Montag, 23. November 2020

Verschwörungstheoretiker haben Hochkonjunktur

Es gibt sie wahrscheinlich schon so lange, wie es denkende und fantasierende Menschen gibt: die Verschwörungstheoretiker. Noch nie hatten sie es aber so leicht wie heute, ihre erfundenen oder übernommenen und noch ein bisschen ausgeschmückten Geschichten als Wahrheit an den Mann & die Frau zu bringen. Das Medienzeitalter wird auch als Zeitalter der Verschwörungstheorien in die Geschichte eingehen. Und wenn man so über dieses Gesellschaftsphänomen nachdenkt, muss sich der eine oder andere eingestehen, dass auch er schon solchen Märchenerzählern auf den Leim gegangen ist oder zumindest nahe dabei war, zu glauben, was so spannend, aber bei genauem Hinsehen doch nur bedingt glaubwürdig daherkam.

Ich habe kürzlich im SPIEGEL ein Interview, das die Journalisten Jörg Diehl und Wolf Wiedmann-Schmidt mit dem Chef des Hamburger Verfassungsschutzes Torsten Voß geführt haben, gelesen. Die Journalisten brachten auch die Anhänger der QAnon-Bewegung ins Gespräch, die sich „auf den Demos tummeln“ und Verschwörungstheorien verbreiten, „wonach Politiker Kinder entführen und aus ihrem Blut ein Verjüngungselixier herstellen.“ Die Antwort des Beamten bezog sich auf einen nicht bewiesenen aber möglichen Einfluss solcher absurden Theorien (eingeschleppt aus Amerika) auf den Rechtsextremismus. Er spricht von „einer Art Einstiegsdroge“ in die rechtsradikale Szene.

Ich erinnerte mich beim Lesen dieses Interviews an mein Leben in Rumänien - unter Ceaușescu und seiner Kamarilla. Sie war nicht besonders beliebt, die „glorreiche Eiche aus Scorniceștialias „Titan der Titanen”, wie seine Hofpoeten ihn besangen. Aber Verschwörungstheoretiker hatten ihm den Nimbus der Unsterblichkeit verpasst. Es zirkulierten damals in den 1980er Jahren im fast elektrisch-stromlosen Rumänien die verrücktesten Geschichten über den kommunistischen Diktator. Dazu gehörte auch die Horrorerzählung mit den in Kinderheimen gezüchteten Kindern, denen das Blut abgezapft wurde, um es dem „Genie der Karpaten“ zwecks Alterungsbremse einzuspritzen.

Vielleicht war ja doch was dran! Darum musste man ihn mit seiner Frau, die wahrscheinlich auch mit Kinderblut geimpft war, erschießen. Sonst würden die zwei heute noch leben. Sicher ist schon mal, dass eine Verschwörungstheorie kein Alleinstellungsmerkmal für demonstrationslustige Demokratiebürger ist, sondern auch in Diktaturen eine ergiebige Zutat für Gerüchteküchen sein kann.

Anton Potche

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