Montag, 7. Dezember 2020

Rumänische Parlamentswahlen in Coronazeiten

Rumänien hat am Nikolaustag ein neues Zwei-Kammern-Parlament (Abgeordnetenhaus & Senat) gewählt. Analysten haben schon im Vorfeld der Wahl über die wohl zu erwartende Wahlbeteiligung spekuliert, verlief der Wahlkampf wegen der Pandemie doch äußerst mau. Dazu kommt noch, dass das linke Lager, angeführt von den Sozialdemokraten (PSD) sich von den internen Reibereien und dem noch nicht lange zurückliegenden Verlust der Macht (2019) nicht erholt hat. Die Nationalliberalen (PNL) hingegen profitieren weiterhin von der unverblümten Unterstützung des rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis. Also zog man zwei wichtige Wahlen der letzten Jahre zum Vergleich heran. 2016 waren bei der Parlamentswahl nur 39,49 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen gekommen, was in der jetzigen Situation nichts Gutes verhieß. Mehr Zuversicht konnte aber von der heurigen Lokalwahl, auch schon eine Pandemie-Wahl, ausgehen. Am 27. September lag die Wahlbeteiligung immerhin bei 46,02 Prozent. Also hieß es abwarten, denn bei so mancher Wahl lagen die Demoskopen mit ihren Berechnungen schon weit daneben.

Das galt natürlich auch für das Wahlergebnis. Laut Umfragen lagen PSD und PNL dicht beieinander. Die Zahlen schwankten um die 30-Prozent-Marke. Und um die Wahlinteressen der verschiedenen Parteien bildeten sich nebulöse Theorien. So meint Marius Ghilezan in der Tageszeitung ROMÂNIA LIBERĂ, das größte Interesse am Wahlausgang würde eigentlich Klaus Johannis haben. Der bräuchte im Parlament eine komfortable, bürgerliche, ihm wohlgesonnene Zweidrittelmehrheit, angeführt von seiner ehemaligen Partei PNL (2014 war er sogar sechs Monate und sechzehn Tage lang deren Vorsitzender), um „die Verfassung zu ändern“. Also müssten die Sozialdemokraten unter 30 Prozent bleiben, wären sie angeblich doch die Partei, der „eine Änderung der administrativen Karte des Landes sowie eine Amputation (amputare) des Verfassungsgerichts“ nicht genehm ist. Wie man sieht, hatte auch dieser Wahlkampf seine Nebenschauplätze.
 
Um 18:00 Uhr (rum. Zeit) kamen die ersten Ergebnisse über die Liveticker der rumänischen Medien. NEWSWEEK ROMÂNIA brachte folgendes Zwischenergebnis:
PSD – 32%,
PNL – 29%,
USR-PLUS – 15% (Union Rettet Rumänien & Partei der Freiheit, Einigkeit und Solidarität – ein Bündnis, das erst seit Februar 2019 besteht),
PRO ROMÂNIA – 5,5%,
UDMR – 5,5 % (Demokratische Union der Magyaren aus Rumänien – Viktor Orbán hatte sogar seinen Außenminister aus Budapest nach Siebenbürgen geschickt, um die ungarische Minderheit Rumäniens in der richtigen Wahloption zu bestärken. Ob Ludovic Orban in Bukarest, Chef der PNL, darüber erfreut war, wird nicht berichtet.)
PMP – 5% (Volksbewegungspartei – Partei des ehemaligen Präsidenten Traian Băsescu)
AUR – 5% (Allianz für die Union der Rumänen – kämpft für die Vereinigung Rumäniens mit der Republik Moldau)
Der Fernsehsender DIGHI24 meldete um diese Zeit eine Wahlbeteiligung von 30,29 Prozent.

Der gleiche Sender brachte um 20 Uhr (MEZ) die erste Hochrechnung. Da zeigte sich schon ab, dass die PSD vor der PNL liegt. Und trotzdem trat Ludovic Orban als erster vor die Mikrofone und erklärte sich im besten Trump-Stil als Sieger. Um 23 Uhr (MEZ), in Rumänien war schon Mitternacht, lagen dann die Sozialdemokraten mit ihrem Vorsitzenden Marcel Ciolacu bereits mit fast 5 Prozent vor den Nationalliberalen. Die Nacht musste also Licht ins Dunkel der Wahlurnen bringen, denn es waren noch längst nicht alle Stimmen ausgezählt – auch die aus der bisher PNL-freundlichen rumänischen Diaspora nicht. Immerhin hatten bis zu diesem Zeitpunkt laut Pressemeldungen 264.000 im Ausland lebende Rumänen ihre Stimmen abgegeben.

Und mit dem Tageslicht kam auch die Gewissheit: Die Sozialdemokraten haben die Mehrheit, aber noch lange nicht die Macht. Die DEUTSCHE WELLE berichtete heute Morgen um 10 Uhr, dass nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen die PSD auf rund 30 Prozent kommt, während die pro-europäische Regierungspartei PNL bei 25,5 Prozent liegt – und das bei einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung von rund 33 Prozent. (Die Ergebnisse für den Senat sind ähnlich.) „Die liberal-konservative Partei von Ministerpräsident Ludovic Orban könnte jedoch eine Koalitionsregierung mit dem erst kürzlich entstandenen Mitte-Rechts-Bündnis USR-Plus eingehen. Das Bündnis kam auf 15 Prozent der Stimmen“, schreibt die DW auf ihrer Homepage. Diese Optionsmöglichkeit könnte ein Hinweis auf zukünftige unruhige Zeiten im Bukarester politischen Alltag sein. (Aber wann war es dort schon mal ruhig?) Und der Präsident? Der dürfte not amused sein. Selber schuld, meinte der rumänische Dichter Mircea Dinescu gestern Abend bei TVR INTERNAȚIONAL. Sein, also Johannisʼ, ewiges Meckern gegen die Sozialdemokraten, hätten deren Anhänger in einer Art Trotzreaktion verstärkt an die Urnen getrieben. Wer schon so lange im politischen Geschäft ist, müsste eigentlich wissen, dass man im Kampf mit offenem Visier auch mal den Kürzeren ziehen kann. Ein Präsident sollte für alle Bürger eines Landes da sein, auch für die mit einer anderen politischen Gesinnung. Tja, man darf den psychologischen Faktor bei Wahlen nie unterschätzen.

Anton Potche

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