kunstwerke. Ein gemaltes Bild kann Jahrhunderte überdauern
und Werke der bildenden Kunst in Bronze, Stein, Eisen usw. sogar
Jahrtausende. Die älteste Sandskulptur wurde im Freien gerade mal
zwei Jahre alt. Sie stand in Kalifornien. Und in den Niederlanden
hielt es ein Sandkunstwerk einmal 21 Monate bei Wind und Wetter aus.
(Überdachte Skulpturen aus Sand haben eine längere Lebensdauer –
sogar Jahrzehnte.) Man fragt sich dabei unwillkürlich, was das für
Menschen sind, die sich einer körperlich so mühevollen und
künstlerisch so anspruchsvollen Aufgabe hingeben, ohne einen
Anspruch auf nachhaltigen und überprüfbaren Künstlerruhm zu
erheben. Da scheinen altruistische Kunstbesessene am Werk zu sein.
Und
die arbeiten nach strikten Regeln. Als Ingolstädter musste ich
sofort ans Reinheitsgebot für Bier denken, als ich erfuhr, dass die
Sandskulpturenkünstler keinerlei Bindemittel beim gestalten ihrer
Arbeiten benutzen. Nur Wasser und Sand. Und auch nicht jeder Sand
eignet sich zum „Compacten, Carven, Levellen oder Wacken“, wie
die meist aus dem Amerikanischen stammenden Arbeitsschritte alle
heißen. Einen dazu günstigen Sand findet man im Fluss Maas in
Noord-Brabant (Holland) – dort hat man sich sogar auf die
fachgerechte Zusammenmischung des Sandes für Sculpture Events
spezialisiert – und aus Zirkow auf der Insel Rügen.
Die
Sandbildhauer müssen sich ihre Grundform zum „Steinmetzen“ erst
einmal erschaffen. Sie machen das mit Holzformen, die mich ans
„Kotstoonmache“ im Banat meiner Großeltern und Eltern aber auch
an Gießereikokillen erinnerten, Letztere aus meiner Lehrzeit anfangs
der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Sie müssen mit erheblich
körperlichem Einsatz „stampfen, bespritzen, stampfen, bespritzen“,
und das so lange, bis der Sand die nötige Konsistenz zum Bearbeiten
mit „Tools und Tooltjes“ bekommen hat. Was dabei herauskommt,
kann schon wirklich beeindruckend sein. Zumindest auf mich wirkte es
so in der Ausstellung in Binz. Außer der „höchsten Sandburg der
Welt“ sind alle Skulpturen überdacht.
Die
46 Sandkunstwerke wurden von Frauen und Männern aus Russland, der
Ukraine, Holland, Polen, Tschechien, Lettland, Littauen, Ungarn,
Deutschland/Griechenland und den USA angefertigt. Die Themenvielfalt
ihrer Werke ist ebenso groß wie die Anzahl ihrer Herkunftsländer.
Sie haben sich inspiriert aus der Landschaft, der Geschichte, dem
Film, der Politik, der Musik, der Natur (Insekten) und anderen
Bereichen, die unser Leben tangieren. Hier hat sich im Laufe der
Jahre eine Kunstszene gefunden, die Großes schaffen vermag und damit
großen und kleinen Besuchern viel Freude bereiten kann. Dazu braucht
es auch einer organisatorischen Struktur. Das Herz des
Sandskulpturenfestivals in Binz ist seit Jahren die holländische
Familie van
den Dungen.
In ihrer Firma Skulptura
Projects
laufen alle nötigen Fäden zusammen, um ein solches Gesamtkunstwerk
auf die Beine zu stellen.
Die
Ausstellung auf der Festwiese Binz (Proraer Chaussee 15) war zuerst
bis zum 3. November 2019 geöffnet und wurde dann bis zum 5. Januar
2020 verlängert. Einen besseren Beweis für die Akzeptanz beim
Publikum kann es für eine Ausstellung nicht geben. Termine für eine
neue Ausstellung in diesem Jahr wurden in Binz noch nicht
bekanntgegeben. Wer einen Weg dorthin hat und sich Sandskulpturen
höchster Qualität ansehen will, kann aber immer mal über den
folgenden Link bei den Veranstaltern vorbeischauen.
(www.sandfest-ruegen.de
)
Anton
Potche
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