Es gibt sie wahrscheinlich schon so
lange, wie es denkende und fantasierende Menschen gibt: die
Verschwörungstheoretiker. Noch nie hatten sie es aber so leicht wie
heute, ihre erfundenen oder übernommenen und noch ein bisschen
ausgeschmückten Geschichten als Wahrheit an den Mann & die Frau
zu bringen. Das Medienzeitalter wird auch als Zeitalter der
Verschwörungstheorien in die Geschichte eingehen. Und wenn man so
über dieses Gesellschaftsphänomen nachdenkt, muss sich der eine
oder andere eingestehen, dass auch er schon solchen Märchenerzählern
auf den Leim gegangen ist oder zumindest nahe dabei war, zu glauben,
was so spannend, aber bei genauem Hinsehen doch nur bedingt
glaubwürdig daherkam.
Ich habe kürzlich im SPIEGEL ein
Interview, das die Journalisten Jörg Diehl und Wolf
Wiedmann-Schmidt mit dem Chef des Hamburger Verfassungsschutzes
Torsten Voß geführt haben, gelesen. Die Journalisten
brachten auch die Anhänger der QAnon-Bewegung ins Gespräch, die
sich „auf den Demos tummeln“ und Verschwörungstheorien
verbreiten, „wonach Politiker Kinder entführen und aus ihrem Blut
ein Verjüngungselixier herstellen.“ Die Antwort des Beamten bezog
sich auf einen nicht bewiesenen aber möglichen Einfluss solcher
absurden Theorien (eingeschleppt aus Amerika) auf den
Rechtsextremismus. Er spricht von „einer Art Einstiegsdroge“ in
die rechtsradikale Szene.
Ich erinnerte mich beim Lesen dieses
Interviews an mein Leben in Rumänien -
unter Ceaușescu
und seiner Kamarilla. Sie war nicht
besonders beliebt, die „glorreiche Eiche
aus Scornicești“ alias
„Titan der Titanen”, wie seine Hofpoeten ihn besangen.
Aber Verschwörungstheoretiker hatten ihm den Nimbus der
Unsterblichkeit verpasst. Es zirkulierten damals in den 1980er Jahren
im fast elektrisch-stromlosen Rumänien die verrücktesten
Geschichten über den kommunistischen Diktator. Dazu gehörte auch
die Horrorerzählung mit den in Kinderheimen gezüchteten Kindern,
denen das Blut abgezapft wurde, um es dem „Genie der Karpaten“
zwecks Alterungsbremse einzuspritzen.
Vielleicht war ja doch was dran!
Darum musste man ihn mit seiner Frau, die wahrscheinlich auch mit
Kinderblut geimpft war, erschießen. Sonst würden die zwei heute
noch leben. Sicher ist schon mal, dass eine Verschwörungstheorie
kein Alleinstellungsmerkmal für demonstrationslustige
Demokratiebürger ist, sondern auch in Diktaturen eine ergiebige
Zutat für Gerüchteküchen sein kann.
Anton Potche
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