Harald Hauswald / Lutz Rathenow: Ost - Berlin – Leben vor dem Mauerfall – Life before the Wall fell; Jaron Verlag GmbH, Berlin, 2005; ISBN 3-89773-522-9; 128 Seiten; € 12,--
1987, zwei Jahre vor dem Fall der Mauer, haben zwei DDR-Intellektuelle ein Buch gemacht. Korrekt, nicht nur geschrieben, sondern auch illustriert: Lutz Rathenow (*1952), der Schriftsteller, und Harald Hauswald (*1954), der Fotograf.
Leben vor dem Mauerfall – Life bevor the Wall fell, so der Untertitel dieses 2005 im Jaron Verlag in zweiter Auflage erschienenen Buches. Zweisprachig, deutsch & englisch, und zweifarbig, schwarz & weiß. Dabei haben die Fotos ein leichtes Übergewicht. Rein quantitativ. Inhaltlich sind sowohl Texte als auch Fotos bemerkenswert.So bemerkenswert, dass die erste Auflage des Buches im Ausland, der BRD, erscheinen musste. Dazu schreibt Lutz Rathenow in einem der zweiten Auflage als Vorwort (Titel: Mehr als ein Buch) vorangestellten Essay: „Der führende DDR-Politiker für kulturelle Fragen Kurt Hager schrieb einen – natürlich strikt geheimen – zweiseitigen Brief an den gefürchteten Minister der Staatssicherheit Erich Mielke, in dem es nur um den Kampf gegen dieses 1987 im Westen erschienene Buch geht.“
Rathenows kurze Texte haben keinen direkten Bezug zu Hauswalds Fotos. Sie stehen für sich, mal narrativ, mal den Dichter verratend, mal den Außenstehenden, mal den Involvierten, aber immer als einen, der den Glauben an eine bessere DDR nie aufgegeben hat.
Diese Stadt mit ihren verfallenen Mauerschluchten gibt es nicht mehr. Aber wie sie sich in einem heißen Sommer wie der von 2018, als diese Rezension entstand, angefühlt haben muss, kann man in an Verben armen Sätzen in diesem Ost-Berlin-Buch nachlesen. „Hochsommer. Die Stadt wie hingestreckt. Ein ermattetes Tier.“ Gegen Ende der Darstellung – man braucht wirklich nicht viel Phantasie, um sich anhand dieses Buches das Leben in der verschwundenen Stadt vorzustellen – klingt Rathenow philosophisch, um etwas später in Sarkasmus zu gleiten: „Nur wer jene, die wegwollen, versteht, hat die Souveränität zum Bleiben aus freiem Entschluss. […] In der Klinik darf der Schrank mit den Westmedikamenten erst bei Todesgefahr geöffnet werden? Aha, das Leben ist nicht so langweilig hier, wie es das manchmal zu sein scheint.“
Und das Politische? Das klingt bei Lutz Rathenow nicht parteilich, ja nicht einmal überparteilich – wie sollte es das auch bei einer Einheitspartei? - dafür aber umso nüchterner: „Für alles ist gesorgt. Fertigteilhäuser, standardisierte Spielplätze. Dienstleistungseinrichtungen, Gaststätten. Bevölkerungsintensivhaltung.“ Also mancherorts hat sich diesbezüglich bis heute nichts oder nicht umwerfend viel geändert – gültig für Ost und West.
Da ist dann noch der Ruinenhauch, der über Harald Hauswalds Bildern schwebt, ja ihnen immanent ist. Zu ihr, der Ruinenallgegenwärtigkeit, passen die vielen alten Menschen, mehr Frauen als Männer, und eine spürbare Einsamkeit, zum Teil auch eine Herabgekommenheit der Menschen. Schon die Erkenntnis, dass man solche Lebensbilder - ohne Leben geht trotz allem in dieser trostlosen Steinlandschaft nichts – nur in Schwarz-Weiß für die Nachwelt festhalten kann, deutet auf das große Künstlerpotential des Fotografen hin.
Atlantis ist verschwunden. Von der sagenumwobenen Stadt ist uns nur die Sage geblieben. Ost-Berlin ist verschwunden. Aber die Texte Lutz Rathenows und die Fotos von Harald Hauswald sind uns (noch) erhalten geblieben – in einem Buch, das in meinem Bücherregal, aus dem in letzter Zeit immer mehr Bücher zu karitativen Zwecken in andere Regale (auch öffentliche Bücherschränke) wandern, noch ein paar Jährchen (hoffentlich) eine Bleibe finden wird.
Anton Potche
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