Täsch ist eine Gemeinde im
deutschsprachigen Teil des Kantons Wallis in der Schweiz. Hier
beginnt der rumänische Religionswissenschaftler, Philosoph und
Schriftsteller Mircea Eliade an einer Prosaarbeit zu
schreiben: Auf der Mântuleasa-Straße.
Das war im August 1955. Im November 1967 bekommt das epische
Kunststück seinen letzten Satz … in Chicago.
Zwölf Jahre Arbeit an einem
Roman. Wer nun auf einen 1000-Seiten-Schinken tippt, wird enttäuscht.
Der Roman ist nicht mehr als eine umfassende Erzählung, die es aber
auf 167 Seiten in sich hat. Irrungen und Wirrungen ohne Ende. Was
dazu führte, dass Kritiker auch von einer „fantastischen Novelle“
reden. Die zwölf Jahre Schreibzeit sollen auch von einer oder
mehreren Schreibunterbrechungen gekennzeichnet gewesen sein.
Vielleicht konnte der in jungen Jahren faschistisch gesinnte Eliade
sich nur schwer zwischen der Siguranța
(Geheimdienst der Antonescu-Diktatur) und der Securitate
(Geheimdienst der kommunistischen Diktatur) entscheiden. Die Ehre
bekam dann die Securitate. Der wiederum hat diese Wertschätzung gar
nicht gefallen, so dass der in 15 Sprachen übersetzte Text zuerst in Französisch und Deutsch als Buch herauskam, bevor er in
der Anthologie În curte la Dionis
(Im Hof bei Dionysos) – mir ist davon keine deutsche
Fassung bekannt – in seiner Originalsprache Rumänisch
veröffentlicht wurde. Es ist staunenswert genug, dass das Buch
überhaupt noch zur Regierungszeit Ceaușescus
erscheinen konnte, und zwar 1981 im
Bukarester Verlag Cartea Românească.
Im
Zentrum der Handlung steht der pensionierte Schuldirektor einer
Schule in der Mântuleasa-Straße, und um ihn scharen sich
verschiedene Figuren aus Geheimdienst und Behörden. Alle wollen von
ihm jeweils anderes, ihren eigenen Interessen entsprechendes Wissen.
Und alle werden von dem alten Mann vorgeführt. Nicht genug, dass
seine Schilderungen sich auf Ereignisse, die Jahrzehnte zurückliegen,
stützen und seine Protagonisten zum Teil Personen mit magischen
Eigenschaften sind; seine Art, von einem Detail ins andere zu
gleiten, bringt die ihn Verhörenden auch um die letzte Portion
Geduld. Bei Schuldirektor a. D. Zaharia Fărâmă
klingt das dann so: „Aber das ist nichts, gemessen an dem,
was ich in Câmpulung gesehen habe.“ Und
schon ist er auf einer anderen Schiene. Und die, die Ausdauer der
Vernehmer strapazierenden, Ausschweifungen rechtfertigt er dann so:
„Wie soll ich Ihnen die Fortsetzung erzählen, ohne zurückzugreifen
und über Lixandru und Darvari zu sprechen, über die neuen
Freundschaften, die sie in Fănică Tunsus Schenke
geschlossen haben? Denn es ist eine lange Geschichte, und um sie zu
verstehen, müßten Sie wissen, was Dragomir und Zamfira passiert
ist.“ Das sind köstliche Passagen, wenn man sich dabei die
ungeduldigen Fratzen der Fragesteller vorstellt.
Während dieser „langen
Geschichten“ kollidieren die Interessen der den Alten
ausforschenden Personen. Es kommt zu gegenseitigen Verdächtigungen,
einer Amtsenthebung und sogar zu einem Selbstmord. Nur Fărâmă
bleibt zum Schluss mit seinen fantastischen Erzählungen von
einer Parallelwelt unter den Straßen Bukarests ohne größeren
Schaden zurück - vielleicht wegen den Verhören und den vielen
Schreibereien schneller gealtert.
Alle diese handelnden Figuren
wirken ziemlich blass im Vergleich zu denen aus Fărâmăs
Erinnerungen. Da schillert es nur so von magischem Realismus, wenn es
an einer Stelle heißt. „So waren alle Zeuge, wie Oana mit
flatternden Haaren nackt über den Bergkamm rannte und der Stier
hinterdrein. Sie sahen, wie Oana plötzlich im Laufen innehielt, sich
vornüber beugte und dann laut aufschrie, wenn der Stier in sie
eindrang. Der Stier schlug mit den Hufen aus und brüllte
ohrenbetäubend, während er sie besprang. Eine ganze Weile blieben
die beiden so vereint, und die Leute aus dem Dorf begafften sie.“
Immerhin faszinierend genug, damit eine Ministerin sich für diese
2,42 Meter große Frauenperson interessierte. Und zwar so hartnäckig,
bis sie ihren Posten los war.
Hier hat ein Schriftsteller
seiner Fantasie ungehemmt freien Lauf gelassen. Und was herauskam,
fasziniert heute noch so manchen Leser, auch wenn das Thema der
griechischen Mythologie entlehnt ist. Wenn man von einem magischen
Realismus spricht, sollte man aber immer neben der irrealen Welt auch
die reale, aus der das Irrationale sich speist, sehen, sprich, die
autobiografische Nuance eines Textes im Auge behalten.
Mircea Eliade hat die hier literarisch verewigte Schule in der
Mântuleasa-Straße von 1914 bis 1917
besucht. Und wer sich der Mythenwelt seines Haupthelden Fărâmă
hingibt, wird die damit zugebrachte Zeit bestimmt nicht
bereuen. Dass Mircea Eliade die Securitate eigentlich nie
direkt kennengelernt hatte wie etwa Herta Müller und die
Aktionsgruppe Banat, schmälert die literarische Qualität dieses Buches schon darum nicht, weil die Protagonisten des Apparats sowieso nur
Statistenrollen ausfüllen. Die magischen Kräfte entfalten sich in
den Gestalten der Zwischenkriegszeit, die in Zaharia Fărâmăs
Geschichten reüssieren.
Anton Potche
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