Erwin
Wittstock: Zineborn, Erzählungen 1920-1929, Union Verlag Berlin &
Kriterion Verlag Bukarest, 1982; Hardcover 427 Seiten; DDR 15,80 M
(erhältlich bei verschiedenen Internet-Anbietern).
Dieses
Buch kostete in der DDR 15,80 Mark. Dort wurde es 1982 vom Union
Verlag Berlin aufgelegt. Das war eine Gemeinschaftsausgabe mit dem
rumänischen, korrekter: rumäniendeutschen, Kriterion Verlag
Bukarest. Und diese Zusammenarbeit hat sich gelohnt. Das Resultat ist
ein Erzählband mit sehr interessanten und zum Teil unterhaltsamen,
aber auch verstörenden Einblicken in die reale und manchmal auch
irreale Welt der Siebenbürger Sachsen um die Zeit von 1920 bis 1929,
wenn man diesen Entstehungszeitraum der hier versammelten Erzählungen
auch als Inspirationsquelle des Autors betrachtet.
Erwin
Wittstock ist der Schöpfer dieser zum Teil als belletristische
Leckerzbissen wahrnehmbare Prosastücke. Er wurde 1899 in
Hermannstadt (Rumänien) geboren und starb 1962 in Kronstadt.
Dazwischen lag ein bewegtes Leben mit einer freiwilligen Teilnahme am
Ersten Weltkrieg – man erinnere sich an die Kriegseuphorie vieler
deutscher Intellektueller -, einem Jurastudium in Klausenburg,
Rechtsanwaltstätigkeiten in Hermannstadt und Kronstadt, aber auch
Zeiten, in denen er einer freien Schriftstellerei nachging. Das
Ergebnis dieses ereignisreichen Lebens – auch mit Aufenthalten in
Berlin und im tschechischen Hammer am See (Hamr na Jezeře)
– ist ein literarisches Œvre,
das sich sowohl quantitativ als auch qualitativ sehen lassen kann.
Dass seine Schriften gleichsam von den Nazis und den Kommunisten als
zumindest nicht systemgefährdend und gleichermaßen ideologiefrei
akzeptiert wurden, spricht für eine gewisse Neutralität von
Wittstocks Themen. Für eine derartige Akzeptanz (oder auch
nur Duldung) bietet sich Regionalliteratur förmlich an. Eine solche
hat Erwin Wittstock auch geschrieben. Und das in einer Art und
Weise, dass man seine literarische Tätigkeit mit 30
Buchveröffentlichungen in den Städten Hermannstadt, Schässburg,
München, Leipzig, Prag, Hamburg, Bukarest, und Ostberlin durchaus in
einem gesamtdeutschen Literaturlexikon erwähnen kann. Im Lexikon
der Weltliteratur von Gero von Wilpert wird Erwin
Wittstock dann auch als ein „Erzähler von Romanen und Novellen
bes. aus dem Leben der Siebenbürger Sachsen“ geführt.
Wie
zutreffend die Apostrophierung ist, kann man schon in den in jungen
Jahren verfassten Erzählungen Erwin Wittstocks erkennen. Die
meisten von ihnen sind in dieser DDR-Ausgabe veröffentlicht: 18 an
der Zahl.
Es
geht los mit einem Herodesspiel. Als Banater Schwabe wurde ich
natürlich an die „Chriskindche-Gruppe“ oder die „Drei Keenich“
erinnert, die im Winter in den banatschwäbischen Dörfern von Haus
zu Haus zogen und ihre Botschaften überbrachten. Der ethnologische
Wert einer solchen Erzählung sollte bei einer Rückbetrachtung
natürlich nicht aus den Augen verloren werden. Auch sprachlich gibt
der Text Einiges her. Beim lesen wird einem schnell klar, wie die
Sprache sich seit der Entstehung dieses Textes verändert hat – in
knapp 100 Jahren.
Ein
Ausflug mit Onkel Flieha lässt ganz andere Betrachtungen
zu: sachliche Schilderung gepaart mit einem Schuss gesunden
Sprachwitz. Der Onkel des Ich-Erzählers war „Sargtischler“ und
„Leichenträger“. Seine dem Jägerlatein um nichts nachstehende
Schilderungen klingen so: „Dies Hündchen, das auf ungeklärte
Weise dem Leichenzug seines Herrn bis zum Friedhof gefolgt war, war
nämlich mit einemmal laut kläffend zwischen die Beine des Pfarrers,
der gerade das Vaterunser betete, geraten und hatte sich in seinem
langen Ornat derart verwickelt, daß der Pfarrer ins Grab fiel und
mit lautem Krachen auf den Sarg des Ambrosius aufschlug und er, der
Flieha, die größte Mühe hatte, ihn wieder ans Tageslicht
emporzuziehen.“
Dieses
Buch ist schon darum mehr als ein schlichter Band mit Erzählungen,
weil er ein wahrlich literaturwissenschaftliches Nachwort enthält,
das von keinem Geringeren als dem Sohn des Autors, Joachim
Wittstock (*1939), verfasst wurde. Ferner gibt es ausführliche
Informationen in extra Anhängen: Zur Entstehung und
Veröffentlichung der Erzählungen, Anmerkungen zu dieser
Auswahl sowie Wort- und Sacherklärungen. Das ist alles
sehr wichtig, handelt es sich doch weitgehend um Geschichten, die in
einem geografisch präzise definierten Raum spielen: in
Siebenbürgen.
Schon
der Buchtitel, Zineborn, ruft regelrecht nach
Aufklärung – zumindest für Nichtsiebenbürger. Das war auch dem
noch immer in Siebenbürgen lebenden und schreibenden Joachim
Wittstock klar, denn er klärt gleich zum Anfang seines
Nachwort-Essays auf: „Zineborn in der Fachliteratur mit
verdoppeltem n geschrieben, ist ein auch heute gebräuchlicher
Birthälmer Flurname, der sein Vorhandensein einer Quelle verdankt,
einem Born, womit die sächsischen Dialekte und mit ihnen die
heimische Sprachwissenschaft eine ‚größere aus der tiefe kommende
Quelle im freien Feld, Walde d.h. im Naturzustande, im Gegenteil zum
eingefaßten Brannen‘ bezeichnen.“
Auf
den Fluren meines Banater Heimatdorfes Jahrmarkt gab es die
„Brinncher“. Jetzt könnte ich über vergleichende Etymologie und
Ethnografie nachsinnen. Auch das bietet sich beim Lesen dieser
Erzählungen über das Leben um den „Zineborn“ an – und ist für
mich ein Grund, dieses Buch mit gutem Gewissen weiterzuempfehlen.
Anton
Potche
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