Eugen Barbu: Der Fürst (aus dem Rumänischen von Klaus Bochmann); Kriterion Verlag, Bukarest & Verlag Volk und Welt, Berlin, 1981; 495 Seiten; bei Online-Händlern verfügbar.
Die Fürstentümer Moldau und Walachei wurden von 1712 bis 1821 von den Phanarioten, einer griechischen Oberschicht, die im Stadtteil Phanar der osmanischen Hauptstadt Konstantinopel zu Hause war, regiert. Es war eine der dunkelsten Perioden in der Geschichte der beiden Fürstentümer. Die große Mehrheit dieser fremden Herrscher beutete die Fürstentümer erbarmungslos aus, um sich in je kürzerer Zeit so weit wie nur möglich zu bereichern oder sich längere Herrschaftszeiten von der Pforte zu erkaufen. In den 109 Jahren ihrer Herrschaft wechselten sich in der Walachei 40 Fürsten auf dem Thron ab und in der Moldau 36. Constantin Mavrocordat (1711 – 1769) schaffte es sogar sechsmal auf den walachischen und viermal auf den moldauischen Thron.
Nun wäre aber gerade er der unpassendste Phanariot für Eugen Barbus namenlose Fürstengestalt in seinem Roman Der Fürst. Von Constantin Mavrocordat berichten die Geschichtsbücher nur Gutes. Man kann von einem gelehrten und für Reformen offenen Fürst lesen.
Eugen Barbu hingegen hat es auf die Bösen abgesehen, ohne allerdings Namen zu nennen. Sein Fürst ähnelt Herrscherfiguren wie Constantin Hangerli (1760 – 1799), Nicolae Mavrogheni (? - 1790), Alexandru Suțu (1758 - 1821) und anderen. Er ist auf jeden Fall eine fiktive und oft obskure Mischung aus diesen Figuren. Mit Constantin Hangerli teilt er zum Beispiel sein unrühmliches Ende: Ein vom Pascha beauftragter Henker enthauptet ihn. Er, Eugen Barbus Fürst, ist wie Nicolae Mavrogheni – der ließ die Hörner der vor seine Kutsche gespannten Hirsche vergolden – vom Geld besessen. Alexandru Suțu soll besonders gegen Ende seiner Herrschaft skrupellos Reichtümer angesammelt haben. Alle diese und andere negative Eigenschaften sind in Barbus Roman oft bis zum schwer Erträglichen zugespitzt und ergeben das Bild einer total verkommenen Herrscherschicht. Nicht nur der Fürst ist voller Laster, sondern auch seine Umgebung.
Die Bojaren werden als eine liederliche Gesellschaft, feige, charakterlos, unterwürfig und heuchlerisch dargestellt. Sie geben den passenden Rahmen ab für einen Herrscher, der unter dem Einfluss eines aus Italien stammenden Schamanen, Alchimisten, Scharlatans mit sexuellen Perversionen steht. Das Buch beginnt mit der Pest und baut sich von Gräueltat zu Gräueltat auf, bis ein monströses Gesellschaftsgemälde vor dem geistigen Auge des Lesers steht.
Eugen Barbu (1924 – 1993) hat von 1962 bis 1969 an diesem Roman gearbeitet. Man mag zu seinem linientreuen Agieren im kommunistischen Rumänien noch so kritisch stehen, seine literarischen Werke sollte man unabhängig davon lesen. Und es fällt nicht schwer, Spaß an dieser Lektüre zu finden. (Einmal davon ausgehend, dass es sich nicht um ein Plagiat handelt. Ein solcher Vorwurf gegen Barbu hat zu einem der größten Skandale in der jüngeren Literaturgeschichte Rumäniens geführt.)
Neben dem Spaß bahnt sich beim Lesen aber auch Ärger an. Zumindest mit diesem von mir gelesenen Exemplar. Es hat nämlich sieben unbeschriebene Seiten. Ich musste sie mir zusammenreimen. Sie sind ab Seite 449 ins Buch gerutscht – nicht am Stück, sondern immer mal eine oder zwei Seiten. (Satz und Druck, polygraphischer Betrieb Crișana, Oradea, Sozialistische Republik Rumänien). Jetzt stehen dort einige von mir mit Bleistift geschriebene Sätze: „Messer Ottavianos Leiche ist verschwunden. Das macht den Fürsten rasend. / Einweihung der Kirche, die der Fürst für Messer Ottaviano bauen ließ. / Das Innere der Kirche muss etwas Schreckliches beherbergt haben. / Der Fürst schlittert in den Wahnsinn. / Anscheinend ist der verrückte Fürst in diesem Haus zu Tode gekommen.“ Der letzten leeren Seite folgt dann das Kapitel Das Ende des Fürsten. Hier wird eine Chronistenschilderung (von denen Barbu mehrere in die Fiktion eingestreut hat – mit kursiver Schrift) wiedergegeben.
Ja, und es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass es in diesem Buch, besonders im Kapitel Gli uomini si debbono vezzeggiare o spegnere (Die Menschen müssen schmeicheln oder auslöschen) Sätze und ganze Abschnitte gibt, die einem Menschen, der im Nationalkommunismus Ceaușescus gelebt hat, sehr vertraut vorkommen dürften. Etwa so: „Lazăr Scriba von Trapezunt, ein ruhmrediger Schreiber und heimlicher Verfasser von Denunziationen, dessen Lügenmaul wie eine Müllgrube stank, […] lobte den mächtigen Geist des Herrschers über die Maßen.“
So schrieb ein Herder-Preisträger (1978), aber auch stellvertretendes Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei Rumäniens (1969) wie auch Mitbegründer der ultrarechten Partei România Mare (1991). Unsere Welt war, ist und bleibt eben voller Widersprüche – auch im Literaturbetrieb.
Anton Potche
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen