Die
heurigen Tage der deutschsprachigen Literatur, auch unter dem Namen
Bachmann-Preis bekannt, sind Vergangenheit. Es waren die 44-sten. Und
sie waren weiß Gott nicht normal – wie so viel in diesen Tagen von
Corona und Covid. Sie gingen am vergangenen Wochenende in Klagenfurt
über die Bühne. Das kann man zwar so sagen, weil man es nicht
anders kennt. Der Wahrheit entspricht es aber mitnichten oder, im
besten Fall, nur zum Teil. Denn die Protagonisten waren zu Hause,
Autoren wie Juroren. Im Studio waren leere Zuschauerreihen, ein
Moderator und ein Justiziar – schließlich und endlich war ja auch
das ein Wettbewerb oder Bewerb, wie die Österreicher sagen, wie in
allen anderen Jahre zuvor auch. So gesehen, war viel nicht normal.
Aber nach vier Tagen Zuschauen (von Donnerstag bis Sonntag) fiel mir
der Unterschied gar nicht mehr auf. Videokonferenzen und unzählige
Kultur-YouTube -Formate wurden im ersten Halbjahr 2020 Normalität.
Also ward die Abnormalität auch hier zur Normalität: die ersten
digitalen Tage der deutschsprachigen Literatur (TddL).
Und
siehe da, es war doch auch in diesem Jahr wie immer. Autorinnen und
Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben gelesen
und Literaturkritiker haben anschließend über das Vorgelesene
gesprochen: sachlich, hitzig, objektbezogen, ausschweifend,
theoretisierend, lobend, verwerfend, kritisch und – man höre und
staune – sogar selbstkritisch. Und die Texte? Na ja.
Geschmackssache. Wie eh und je. Neun Frauen und vier Männer haben
ihre Texte vorgelesen, von zu Hause. Außer der autobiographischen
Erzählung von Helga Schubert (80 Jahre alt) würde mich kein
vorgetragener Text zwecks eventuellem Erwerb zum Geldausgeben
bewegen. Das wäre selbst bei etwaigem Interesse auch gar nicht
nötig, denn die Texte sind auf der Homepage des Bachmann-Preises als
PDF-Datei einsehbar.
Leonhard Hieronymi liest in Klagenfurt
FotoQuelle - Videoausschnitt;
https://bachmannpreis.orf.at/stories/ondemand/
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So
kann man auch die
Arbeit
von Leonhard
Hieronymi
(*1987)
lesen. Er schreibt über drei junge Männer, die sich in den Kopf
gesetzt haben, das Grab Ovids im fernen (aus deutscher Sicht) Tomis
zu besuchen. (Der
Autor benutzt den selten gebrauchten Namen Tomi.) Ihr
Besuch erschöpft sich dann in der lapidaren Textpassage:
„Nachdem wir von den Uferpromenaden aus einen
Balkon bestiegen hatten, sahen wir sie endlich, die eingerahmten
Ruinen von Tomi. Eine gräuliche, nur wenige hundert Quadratmeter
umfassende Ansammlung von zerfallenen Mauern; ein weißes
Wärterhäuschen am Rand und ein Schild, das verblichen und mit
Asterix und Obelix-Schrift auf die Überreste hinwies. Man konnte,
einfach so, ein kleines Tor öffnen und über die Reste von Tomi
hüpfen, niemand hielt uns auf, der Wärter in seinem Häuschen kaute
gelangweilt an irgendetwas herum. Marius, Pascal und ich sagten kein
Wort.“ Das war‘s dann auch schon. Mehr gibt dieser Ort
anscheinend auch gar nicht her.
Und
die Sehnsucht nach der Antike
schien sich bei dem Ich-Erzähler sowieso
in Grenzen zu halten, denn er
wechselte ziemlich brüsk in die doch (zumindest aus der Sicht eines
Gourmets) etwas verträglichere Gegenwart. Und zwar so: „Vergangenes
Jahr war ich Gast in der Sommerresidenz des rumänischen
Schriftstellers, Revolutionsführers und Fernsehkochs Mircea Dinescu
gewesen, der Ende 1989 bei der Stürmung des Fernsehsenders Studio 4
dabei gewesen war und den Sturz Ceaușescus verkünden durfte. An
einem Abend feierte er im Erdgeschoss mit dem Vorstand der
rumänischen Raiffeisenbank seinen Geburtstag nach. Es gab Kaviar,
gegrillten Donaukarpfen und bergeweise Fleischröllchen mit
hausgemachtem Senf und Champagner.“
Und
so geht es weiter mit der Erkundung Rumäniens durch
einige (wenige) Erlebnisse, die gekürzt und mit der
Nachsicht eines
Feuilletonchefs für eine Reisereportage ausreichen könnten, aber
keineswegs den Ansprüchen eines etablierten Literaturwettbewerbs
genügen können. Dementsprechend fielen dann auch die Urteile der
Juroren aus (vier Männer & drei Frauen). Ich war erstaunt, dass
keinem aufgefallen ist, wie sorglos
der Autor mit historischen Namen
gleich zu Beginn seines Textes umgeht. Das ist nicht mehr als ein
erneuter Beweis dafür, wie weit Südost- von Westeuropa entfernt
ist. Wenn man doch schon weiß, dass man vor einem Fernsehpublikum
(es würde mich freuen, sagen zu können: vor einem
Millionenpublikum) lesen wird, dann sollte man sich doch wenigstens
die Mühe machen, Wörter mit diaktrischen
Zeichen aus dem rumänischen Alphabet korrekt (wenn auch mit fremdem
Akzent) auszusprechen. Brâncoveanu
als
Brancoveanu
zu
erwähnen,
macht den Text für
die
Zuhörer nicht zugänglicher. Vielleicht würde das bei einer
rein literarischen, mit fiktiven Elementen bestückter
Prosa
noch durchgehen, aber in einer Reportage wirkt es
sehr gekünstelt. Und mehr als eine Reportage – ohne diese Gattung
gegenüber der epischen Erzählung
abwerten zu wollen – ist dieser Text nun mal nicht. Trotzdem
hat er mir, grob
betrachtet,
gefallen. Wen wundert‘s? Bei meiner Biografie? Und
einen Text durch eine wie auch immer geartete regionalpatriotische
Brille zu betrachten, ist für mich als Leser immer eine erfrischende
Herangehensweise an
einen Text.
Das die Literaturexperten, das dann oft ganz anders sehen als ich,
kann ich meistens auch nachvollziehen. So war es auch diesmal.
Leonhard
Hieronymi kam
nicht in die engere Wahl der Jury. Darüber habe ich mich nicht
gewundert und war auch nicht enttäuscht. Umso mehr habe ich mich
über die Hauptpreisträgerin gefreut, und das nicht nur wegen ihrer
vorgetragenen Lesung, sondern weil
ich schon während des Wettbewerbs auf Helga
Schubert gesetzt
hatte. Wenn
sich das jetzt nach Eigenlob
anhört,
so gibt es dafür einen plausiblen Grund.
Tja,
den gleichen oder ähnlichen literarischen Geschmack wie Hubert
Winkels
(Köln / Berlin), Nora
Gomringer
(Bamberg), Klaus
Kastberger
(Graz), Brigitte
Schwens-Harrant
(Wien), Philipp
Tingler
(Zürich), Michael
Wiederstein
(Zürich) und Insa
Wilke
(Frankfurt) zu haben, lässt mich vor Stolz erröten.
Und
weil es so unsäglich schwer ist, einen Text zu beenden, ohne ihn
überhaupt mit
dem Anfang
begonnen zu haben, möchte ich das Versäumte hier nachholen. Wie
jeder TddL-Wettbewerb hatte auch dieser mit einer Rede
zur Literatur begonnen. Gehalten hat sie Sharon
Dodua Otoo,
Preisträgerin
2016.
Und
sie, die
Rede,
bestand aus einer einzigen rhetorischen
Titel-Frage,
Dürfen
Schwarze Blumen Malen?,
versehen
mit
vielen Sätzen, Nebensätzen und zum
Schluss befriedigt
mit einer
einfachen
Antwort: „Ja. Je mehr
desto besser.“ ... Würde ich auch sagen.
Also
so gesehen, war das für mich durchaus ein erfreuliches Wochenende …
Wäre
da nicht diese Nachricht vom Tode eines Schulkollegen aus meinen
Kinder- und Jugendjahren … Und
damit verbunden die bei mir immer häufiger auftretende Erkenntnis,
dass man sich diesem gewissen Ende nähert … Unausweichlich
… Wie
jeder Text … Ob
jugendfrisch oder altersschwach.
Anton
Potche
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