Die
Pandemie hat uns voll im Griff. Das Coronavirus SARS-CoV-2 wütet
weltweit und droht alle Lebensbereiche zu
infizieren, nicht nur menschliche Lungen. Und das in einer Zeit, in
der die Medizin und die ihr zuarbeitenden Wissenschaften auf einem
sehr fortgeschrittenen Niveau
sind. Unser täglicher Informationsbedarf wird weniger von
Nachrichtensprechern als mehr von Virologen befriedigt. Das
führt dazu, dass wir zumindest verstehen können, was hier mit uns
passiert. Wie muss eine solche Katastrophe aber auf Menschen gewirkt
haben, die in einer
Zeit
lebten, als Medizin noch in
den Kinderschuhen stak und
keine Wissenschaftler
Verhaltensanweisungen zum Eindämmen der grassierenden Seuche über
das Fernsehen und andere Medien geben konnten?
Es
gibt viele alte Schriften und auch schöngeistige Literatur – in
Frankreich soll die Nachfrage nach Albert
Camus
Roman Die
Pest
hochgeschnellt sein –, die
Einblicke in Seuchensituationen gewähren. Ich habe im Sinne dieser
Gedanken nach einem Büchlein aus dem Jahre 1913 gegriffen. Der
banatschwäbische Pfarrer Franz
Demele
schildert in der Ortsmonographie Temesgyarmat
– Ein Beitrag zur Geschichte der Entstehung und Entwicklung dieser
Gemeinde und Pfarre den
Ausbruch einer Epidemie im Dorf, deren wissenschaftliche Erklärung
bis heute auf
unsicheren Füßen steht - virologisch,
mikrobiologisch, epidemiologisch.
Das Dorf Temesgyarmat (oder
einfach Gyarmath) liegt
im rumänischen Banat, unweit von Temeswar, und war bis
zur
Auswanderung der Deutschen
aus
Rumänien (in
der Zeitspanne 1975
bis 1995) unter
dem Namen
Jahrmarkt bekannt. Heute findet man die Ortschaft als Giarmata auf
der Landkarte. Das
Dorf hat eine spannende und gleichsam dramatische
Ansiedlungsgeschichte mit deutschen Siedlern. Die folgende Abschrift
aus Demeles
Büchlein behandelt einen Aspekt jener Zeit.
In
den Sommermonaten des Jahres 1769 war ein großer Transport der
Ansiedler in Gyarmath
eingezogen. Deren größter Teil waren Luxemburger. Dieses kleine
Herzogtum allein hatte an 100 Familien an Gyarmath
abgegeben. Selbstverständlich waren es überwiegend Menschen im
blühendsten Alter, zumeist junge, kräftige Leute mit 20 – 30
Jahren. […] Schon im
Herbst und Winter aber kamen einzelne Erkrankungen vor: Darmkatarrhe,
Diarrhöen, manchmal bis zur Ruhr gesteigert. Man betrachtete dies
jedoch nicht als etwas Auffälliges. […] Das dauerte so still und
unauffällig den ganzen Winter und auch den Frühling 1770 hindurch
fort. […]
Pfarrer
Josef
Wohlfahrt,
welcher im Juli 1769 von Schöndorf
an Stelle des hier verstorbenen Pfarrers Grimer
nach Gyarmath
kommt und mit den Ansiedlern viel Mühe und Plage hatte, geht 1770 zu
Beginn der Sommerarbeit, wo es im Dorfe still zu sein pflegt, zum
Besuche seiner greisen Eltern und der Franziskaner-Kaplan Ignaz
Hubert
bleibt allein. Seine
Arbeit wird immer mehr und massenhafter. Er wird täglich öfter,
häufig zur Nachtzeit, zu Kranken gerufen, es sind jeden Tag 3 – 4
Begräbnisse. Er gewahrt in jedem Hause dieselben
Krankheitserscheinungen. Die Kranken klagen allgemein, sie hätten
das „ungarische Fieber“. Sie
fühlen sich matt, Hände und Füße sind schwer, das Gemüt ist
krank, sie sind gleichgültig und teilnahmslos gegen alles, bald
fangen sie an in Fieberhitze zu glühen, verlieren die Besinnung,
stumpf und bewußtlos, nur nach Wasser schmachtend, liegen sie auf
ihren ärmlichen Lagern und siechen dem Tode entgegen. Und wo in den
unvollendeten Häusern auch mehrere Familien zusammengepfercht,
gestern nur ein Kranker lag, dort ächzen heute schon 3 – 4
Familienangehörige, morgen liegt schon das ganze Haus
voll unbehilflicher und nach Wasser stöhnenden Menschen. Nur die
Säuglinge und Greise scheint das Übel zu meiden. Jene aber reibt
der Mangel an Pflege auf, diese brechen unter der Krankenpflege der
Hausleute zusammen. Kaplan
Hubert
verständigt die Behörden und ruft in einem Eilbrief den Pfarrer
nach Hause. Dieser findet die Gemeinde in ganz anderem Zustande, als
er sie verlassen. Die ganze Gemeinde hindurch, fast Haus für Haus
Kranke, als ob da ein großes Spital wäre! „Das Grab der
Deutschen“, das Banat mit seinem giftigen Klima räumt schrecklich
auf unter den durch Strapazen geschwächten und entkräfteten
Ansiedlern, es sind Mitte Juli 1770 alltäglich 5 – 6 Begräbnisse,
im August steigt ihre Zahl auf 6 – 8 täglich und im September
erreichen
dieselben den Höhepunkt: es sind jeden Tag 10 – 13 Begräbnisse!
Überall Kranke und
Stöhnende, niemand zur Pflege, Pfarrer und Kaplan sind unablässig
auf den Füßen, doch was vermögen sie und die hierher gesandten
Militärärzte? Sie können unter den gegebenen Verhältnissen dem
Übel, einem typhösen Fieber, nicht steuern, von
den kaum errichteten neuen Holzhäusern wird eines nach dem anderen
wieder leer und verlassen! Am ärgsten herrscht das Übel unter den
Luxemburgern, diese große Menge stirbt allmählich fast gänzlich
aus. […] Verzweifelt schreibt Pfarrer Wohlfahrt auf das Vorblatt
des damaligen Sterbeprotokolles die Worte: „Im Juli 1770 ist unter
den neueingewanderten Ansiedlern das große Sterben ausgebrochen. Der
Friedhof ist voll. Was soll aus der Gemeinde werden!?“ Ja, der
Friedhof um den alten Kirchplatz war voll geworden. Er war bisher
gewohnt, jährlich 10 – 15 Menschenkindern Raum zu geben und jetzt
brachte man jeden einzelnen Tag soviel dahin. Er mußte sich füllen
und man war gezwungen, weiter Flächen in der heutigen Altgasse gegen
die heutige Schule und die gegenwärtige Doktorswohnung hin,
dazuzunehmen und auch diese füllten sich bald. Im
November endlich beginnt die Epidemie etwas gelinder zu werden, doch
dauert die Sterblichkeit auch noch kommendes Jahr weiter: von Mitte
des Jahres 1770 bis zur Mitte des Jahres 1771 wurden in Gyarmath
555 Menschen beerdigt und wie viele siechten noch später an den
Nachfolgen der Krankheit dahin, ohne sich je mehr erholen zu können!
Die Seelenzahl der Gemeinde, welche durch den Zufluß von
Auswanderern schon damals über 2500 hätte, sank bald wieder auf
1500 hinab und konnte erst im Jahre 1805 das zweite Tausend
überschreiten.“
Die
Variante des „ungarischen Fiebers“ wurde auch von Autoren
nachfolgender lokalgeschichtlicher Werke übernommen.
Dass man unter den
Siedlern vom „ungarischen Fieber“, heute auch als „ungarische Krankheit“ oder wissenschaftlich als „morbus
hungaricus“
bezeichnet, sprach, ist
dahingehend nachvollziehbar, als dass diese Krankheit schon
seit 1566 auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bekannt war. Damals brach eine bis dahin unbekannte Seuche in einem Militärlager bei Komorn in der von Sümpfen durchzogenen nordungarischen Tiefebene aus. Schon zu Zeiten Maximilians
II. war der Spruch
„Ungerland
ist der Teutschen Kirchhof“
bekannt.
Ich
bin mir sicher, Prof. Christian
Drosten
würde mit seinem Team auch heute noch anhand geschichtlicher
Berichte herausfinden (natürlich
mit den entsprechenden Korrekturfaktoren), an welcher Krankheit
meine Vorfahren in Jahrmarkt vor 250 Jahren gestorben sind. (War
es vielleicht doch nur Typhus oder etwas ganz anderes?) Aber dazu wird er zurzeit leider keine Zeit haben. Denn seine Kraft
benötigt er, wie viele seiner Kollegen auch, nicht nur zur Forschung und
Aufklärung, sondern auch zum Einbremsen der jeder Vernunft abholden
Coronapartyfans. Wenn es überhaupt irgendetwas Beruhigendes an der jetzigen
Situation gibt, dann ist es das Vertrauen unserer
Politiker in die Wissenschaft. Wir wissen ja, dass es auch anders
laufen kann. Siehe China, Amerika, Iran und wahrscheinlich bald Russland. Als
einer, der fast die Hälfte seines Lebens in einem totalitären Staat gelebt hat, weiß ich natürlich sehr wohl, zu was Verharmlosung & Vertuschung &
Verfälschung
führen kann.
Anton
Potche
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