Die politische Situation in Rumänien ist alles andere als stabil. Besonders die Sachverhalte in den zwei Regierungsparteien PNL und USR-PLUS sind von Spannungen geladen. In beiden Gruppen fanden in der 38. Kalenderwoche Wahlen statt. Schon im Vorfeld hatte USR-PLUS seine Minister aus der Regierung abgezogen. Die Tonangeber in dieser Partei verlangen den Rückzug des Premierministers Florin Cîțu (PNL). Der Liberale denkt aber gar nicht daran, seinen Posten zu räumen.
Die seit 2019 bestehende Gruppierung USR-PLUS (Union Rettet Rumänien – Partei Freiheit, Einigkeit und Solidarität) wird angeführt von Dan Barna (USR) und Dacian Cioloș (PLUS). Beide haben ihren Hut in den Ring für einen ab nun einzigen Vorsitzenden geworfen. Die Wahl fand online statt und führte in eine Stichwahl, die am 2. und 3. Oktober wieder online abgehalten wurde. Beim ersten Wahlgang sah das Ergebnis wie folgt aus: Dacian Cioloș - 46% (15.111 Stimmen), Dan Barna - 43,9% (14.404 Stimmen), Irineu Ambrozie Darău – 10,1% (3.300 Stimmen.) 32.815 Mitglieder des Parteienbündnisses hatten an der Wahl teilgenommen. Heikel war eigentlich bei diesem Urnengang, dass die Vereinigung durch eine Absorption (absorbție) von PLUS in die USR stattfinden sollte. Das war seit einem gemeinsamen Kongress der zwei Gruppierungen am 15. August eine beschlossene Sache. Jetzt hatte man aber nach dem ersten Wahlgang die Situation, dass der erfahrene Europapolitiker Cioloș (zurzeit Vorsitzender der Parlamentariergruppe Renew Europe im Europäischen Parlament) mit einem leichten Vorsprung in die Stichwahl ging, obwohl er der kleinere Partner in dieser zur Einheitspartei reifenden Zweier-Gruppierung war.
Das Resultat der Stichwahl stand am Abend des 2. Oktober 2021 fest: Dacian Cioloș - 19.603 Stimmen, Dan Barna - 18.908 Stimmen. Und schon einen Tag später wurde die Vereinigung der beiden politischen Gruppierungen zur Partei USR vollzogen. Parteivorsitzender ist Dacian Cioloș. Er war von November 2015 bis Januar 2017 Premierminister Rumäniens – übrigens eingesetzt von Präsident Johannis als Leiter eines Technokratenkabinetts, wo die politischen Parteien doch wieder mal kläglich versagt hatten.
In der gleichen Woche (38), nur einen Tag später, hielten die Nationalliberalen (PNL) ihren Parteitag ab. Mit Vorstandswahlen. Und das war brisant, tobte doch schon seit Wochen ein erbitterter Kampf um den Posten des Parteivorsitzenden zwischen dem Amtsinhaber Ludovic Orban (Ex-Premier und Vorsitzender der Abgeordnetenkammer) und dem aktuellen Regierungschef Florin Cîțu. 5000 PNListen waren nach Bukarest gekommen ... um einen neuen Parteivorsitzenden auf den Thron zu heben oder den alten in seinem Amt zu bestätigen. Cîțu hat die Wahl mit 2.878 zu 1.898 Stimmen gewonnen. Orban legte sein Amt des Parlamentspräsidenten nieder und kein einziger seiner PNL-Mitstreiter wurde ins neue Präsidium der Partei gewählt. Entweder – oder. Alles – oder nichts.
Nach diesem Motto lief auch der Kongress ab. Obwohl die zwei Kandidaten sich in ihren Bewerbungsansprachen nicht gegenseitig verunglimpften, war die Atmosphäre in der Bukarester Kongresshalle aufgeheizt. Buhrufe, Pfiffe, Akklamationen u.s.w. In Fußballstadien geht es manchmal gesitteter zu. Die Reden der Kontrahenten waren völlig substanzlos. Orban gab sich noch einigermaßen ministrabel, aber Cîțu hatte nichts zu bieten. Keine Spur von einer staatspolitischen Verantwortung für Rumänien. Nur vor Selbstlob triefende Phrasen im Stil von „Wir sind die Besten ... Wir sind PNL“. Das Land steht vor einem Covid-Kollabs. Die Krankenhäuser und das medizinische sowie pflegerische Personal stoßen längst an ihre Grenzen. Das hat keinen der beiden interessiert. Wichtig war ihnen bei diesem Kongress nur eins: die Macht.
Und man höre und staune, es gab noch einen dritten Protagonisten: Klaus Johannis (rum.: Iohannis), seines Zeichens Präsident Rumäniens. Wer bei seinem Auftritt gerade draußen bei einem Mici (Grillwürstchen) mit Senf und Bier weilte – dafür war bei einem PNL-Volksfest natürlich ausreichend gesorgt -, hatte nichts versäumt, denn das, was der Staatspräsident von sich gab, war nur bedingt staatstragender, als die Reden der zwei Streithähne Orban und Cîțu. Der höchste Mann im Staate war auch nicht gekommen, um Streit zu schlichten, sondern um Öl ins Feuer zu gießen. Er gab Sätze von sich wie: „Diese Regierung muss weiter machen, denn es gibt keinen realen Grund, dass der Premier abgesetzt wird oder demissioniert. Mehr noch, wenn der Premier und die liberalen Minister von allen Seiten angegriffen werden, müsste die gesamte PNL Solidarität zeigen und sie mit aller Kraft unterstützen. Die Sabotage aus den eigen Reihen der Partei ist unverständlich.“ Eine klarere Parteinahme für Cîțu kann es ja wohl nicht geben.
Und dann kam noch der Schlussspurt des Klaus Johannis: „Ich glaube, Rumänien könnte ein Jahrzehnt lang eine rechte Regierung haben. [...] Ich habe Vertrauen, dass die Partnerschaft, die ich vor vielen Jahren mit der PNL eingegangen bin, fortgesetzt und Rumänien viele Vorteile bringen wird. Ich bin zuversichtlich, dass die Zukunft eine gute für die Nationalliberale Partei sein und die Regierung gut geführt werden wird - von den Liberalen, die wissen werden, wie man ein Exekutiv, beschäftigt mit momentanen Provokationen, aber auch mit der mittel-und langfristigen Entwicklung Rumäniens, unterstützt. Sie können auf mich bei der Anwendung des Programms, für das die Rumänen uns ihr Vertrauen und ihre Unterstützung geschenkt haben, setzen, ein Programm, das als Erstes einem normalen Rumänien, ohne Skandale und fruchtlosen Auseinandersetzungen und vielmehr mit organischem Wachstum, verpflichtet ist.”
Das klingt doch sehr nach einer Parteitagsrede eines Kandidaten für den Chefposten dieser politischen Gruppierung. Man muss sich nur den Werdegang Klaus Johannis’ ansehen, um daraus Spekulationen über das strategische Denken dieses Mannes anstellen zu können. Er betrat die Politik durch eine Seitentür, um nicht zu sagen, durch die Hintertür. Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien hat ihm diese Tür geöffnet, die dann im Jahre 2000 für das Bürgermeisteramt in Hermannstadt / Sibiu offenstand. Und das nicht nur spaltenbreit, sondern weit, mit 69 Prozent der Stimmen. 2013 begann der steile Aufstieg des Siebenbürger Sachsen Klaus Johannis in der politischen Landschaft Rumäniens mit seiner Wahl zum Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden der Nationalliberalen Partei (PNL). Beim Parteitag der PNL am 28. Juni 2014 wurde er deren Vorsitzender. Seit dem 21. Dezember 2014 darf er sich Präsident aller Rumänen nennen. Das ist er heute noch und wird es voraussichtlich auch bis zum Ende seines zweiten Mandats (2024) bleiben.
Und dann? Diese Frage wird Klaus Johannis sich mit großer Wahrscheinlichkeit stellen. Dann ist er 65 Jahre alt. Für einen Politprofi ist das noch kein Rentenalter. Eine dritte Präsidentschaft gibt es laut Verfassung für ihn nicht – vorausgesetzt er greift nicht zu Putin-Methoden. Aber ein Premierminister-Posten wäre ja auch nicht verkehrt. (Sind wir nicht schon wieder bei Putin?) Wie auch immer, dafür müssen die Weichen rechtzeitig gestellt werden. Und dazu braucht man eine gute Strategie. An der scheint Rumäniens Präsident zurzeit zu arbeiten. Ob der ihm am Vortag der Deutschen Einheit in Aachen verliehene Karls-Preis vielleicht zumindest als Imagebonus helfen wird, muss sich dann zeigen.
Es gibt allerdings zwischen den in seiner rumänischen Heimat um die Macht ringenden bisherigen Koalitionspartnern PNL und USR einen kleinen aber feinen Unterschied, der bei den zwei kürzlich abgehaltenen Kongressen deutlich wurde: Cîțu hat seinem Widersacher Orban und dessen Unterstützer keinen einzigen Posten im Präsidium der PNL gegönnt, während in der von Cioloș präsidierten USR-Führungsriege mehr Mitstreiter Barnas vertreten sind als ehemalige PLUS-Mitglieder. Moral. Anstand. Politische Kultur ... Wer sich wie jetzt Klaus Werner Johannis in eine Liste mit so klangvollen Namen wie Konrad Adenauer, Winston Churchill, Robert Schumann, Walter Scheel, Henry Kissinger, Gyla Horn, Václav Havel u. a. einreihen darf, sollte sich schon mal über einen Wertekanon Gedanken machen, den er eventuell der Suche nach einem politischen Partner für die Zukunft zugrunde legen kann.
Anton Potche
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