In der letzten Zeit hat er sich rar gemacht. Zumindest dem Schein
nach, seit er nicht mehr in der ersten Sitzreihe des Bundestages und
auch selten am Rednerpult zu sehen ist: Gregor Gysi. Der Mann,
bei dessen Auftritten in der Öffentlichkeit man sich nie langweilt.
Dabei muss man kein Anhänger der dunkelroten Die Linke
sein. Nein, es reicht politisches Interesse, und dabei die
Fähigkeit zu besitzen, auch andere Meinungen neben der eigenen zu
akzeptieren. Zustimmen muss man ihnen ja nicht, aber wenn man sie
akzeptabel findet, darf man schon darüber nachdenken, ohne sich
dabei gleich gegen die eigene Parteipräferenz zu versündigen.
Gregor Gysi in Ingolstadt
Fotos: Anton Potche
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So stand er da, am kalten Nachmittag des 27. Februar 2020, vor dem
Szenencafé Tagtraum auf dem Ingolstädter Paradeplatz und machte
Kommunalwahlkampf für seine Ingolstädter Genossen. Gregor Gysi.
Wie er leibt und lebt. Und wie man ihn kennt aus dem Bundestag und
unzähligen Talk Shows. (Der Journalist Christian Silvester
meint im DONAUKURIER, es wären, „überspitzt geschätzt, drei
Monate“ am Stück gewesen.) Natürlich hatte Gysi auch
etwas zum Klima zu sagen: „Schnee habe ich heuer noch keinen
gesehen.“ Prompt brach zwei Stunden später ein heftiger
Schneesturm über der Region um Ingolstadt los. Da sage noch einer,
der Himmel würde Männer wie Gysi nicht erhören. Und der
Wahlkämpfer sah auf seine Handuhr und meinte, er müsse noch am
gleichen Tag nach Würzburg zu einer anderen Veranstaltung. Der Sturm
kam von Westen. Ob Gregor Gysi die Mainmetropole pünktlich
erreichte, war den Medienberichten der folgenden Tage nicht zu
entnehmen.
Den etwa 100 Zuhörern in Ingolstadt konnte es wurscht sein: Sie
hatten ihren politischen Genuss. Gysi argumentiert gelassen
ohne Tobsuchtanfälle a la Aschermittwoch – obwohl er auch dort
einen Tag vorher zugegen war – und wirft ab und zu einen Blick auf
sein vom langsam aufkommenden Wind verwehtes Manuskript. „Danke,
das brauch ich noch“ - zu einem Zuhörer. Aber nur um den Faden
nicht zu verlieren. Zu jeder Überschrift sagt er ein zwei Sätze und
steuert fast immer zielsicher auf eine Pointe zu, die vom Publikum
begeistert goutiert wird. So, wenn er zum Beispiel wie nebenbei
erwähnt, dass er sich köstlich darüber amüsiert habe, wie Donald
Trump in einer Sitzung der Vereinten Nationen der 17-jährigen
Greta Thunberg 20 Minuten lang zuhören musste. „Er konnte
sie nicht unterbrechen und er konnte ja auch nicht weg.“
Unterhaltsam, amüsant, aber trotzdem fernab jedweder Comedy. Das ist
seriöse Politik im wahrsten Sinne des Wortes, was Gregor Gysi
hier mit dem Tagtraum im Rücken und dem Neuen Schloss inklusive
Militärmuseum vor sich den Zuhörern mit auf den Weg gibt. Er
spricht internationale, nationale und kommunale Themen an, die uns
alle berühren.
Auch die heimischen Linken, können sich von Gysis
Anspielungen ein Stückchen abschneiden. Denen wünscht er eine
erfolgreiche Kommunalwahl „ohne Zersplitterung“. Die Ingolstädter
Linken waren nämlich 2014 mit zwei Stadträten in den Stadtrat
eingezogen. Jetzt, 14 Tage vor der nächsten Wahl, ist längst keiner
der beiden mehr als Linker dabei. Sie haben sich eine andersfarbige
politische Kapuze übergestülpt. Und die jetzt antretenden Linken
haben sich gleich zu ihrem Neustart etwas (aus Sicht der anderen
Parteien) ganz Verrücktes einfallen lassen. Sie wollen (falls sie
den Einzug schaffen) nach einem Rotationsprinziep im neuen Stadtrat
agieren, das heißt, die Legislaturperiode für sich von sechs Jahren
auf je zwei mal drei Jahre aufteilen, damit sie, die Linken in
Ingolstadt, „nicht korrupt werden“, wie Christian-Linus
Pauling, ihr OB-Kandidat, es sinngemäß formuliert hat.
Vielleicht war Gysis diskreter Fingerzeig auch eine Anspielung
auf diese Rotation, einschließlich in letzter Zeit anscheinend so
unumstößlicher Parteitagsbeschlüssen, die politische Gremien
schnell in Schockstarre versetzen können. Siehe Thüringen. Er
selber, Gysi, hat schon so viel in seinem politischen Leben
mitgemacht, dass er nur schwer zu schockieren ist. Also machte er
sich auch von Ingolstadt aus auf den Weg zu neuen / alten politischen
Auseinandersetzungen. Dabei haderte er noch schmunzelnd mit seinen
Veranstaltungsplanern, die ihm – immerhin schon 72 Jahre alt –
noch einiges an Terminen zumuten.
Anton Potche
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