Rumänien hat am Nikolaustag
ein neues Zwei-Kammern-Parlament (Abgeordnetenhaus & Senat)
gewählt. Analysten haben schon im Vorfeld der Wahl über die wohl zu
erwartende Wahlbeteiligung spekuliert, verlief der Wahlkampf wegen
der Pandemie doch äußerst mau. Dazu kommt noch, dass das linke
Lager, angeführt von den Sozialdemokraten (PSD) sich von den
internen Reibereien und dem noch nicht lange zurückliegenden Verlust
der Macht (2019) nicht erholt hat. Die Nationalliberalen (PNL)
hingegen profitieren weiterhin von der unverblümten Unterstützung
des rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis. Also zog
man zwei wichtige Wahlen der letzten Jahre zum Vergleich heran. 2016
waren bei der Parlamentswahl nur 39,49 Prozent der Wahlberechtigten
zu den Urnen gekommen, was in der jetzigen Situation nichts Gutes
verhieß. Mehr Zuversicht konnte aber von der heurigen Lokalwahl,
auch schon eine Pandemie-Wahl, ausgehen. Am 27. September lag die
Wahlbeteiligung immerhin bei 46,02 Prozent. Also hieß es abwarten,
denn bei so mancher Wahl lagen die Demoskopen mit ihren Berechnungen
schon weit daneben.
Das galt natürlich auch für
das Wahlergebnis. Laut Umfragen lagen PSD und PNL dicht beieinander.
Die Zahlen schwankten um die 30-Prozent-Marke. Und um die
Wahlinteressen der verschiedenen Parteien bildeten sich nebulöse
Theorien. So meint Marius Ghilezan in der Tageszeitung ROMÂNIA
LIBERĂ, das größte Interesse am
Wahlausgang würde eigentlich Klaus Johannis haben. Der
bräuchte im Parlament eine komfortable, bürgerliche, ihm
wohlgesonnene Zweidrittelmehrheit, angeführt von seiner ehemaligen
Partei PNL (2014 war er sogar sechs Monate und sechzehn Tage lang
deren Vorsitzender), um „die Verfassung zu ändern“. Also müssten
die Sozialdemokraten unter 30 Prozent bleiben, wären sie angeblich doch die
Partei, der „eine Änderung der administrativen Karte des Landes
sowie eine Amputation (amputare) des Verfassungsgerichts“ nicht
genehm ist. Wie man sieht, hatte auch dieser Wahlkampf seine
Nebenschauplätze.
Um
18:00
Uhr
(rum. Zeit) kamen die ersten Ergebnisse über die
Liveticker der rumänischen Medien. NEWSWEEK ROMÂNIA
brachte folgendes Zwischenergebnis:
PSD – 32%,
PNL – 29%,
USR-PLUS
– 15% (Union Rettet Rumänien & Partei
der Freiheit, Einigkeit und Solidarität – ein Bündnis, das erst
seit Februar 2019 besteht),
PRO
ROMÂNIA
– 5,5%,
UDMR
– 5,5 % (Demokratische Union der Magyaren aus Rumänien – Viktor
Orbán
hatte sogar seinen Außenminister aus
Budapest nach
Siebenbürgen geschickt, um die
ungarische Minderheit Rumäniens in der richtigen Wahloption zu
bestärken. Ob Ludovic
Orban in Bukarest, Chef der PNL, darüber erfreut war, wird nicht
berichtet.)
PMP
– 5% (Volksbewegungspartei – Partei des ehemaligen Präsidenten
Traian
Băsescu)
AUR
– 5% (Allianz
für die Union der Rumänen – kämpft für die Vereinigung
Rumäniens mit der Republik Moldau)
Der
Fernsehsender DIGHI24 meldete um diese Zeit eine Wahlbeteiligung von
30,29
Prozent.
Der gleiche Sender brachte um
20 Uhr (MEZ) die erste Hochrechnung. Da zeigte sich schon ab, dass
die PSD vor der PNL liegt. Und trotzdem trat Ludovic Orban als
erster vor die Mikrofone und erklärte sich im besten Trump-Stil als
Sieger. Um 23 Uhr (MEZ), in Rumänien war schon Mitternacht, lagen
dann die Sozialdemokraten mit ihrem Vorsitzenden Marcel Ciolacu
bereits mit fast 5 Prozent vor den Nationalliberalen. Die Nacht
musste also Licht ins Dunkel der Wahlurnen bringen, denn es waren
noch längst nicht alle Stimmen ausgezählt – auch die aus der
bisher PNL-freundlichen rumänischen Diaspora nicht. Immerhin hatten
bis zu diesem Zeitpunkt laut Pressemeldungen 264.000 im Ausland
lebende Rumänen ihre Stimmen abgegeben.
Und
mit dem Tageslicht kam auch die Gewissheit: Die Sozialdemokraten haben
die Mehrheit, aber noch lange nicht die Macht. Die
DEUTSCHE WELLE berichtete heute Morgen um 10 Uhr, dass nach
Auszählung von 90 Prozent der Stimmen die PSD auf rund 30 Prozent
kommt, während die pro-europäische Regierungspartei PNL bei 25,5
Prozent liegt – und das bei einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung von rund
33 Prozent. (Die Ergebnisse für den Senat sind ähnlich.) „Die
liberal-konservative Partei von Ministerpräsident Ludovic Orban
könnte jedoch eine Koalitionsregierung mit dem erst kürzlich
entstandenen Mitte-Rechts-Bündnis USR-Plus eingehen. Das Bündnis
kam auf 15 Prozent der Stimmen“, schreibt die DW auf ihrer
Homepage. Diese Optionsmöglichkeit könnte ein Hinweis auf zukünftige unruhige
Zeiten im Bukarester politischen Alltag sein. (Aber wann war es dort schon mal ruhig?) Und der Präsident? Der dürfte not amused sein.
Selber schuld, meinte der rumänische Dichter Mircea Dinescu
gestern Abend bei
TVR INTERNAȚIONAL. Sein, also Johannisʼ,
ewiges Meckern gegen die Sozialdemokraten, hätten deren Anhänger in
einer Art Trotzreaktion verstärkt an die Urnen getrieben. Wer
schon so lange im politischen Geschäft ist, müsste eigentlich
wissen, dass man im Kampf mit offenem Visier auch mal den Kürzeren
ziehen kann. Ein
Präsident sollte für alle Bürger eines Landes da sein, auch für
die mit einer anderen politischen Gesinnung. Tja,
man darf
den psychologischen Faktor bei Wahlen nie unterschätzen.
Anton Potche
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen